Neurodiversität

Anders verdrahtet und trotzdem im selben Team: Wenn Neurodiversität und Neurotypikalität aufeinandertreffen

Neurodiversität: Zwischen Harmonie und Reibung

Es gibt Begegnungen, die sich anfühlen, als würde man zum ersten Mal ein neues Land betreten. Die Sprache ist vertraut, und doch klingen die Sätze anders. Die Gesten wirken bekannt, aber die Bedeutung dahinter scheint nicht immer dieselbe zu sein.

So kann es sein, wenn neurodiverse und neurotypische Menschen aufeinandertreffen – im Büro, im Freundeskreis oder in der Familie.

Dieser Artikel lädt dazu ein, dieses Spannungsfeld liebevoll, aber auch ehrlich zu betrachten. Denn es gibt viel Potenzial – aber auch echte Reibungspunkte.

Was Neurodiversität bedeutet – und was nicht

Neurodiversität beschreibt die Vielfalt neurologischer Funktionsweisen. Dazu zählen unter anderem das Autismus-Spektrum, ADHS, Legasthenie, Hochsensibilität, Tic-Störungen und andere Unterschiede in Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Kommunikation.

Das Konzept macht deutlich: Diese Unterschiede sind nicht automatisch ein Defizit, sondern Teil der menschlichen Vielfalt. Möchtest du mehr über das Potenzial und die Ressourcen unterschiedlicher neurodiverser Ausprägungen erfahren, findest du dazu mehr in meinem letzten Artikel.

Zurück zur Vielfalt! Denn:

Das bedeutet nicht, dass jede Form neurodiverser Ausprägung im beruflichen oder privaten Alltag reibungslos integriert werden kann – und auch nicht, dass Herausforderungen nur durch „mehr Toleranz“ verschwinden. Es geht nicht darum, Unterschiede zu romantisieren, sondern darum, sie realistisch und wertschätzend zu verstehen.

Wo es leicht harmoniert

In manchen Bereichen ergänzen sich neurodiverse und neurotypische Menschen wunderbar:

Vielfalt der Perspektiven: Neurodiverse Kolleg:innen bringen oft unkonventionelle Lösungen, detailgenaue Analysen oder kreative Ideen ein, die im Team einen echten Unterschied machen.

Fokus und Tiefe: Manche neurodiverse Menschen tauchen mit beeindruckender Ausdauer in Themen ein – eine Stärke, die bei Projekten mit hoher Komplexität Gold wert ist.

Ehrlichkeit und Direktheit: Vor allem im Autismus-Spektrum wird oft geschätzt, dass Kommunikation klar und unverblümt ist.

Wenn diese Stärken in einem Umfeld eingesetzt werden, das sie wertschätzt, entsteht nicht selten ein gegenseitiges Staunen: „So habe ich das noch nie gesehen – spannend!“

Wo es knirscht

Doch so wie kulturelle Unterschiede Missverständnisse erzeugen können, geschieht das auch hier:

Kommunikationsstile prallen aufeinander: Neurotypische Menschen lesen zwischen den Zeilen, während neurodiverse Menschen häufig direkter sprechen – und umgekehrt subtile Andeutungen überhören. Irritationen und Missverständnisse sind geradezu vorprogrammiert.

Unterschiedliche Reizempfindlichkeit: Ein Großraumbüro kann für manche neurodiverse Menschen eine tägliche Herausforderung sein – während andere darin aufblühen. Diese Reizempfindlichkeit kann schon im Kindergarten beginnen. Alle Kinder schreien, rennen, spielen und sind dabei glücklich und unbeschwert. Nur dem kleinen Tim ist alles zu viel. Er ist überfordert und wünscht sich Ruhe. Viele Kindergärten und auch Grundschulen haben inzwischen spezielle reizarme Ruheräume eingerichtet, um diesen Kindern eine Insel der Sicherheit zu bieten. Denn den anderen das Toben zu untersagen, ist ja auch nicht zielführend.

Abweichende Zeit- und Prioritätenlogik: Wer anders plant oder Aufgaben in anderer Reihenfolge angeht, kann schnell als „unstrukturiert“ oder „rigide“ missverstanden werden.

Diese Reibungen sind nicht Ausdruck von „schlechter Absicht“, sondern von unterschiedlichen neurologischen Landkarten.

