Neurodiversität - Bunt im Kopf, stark im Leben

In den nächsten Artikeln möchte ich mich mit einem Thema beschäftigen, das derzeit in meiner Wahrnehmung insbesondere im Businesskontext ziemlich gehypt wird, von dem trotzdem gefühlt zu wenige Menschen wissen, was es genau damit auf sich hat: Neurodiversität. In diesem ersten Artikel zum Thema möchte ich euch einen kurzen Überblick darüber geben, um dann in den nächsten Wochen tiefer in einzelne Themenkomplexe einzusteigen.

Was hat es also mit diesem Begriff auf sich? - Im Prinzip geht es um kognitive Vielfalt.

Natürlich ist unser Gehirn kein Computer, sondern so viel mehr. Um möglichst anschaulich zu sein, stellen wir uns trotzdem mal vor, unser Gehirn wäre ein Computer. Bei den einen läuft Windows, bei den anderen macOS, und manche haben ein Betriebssystem, das aussieht wie eine Mischung aus Tetris, Jazzmusik und einem Chamäleon. Willkommen in der Welt der Neurodiversität – ein Begriff, der beschreibt, dass unser Denken, Fühlen und Wahrnehmen so unterschiedlich ist wie unsere Fingerabdrücke.

Und das ist keine „Fehlfunktion“. Es ist Vielfalt. Genau wie in der Natur: Ohne bunte Blumenwiesen gäbe es nur langweilige Rasenflächen – und niemand möchte ernsthaft den ganzen Sommer nur auf einer Rasenfläche verbringen.

ADHS – Das Leben in High Definition

Menschen mit ADHS haben oft das Gefühl, als würde ihr Gehirn mehrere Tabs gleichzeitig offenhalten – und alle spielen Musik. Sie springen von Idee zu Idee, entdecken Zusammenhänge, die anderen verborgen bleiben, und bringen Energie in Räume, in denen vorher Lustlosigkeit herrschte.

Klar, manchmal vergisst man den Termin (oder gleich den ganzen Kalender), aber dafür kann man in einer Nacht ein komplettes Konzept aus dem Boden stampfen, wenn man Feuer gefangen hat. ADHS ist nicht nur „zu viel Energie“ – es ist Kreativität auf Speed.

Autismus – Das tiefe Meer unter der Oberfläche

Autistische Menschen nehmen die Welt oft wie in 4K-Auflösung wahr – jedes Detail, jede Nuance, jeder Wassertropfen auf einem Blatt. Sie sind Meister*innen der Genauigkeit, loyale Freunde, die meinen, was sie sagen, und sagen, was sie meinen.

Ja, manchmal ist Smalltalk so nervig wie ein Stein im Schuh. Und Veränderungen fühlen sich an, als würde jemand den Möbelplan im Kopf umstellen. Aber in einer Welt, die gerne alles oberflächlich betrachtet, erinnern autistische Menschen uns daran, wie wertvoll Tiefe, Ehrlichkeit und Klarheit sind.

Hypersensibilität – Wenn die Welt etwas lauter ist

Für hochsensible Menschen ist das Leben manchmal wie ein Radio, das immer auf maximale Lautstärke eingestellt ist – nur, dass es nicht nur Geräusche betrifft, sondern auch Gerüche, Licht, Stimmungen und Energien im Raum.

Das kann überwältigend sein, aber es bringt auch eine Superkraft mit sich: Empathie, Intuition und die Fähigkeit, Schönheiten wahrzunehmen, die andere gar nicht bemerken. Hochsensible Menschen sehen den Glanz in Kleinigkeiten – und spüren, wenn es anderen nicht gut geht, oft bevor diese es selbst wissen.

Legasthenie & Dyskalkulie – Das andere Navigationssystem

Menschen mit Legasthenie oder Dyskalkulie lesen und verarbeiten Informationen auf eigene Weise. Buchstaben können tanzen, Zahlen sich verstecken – aber dafür denken viele von ihnen in Bildern, Konzepten und Ideen, die weit über das hinausgehen, was auf einem Blatt Papier steht.

Ein Text wird vielleicht langsamer gelesen, aber Inhalte werden oft tiefer verstanden. Zahlenreihen können Kopfzerbrechen bereiten, aber im kreativen oder räumlichen Denken werden Meisterwerke erschaffen. Wer will schon eine Welt, in der alle nur in Tabellen denken? Nicht umsonst wird, wenn im Silicon Valley Programmierer gesucht werden, oft spezifisch nach Legasthenikern gesucht. Sie haben ein überproportional großes Talent zum Programmieren, die Bilder hinter den Codes zu sehen und somit den Überblick zu bewahren.

Je nach Quelle werden auch Tic-Störungen einschließlich des Tourette-Syndroms und Dyspraxie (das heißt ein veränderter Ablauf und eine andere Koordination im Bewegungsablauf) zu den neurodiversen Ausprägungen gezählt.

Warum Neurodiversität uns alle angeht

Neurodiversität bedeutet, dass Unterschiede nicht „Reparaturfälle“ sind, sondern wertvolle Perspektiven. Menschen, die anders denken, fragen, die andere Lösungen finden und andere Wege sehen.

In Teams, Freundschaften und Familien sind neurodiverse Köpfe oft die, die den entscheidenden Funken bringen. Sie erinnern uns daran, dass Normalität nur eine statistische Erfindung ist – und dass das Menschsein von Vielfalt lebt. Ja, Neurodiversität wird in unserer Gesellschaft häufig mit einer Diagnose belegt. Wobei diese Diagnose nicht als Stigma betrachtet werden sollte, sondern als Möglichkeit, Menschen mit Fähigkeiten sichtbar zu machen, die uns „neurotypischen“ Menschen fehlen. Neurodiversität ist nichts anderes als die Feststellung einer Abweichung von der Norm. Ist das gut oder schlecht? In meinem nächsten Artikel werde ich mich ausführlich damit beschäftigen, welche Spannungsfelder mit dieser Unterschiedlichkeit einhergehen. Und hey, du bist nicht allein, sondern gehörst zu 20 Prozent – 20 Prozent, die aufhören sollten, ihre oft als Diagnose stigmatisierte Superkraft zu verstecken!

Zum Schluss

Falls du also selbst neurodivers bist: Glückwunsch und willkommen in einem exklusiven Club! Es gibt keinen Mitgliedsausweis, aber dafür jede Menge bunte Geschichten, eigene Tricks und das Wissen, dass dein Kopf vielleicht nicht der „Standardbauplan“ ist – aber dafür oft der spannendere.

Falls du nicht neurodivers bist: Glückwunsch! Du bist Teil einer Welt, in der du von anderen Denkweisen lernen kannst. Und mal ehrlich – wer möchte schon in einer Welt leben, in der alle gleich ticken?

Neurodiversität macht uns menschlicher. Sie zeigt, dass es nicht „richtig“ oder „falsch“ gibt, sondern nur anders – und manchmal ist genau dieses „anders“ das, was eine Situation rettet, eine Idee möglich macht oder ein Herz berührt.

Wie immer freue ich mich über Feedback und gerne auch eure eigenen Erfahrungen mit diesem Thema. Denn viel bunter und echter als jede Theorie ist natürlich das Leben selbst. Inspiriert mich gerne zu meinen weiteren Artikeln aus der Serie „Neurodiversität“.

Eure Constance

Bunt im Kopf…

Denn es ist auch unsere kognitive Vielfalt, die das Leben besonders macht.