Im Berufsalltag: Zwischen Integration und Überforderung

Unternehmen stehen vor der Aufgabe, Strukturen zu schaffen, die Vielfalt ermöglichen, ohne dabei einzelne Gruppen zu überfordern. Und mit diesen Gruppen meine ich nicht nur Menschen aus dem breiten Bereich der Neurodiversität, sondern auch die Gruppe der Neurotypischen, also jene, die wir als „normal“ bezeichnen – was auch immer das sein soll.

Das bedeutet:

Realistische Erwartungen: Nicht jede Aufgabe passt für jede Person – und das ist okay.

Klare Absprachen: Eindeutige Kommunikation über Ziele, Prozesse und Zuständigkeiten entlastet alle Beteiligten.

Individuelle Anpassungen: Flexible Arbeitsumgebungen, Ruheräume oder klare Feedbackstrukturen können Brücken bauen.

Gegenseitiges Verständnis und beiderseitige Großzügigkeit sind wichtig. Integration funktioniert nur, wenn sie in alle Richtungen aktiv vorangetrieben wird: Ich integriere mich selbst – und andere gleichzeitig.

Was auf jeden Fall vermieden werden sollte, ist, Neurodiversität nur als „Innovationstreiber“ zu vermarkten. Denn das erzeugt Druck, ständig außergewöhnliche Leistungen bringen zu müssen – und blendet die alltäglichen Herausforderungen aus. Es schiebt Menschen in eine Richtung, in der sie sich geradezu gezwungen fühlen, anders zu sein.

Privat: Zwischen Nähe und Distanz

Nicht nur im beruflichen Umfeld, sondern auch im Freundes- und Familienkreis gilt: Nähe entsteht oft dann, wenn man bereit ist, Unterschiede nicht nur zu akzeptieren, sondern auch zu verstehen.

Das kann heißen:

Nachfragen, statt zu interpretieren.

Zuhören, ohne sofort Lösungen vorzuschlagen.

Respektieren, dass Rückzug kein Desinteresse ist.

Gleichzeitig ist es wichtig, die eigenen Bedürfnisse nicht zu verleugnen. Beziehungen – ob beruflich oder privat – sind keine Einbahnstraßen. Auch neurotypische Menschen dürfen Grenzen setzen, wenn etwas dauerhaft belastend wird.

Ein Miteinander, das beide Seiten trägt

Das Ziel ist nicht, dass alle gleich werden, sondern dass man sich gegenseitig so versteht, dass die Zusammenarbeit – oder das Zusammenleben – für beide Seiten funktioniert.

Das erfordert Geduld, Lernbereitschaft und die Einsicht, dass Missverständnisse nicht das Ende, sondern oft der Beginn von echtem Verständnis sind.

Wenn neurodiverse und neurotypische Menschen einander mit echtem Interesse begegnen, können neue Räume entstehen – Räume, in denen nicht nur Leistung zählt, sondern auch das Gefühl, gesehen und verstanden zu werden. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass wir aufhören, in „richtig“ und „falsch“ zu denken. Mit Blick auf Neurodiversität gibt es kein „normal“ und „unnormal“. Es gibt nur anders – wertfrei anders.

Fazit

Neurodiversität ist weder ein Allheilmittel noch ein Problem, das es „wegzutrainieren“ gilt. Sie ist Realität.

Wer bereit ist, Unterschiede als Einladung zum Dialog zu begreifen, statt als Störung des Gewohnten, legt den Grundstein für ein Miteinander, das nicht perfekt ist – aber lebendig, kreativ und menschlich.

Weiter geht die Reise

Und weil Neurodiversität ein so breites und wichtiges Thema ist, werde ich in den nächsten Wochen einige Ausprägungen neurologischer Funktionsweisen etwas ausführlicher vorstellen. In zwei Wochen starte ich mit dem sogenannten Autismus-Spektrum. Seid gespannt und lasst mir bis dahin gerne euer Feedback, eigene Erfahrungen oder Fragen rund um das Thema da. Gerne dürft ihr euch auch wünschen, in welche Bereiche ihr tiefer einsteigen möchtet.

Eure Constance

Gemeinsam stark…

Manchmal leichter gesagt als getan!

Neurodiversität - Bunt im Kopf, stark im Leben

In den nächsten Artikeln möchte ich mich mit einem Thema beschäftigen, das derzeit in meiner Wahrnehmung insbesondere im Businesskontext ziemlich gehypt wird, von dem trotzdem gefühlt zu wenige Menschen wissen, was es genau damit auf sich hat: Neurodiversität. In diesem ersten Artikel zum Thema möchte ich euch einen kurzen Überblick darüber geben, um dann in den nächsten Wochen tiefer in einzelne Themenkomplexe einzusteigen.

Was hat es also mit diesem Begriff auf sich? - Im Prinzip geht es um kognitive Vielfalt.

Natürlich ist unser Gehirn kein Computer, sondern so viel mehr. Um möglichst anschaulich zu sein, stellen wir uns trotzdem mal vor, unser Gehirn wäre ein Computer. Bei den einen läuft Windows, bei den anderen macOS, und manche haben ein Betriebssystem, das aussieht wie eine Mischung aus Tetris, Jazzmusik und einem Chamäleon. Willkommen in der Welt der Neurodiversität – ein Begriff, der beschreibt, dass unser Denken, Fühlen und Wahrnehmen so unterschiedlich ist wie unsere Fingerabdrücke.

Und das ist keine „Fehlfunktion“. Es ist Vielfalt. Genau wie in der Natur: Ohne bunte Blumenwiesen gäbe es nur langweilige Rasenflächen – und niemand möchte ernsthaft den ganzen Sommer nur auf einer Rasenfläche verbringen.

ADHS – Das Leben in High Definition

Menschen mit ADHS haben oft das Gefühl, als würde ihr Gehirn mehrere Tabs gleichzeitig offenhalten – und alle spielen Musik. Sie springen von Idee zu Idee, entdecken Zusammenhänge, die anderen verborgen bleiben, und bringen Energie in Räume, in denen vorher Lustlosigkeit herrschte.

Klar, manchmal vergisst man den Termin (oder gleich den ganzen Kalender), aber dafür kann man in einer Nacht ein komplettes Konzept aus dem Boden stampfen, wenn man Feuer gefangen hat. ADHS ist nicht nur „zu viel Energie“ – es ist Kreativität auf Speed.

Autismus – Das tiefe Meer unter der Oberfläche

Autistische Menschen nehmen die Welt oft wie in 4K-Auflösung wahr – jedes Detail, jede Nuance, jeder Wassertropfen auf einem Blatt. Sie sind Meister*innen der Genauigkeit, loyale Freunde, die meinen, was sie sagen, und sagen, was sie meinen.

Ja, manchmal ist Smalltalk so nervig wie ein Stein im Schuh. Und Veränderungen fühlen sich an, als würde jemand den Möbelplan im Kopf umstellen. Aber in einer Welt, die gerne alles oberflächlich betrachtet, erinnern autistische Menschen uns daran, wie wertvoll Tiefe, Ehrlichkeit und Klarheit sind.

Hypersensibilität – Wenn die Welt etwas lauter ist

Für hochsensible Menschen ist das Leben manchmal wie ein Radio, das immer auf maximale Lautstärke eingestellt ist – nur, dass es nicht nur Geräusche betrifft, sondern auch Gerüche, Licht, Stimmungen und Energien im Raum.

Das kann überwältigend sein, aber es bringt auch eine Superkraft mit sich: Empathie, Intuition und die Fähigkeit, Schönheiten wahrzunehmen, die andere gar nicht bemerken. Hochsensible Menschen sehen den Glanz in Kleinigkeiten – und spüren, wenn es anderen nicht gut geht, oft bevor diese es selbst wissen.

Legasthenie & Dyskalkulie – Das andere Navigationssystem

Menschen mit Legasthenie oder Dyskalkulie lesen und verarbeiten Informationen auf eigene Weise. Buchstaben können tanzen, Zahlen sich verstecken – aber dafür denken viele von ihnen in Bildern, Konzepten und Ideen, die weit über das hinausgehen, was auf einem Blatt Papier steht.

Ein Text wird vielleicht langsamer gelesen, aber Inhalte werden oft tiefer verstanden. Zahlenreihen können Kopfzerbrechen bereiten, aber im kreativen oder räumlichen Denken werden Meisterwerke erschaffen. Wer will schon eine Welt, in der alle nur in Tabellen denken? Nicht umsonst wird, wenn im Silicon Valley Programmierer gesucht werden, oft spezifisch nach Legasthenikern gesucht. Sie haben ein überproportional großes Talent zum Programmieren, die Bilder hinter den Codes zu sehen und somit den Überblick zu bewahren.

Je nach Quelle werden auch Tic-Störungen einschließlich des Tourette-Syndroms und Dyspraxie (das heißt ein veränderter Ablauf und eine andere Koordination im Bewegungsablauf) zu den neurodiversen Ausprägungen gezählt.

Warum Neurodiversität uns alle angeht

Neurodiversität bedeutet, dass Unterschiede nicht „Reparaturfälle“ sind, sondern wertvolle Perspektiven. Menschen, die anders denken, fragen, die andere Lösungen finden und andere Wege sehen.

In Teams, Freundschaften und Familien sind neurodiverse Köpfe oft die, die den entscheidenden Funken bringen. Sie erinnern uns daran, dass Normalität nur eine statistische Erfindung ist – und dass das Menschsein von Vielfalt lebt. Ja, Neurodiversität wird in unserer Gesellschaft häufig mit einer Diagnose belegt. Wobei diese Diagnose nicht als Stigma betrachtet werden sollte, sondern als Möglichkeit, Menschen mit Fähigkeiten sichtbar zu machen, die uns „neurotypischen“ Menschen fehlen. Neurodiversität ist nichts anderes als die Feststellung einer Abweichung von der Norm. Ist das gut oder schlecht? In meinem nächsten Artikel werde ich mich ausführlich damit beschäftigen, welche Spannungsfelder mit dieser Unterschiedlichkeit einhergehen. Und hey, du bist nicht allein, sondern gehörst zu 20 Prozent – 20 Prozent, die aufhören sollten, ihre oft als Diagnose stigmatisierte Superkraft zu verstecken!

Zum Schluss

Falls du also selbst neurodivers bist: Glückwunsch und willkommen in einem exklusiven Club! Es gibt keinen Mitgliedsausweis, aber dafür jede Menge bunte Geschichten, eigene Tricks und das Wissen, dass dein Kopf vielleicht nicht der „Standardbauplan“ ist – aber dafür oft der spannendere.

Falls du nicht neurodivers bist: Glückwunsch! Du bist Teil einer Welt, in der du von anderen Denkweisen lernen kannst. Und mal ehrlich – wer möchte schon in einer Welt leben, in der alle gleich ticken?

Neurodiversität macht uns menschlicher. Sie zeigt, dass es nicht „richtig“ oder „falsch“ gibt, sondern nur anders – und manchmal ist genau dieses „anders“ das, was eine Situation rettet, eine Idee möglich macht oder ein Herz berührt.

Wie immer freue ich mich über Feedback und gerne auch eure eigenen Erfahrungen mit diesem Thema. Denn viel bunter und echter als jede Theorie ist natürlich das Leben selbst. Inspiriert mich gerne zu meinen weiteren Artikeln aus der Serie „Neurodiversität“.

Eure Constance

Bunt im Kopf…

Denn es ist auch unsere kognitive Vielfalt, die das Leben besonders macht.

Schizophrenie hat nichts mit "gespaltenen Persönlichkeiten" zu tun! - Ein Aufklärungsversuch

Aus der Reihe „(gefährliches) Halbwissen“

Wahrscheinlich geht es vielen so, wie es auch mir vor meiner Ausbildung ging: Ich war fest davon überzeugt, genau zu wissen, was mit schizophren gemeint war. Ich habe von schizophrenen Aussagen gesprochen, wenn ich widersprüchlich meinte, und dachte, dass Schizophrenie natürlich etwas mit einer gespaltenen, weil widersprüchlichen Persönlichkeit zu tun habe. Ich durfte lernen, dass dem nicht so ist. Sogenannte gespaltene Persönlichkeiten gibt es in der Tat auch – dieses Krankheitsbild wird als dissoziative Identitätsstörung bezeichnet. Mit Schizophrenie hat diese Erkrankung herzlich wenig zu tun: weder im Erscheinungsbild, noch in der erlebten Symptomatik und auch nicht im Ursprung.

Während meiner Ausbildung war das Modul zu schizophrenen Störungsbildern gefühlt das spannendste – weil es das überraschendste war. Auch aus diesem Grund habe ich mich entschieden, Schizophrenie als initiales Thema für meine Blog-Reihe „Wir sind doch nicht verrückt!“ zu wählen.

Was ist Schizophrenie? Und wo kommt sie her?

Bei Schizophrenie handelt es sich um eine schwere psychische Erkrankung, die das Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Verhalten eines Menschen tiefgreifend beeinträchtigt. Sie zählt zu den sogenannten psychotischen Störungsbildern – also zu den Erkrankungen, bei denen die Realitätswahrnehmung erheblich gestört ist. Weltweit leiden länder- und kulturkreisübergreifend etwa ein Prozent der Bevölkerung an einer Schizophrenie. Schon anhand dieser recht homogenen Verteilung liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine genetisch begünstigte Erkrankung handelt – und das stimmt. Jeder, der an Schizophrenie erkrankt, weist eine entsprechende genetische Disposition auf. Schizophrenie ist also erblich, aber nicht zwangsläufig! Nicht jeder, der diese Disposition hat, erkrankt auch tatsächlich. Woran liegt das?

Es ist nicht die Genetik allein, die den Ausbruch der Krankheit beeinflusst – sie stellt jedoch die Voraussetzung dafür dar. Hinzu kommen vor dem Ausbruch verschiedene Faktoren wie Stress, kleinere oder größere Traumata im Leben oder etwa auch der Konsum von Cannabis. Man beschreibt diesen Zusammenhang mit dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell.

Wie sieht eine Schizophrenie denn nun aus?

Vorweg sei gesagt: Die eine Schizophrenie gibt es nicht. Es gibt ganz unterschiedliche Erscheinungsformen – dazu gleich mehr. Allerdings gibt es zentrale Merkmale, anhand derer man alle Formen der Schizophrenie diagnostizieren kann.

Eine Schizophrenie verläuft immer in Phasen. In der „Vor-Phase“, der Prodromalphase, ziehen sich Betroffene häufig zurück, werden ängstlich, schreckhaft, unsicher. In der Akutphase treten dann einige zentrale Symptome auf. Hierzu zählen vor allem Halluzinationen – insbesondere akustische. Die Betroffenen hören oft aber nicht immer Stimmen. Für gewöhnlich handelt es sich nicht um befehlende Stimmen in der Du-Form, sondern um kommentierende oder dialogisierende Stimmen. Außerdem können Wahnvorstellungen auftreten – das heißt, die Betroffenen halten an festen, nicht korrigierbaren und häufig bizarren Vorstellungen fest. Häufig beobachtet man Verfolgungswahn, Beeinflussungswahn oder das subtile Gefühl des „Gemachten“, also eine Art Beeinflussungswahn.

Ein weiterer Hinweis auf Schizophrenie können sogenannte Ich-Störungen sein. Das bedeutet, die Betroffenen glauben etwa, ihre Gedanken würden ihnen von außen eingegeben oder entzogen, oder sie seien laut und für jedermann hörbar. Auch Auffälligkeiten im Denken und Verhalten sind typisch: unlogisches, sprunghaftes Denken, exzentrisches Verhalten, unpassende Gefühlsäußerungen, motorische Auffälligkeiten und mehr.

Welche Symptome in welcher Ausprägung auftreten, hängt von der Art der Schizophrenie ab. Die drei wichtigsten Formen stelle ich im Folgenden vor:

Die paranoide Schizophrenie

Die wahrscheinlich bekannteste – und mit etwa 80 % häufigste – Form ist die paranoide Schizophrenie. Hier steht der paranoide Wahn im Vordergrund, oft in Kombination mit akustischen Halluzinationen. Meist bricht die Erkrankung zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr aus, bei Männern eher früher und bei Frauen etwas später.

Die hebephrene Schizophrenie

Eine weniger bekannte Form ist die hebephrene Schizophrenie, die etwa 15 % der Fälle ausmacht. Der Begriff hebephren stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „die Jugend und den Verstand betreffend“. Diese Form tritt typischerweise in der Jugend auf und hat meist eine schlechtere Prognose als die paranoide Form. Sie ist gekennzeichnet durch desorganisiertes Denken, unzusammenhängende Sprache, zielloses Verhalten und oft auch Vernachlässigung der Körperpflege. Hinzu kommen affektive Symptome – entweder eine Abflachung der Gefühle oder unangemessene Emotionen, etwa lautes Lachen in traurigen Situationen oder kindlich-albernes Verhalten. Wahn und Halluzinationen treten hier nur selten und wenn, dann flüchtig auf.

Die katatone Schizophrenie

Eine dritte, eher seltene und in ihrer Erscheinung völlig andere Form ist die katatone Schizophrenie. Hier steht in der Akutphase die Motorik im Vordergrund – etwa in Form von Stupor (vollständige Bewegungslosigkeit), Haltungsstereotypien, katatoner Erregung (starke Unruhe), Befehlsautomatismus oder Rigidität (starre Haltungen).

Ihr seht: Die eine Schizophrenie gibt es nicht. Vielmehr handelt es sich um ein vielfältiges Krankheitsbild, das vor allem nichts mit einer gespaltenen Persönlichkeit zu tun hat.

Nach Abklingen der Akutphase zeigt sich oft eine andere Facette des erkrankten Menschen. In dieser Phase wirken die Betroffenen oft passiv, depressiv, zurückgezogen. Der ehemals überaktive Mensch mit wilden Wahnvorstellungen wirkt nun traurig, spricht wenig, meidet Kontakt. Es ist und bleibt derselbe Mensch – allerdings nun mit einem anderen „hormonellen Cocktail“ im System. Und dieser führt uns zur Behandlung und Prognose der Erkrankung.

Behandlung und Prognose

Da unter anderem eine neurobiologische Veränderung – zum Beispiel ein gestörter Dopaminstoffwechsel – an der Erkrankung beteiligt ist, gehört die Behandlung zunächst in ärztliche Hände. Ein Psychiater verordnet sogenannte Neuroleptika oder Antipsychotika. Diese gibt es in unterschiedlichen Wirkstärken, die je nach Phase (akut, postakut oder zur Rückfallprophylaxe) angepasst werden. Psychotherapeutisch wird vor allem begleitend gearbeitet – häufig mit kognitiver Verhaltenstherapie, Psychoedukation (also dem Verstehen der eigenen Krankheit) oder auch im Rahmen einer Familientherapie.

Insgesamt sind die Prognosen für Schizophrenien recht gut. Es gilt die sogenannte Drittel-Regel: Bei einem Drittel der Betroffenen heilt die Erkrankung nach der ersten Episode vollständig aus. Ein weiteres Drittel erreicht durch medikamentöse Therapie eine stabile Lebensführung. Nur bei einem Drittel verschlechtert sich das Krankheitsbild im Verlauf.

Raus aus der Scham und dem Tabu

Mir ist es wichtig, auf diesem Weg darüber aufzuklären, dass Menschen mit der Diagnose Schizophrenie keineswegs verrückt sind – und erst recht nicht dauerhaft weggesperrt werden müssen. Es handelt sich um eine Erkrankung, die unter anderem durch neurobiologische Prozesse ausgelöst wird – und in den meisten Fällen medikamentös gut behandelt werden kann.

Es handelt sich bei den Betroffenen um wertvolle, häufig erfolgreiche und leistungsfähige Mitglieder unserer Gesellschaft. Manche bekommen – wie John Nash – sogar den Nobelpreis verliehen. Der Unterschied zwischen stabilisierten psychischen und physischen Erkrankungen besteht oft nur in unseren Köpfen. Oder hat man jemals an der Leistungsfähigkeit einer Hillary Clinton gezweifelt, obwohl sie ihre Schilddrüsenunterfunktion dauerhaft medikamentös behandeln muss? Fast – aber auch nur fast – wäre sie damit Präsidentin geworden. Und bei Gott: Auch wenn ich nie ihr Fangirl war – ich wünschte, sie hätte es geschafft.

Ein Prozent der Menschheit lebt mit Schizophrenie. Mir geht es nicht darum, eine ernstzunehmende Erkrankung zu bagatellisieren. Aber keine Krankheit der Welt sollte ein Grund sein, sich zu verstecken – aus Scham oder aus Angst, weniger wert oder leistungsfähig zu erscheinen. Denn was ist schon normal?

Ich freue mich über euer Feedback und euren Input.

Lasst uns einfach drüber sprechen …

Eure Constance

Schizophren

Ein Mensch, zwei Facetten?