ADHS

"Elias, so wie du bist!" - Die Geschichte von Jana und Mark und ihrem Sohn mit ADHS

Damals und heute

Wenn Jana heute alte Bilder von Elias aus dem Kindergarten anschaut, lächelt sie. Ein kleiner Junge mit strahlenden Augen, immer in Bewegung, immer mit etwas beschäftigt, das eigentlich gar nicht die Aufgabe war. Und doch war da schon damals viel mehr: eine Wärme, ein feiner Humor, eine unverwechselbare Art, die Welt zu sehen. Damals ahnten Jana und Mark noch nicht, wie sehr dieser Junge ihr Leben verändern würde. Sie wussten nur: Elias war anders. Und sie wussten ebenso: Er ist ihr Sohn. Und sie lieben ihn – ganz und gar.

Das Gefühl, dass etwas nicht „passt“

Elias war von Anfang an ein lebhafter Junge. Schon als Kleinkind krabbelte er früher als andere, lief dafür später. Er lachte laut und unverhohlen, weinte aber genauso heftig.

Jana erinnert sich an die ersten Elternabende im Kindergarten. Da saßen Eltern, die von Bastelergebnissen ihrer Kinder erzählten. Von Malmappen voller bunter, akribisch ausgemalter Bilder. „Elias hat das Haus nicht ausgemalt“, hatte die Erzieherin einmal gesagt und Jana vorsichtig ein Blatt hingehalten: ein paar Striche, darüber ein wilder Strudel aus Farben.

Anderen Eltern hätte dieses Bild vielleicht als Desinteresse gegolten – Jana sah darin Energie. Welt. Gefühl. Die Erzieherin wohl nicht …

Und trotzdem: Da war etwas, das sie nicht einordnen konnten. Während die anderen Kinder saßen und aufmerksam zuhörten, rutschte Elias vom Stuhl, kletterte unter den Tisch, fing Gespräche an – mitten im Morgenkreis. Er störte nicht mit Absicht. Er war einfach. Einfach Elias.

Mark versuchte es pragmatisch zu sehen. „Kinder sind verschieden“, sagte er. „Er wächst da rein.“ Jana hoffte das auch. Doch mit jedem Kita-Jahr wuchs der Druck. Nicht, weil Elias „schlimm“ war. Sondern weil die Welt eine gewisse Form von Funktion erwartete – und Elias sich nicht in diese Form legen ließ.

Zwischen Liebe und Erschöpfung

Es gibt Sätze, die brennen sich ein.

„Wir schaffen es nicht mehr, Elias in der Gruppe zu halten.“

„Er braucht so viel Aufmerksamkeit.“

„Vielleicht sollten Sie das mal abklären lassen.“

Jana hat diesen Moment vor Augen, als wäre er gestern gewesen. Sie saß auf einem kleinen Holzstuhl im Gruppenraum, auf dem Teppich lagen Bauklötze und eine noch nicht ganz fertige Ritterburg. Elias drehte Kreise um sie herum – im wahrsten Sinne des Wortes. Sie fühlte sich wie eine schlechte Mutter. Als hätte sie versagt. Als müsse sie Elias erklären, rechtfertigen, verteidigen.

Mark nahm sie in den Arm, wenn die Tage besonders schwer waren. Aber auch er war müde. Müde von Gesprächen mit Erzieher:innen. Müde vom ständigen „Bitte konzentrier dich.“ Müde vom Gefühl, dass niemand wirklich sah, wie liebevoll, sensibel und einzigartig ihr Sohn war. Denn das war er: liebevoll. Wenn Jana traurig war, merkte er es sofort. Wenn Mark abends erschöpft nach Hause kam, setzte sich Elias ganz selbstverständlich zu ihm und legte seine Hand auf sein Knie.

Er fühlte alles – nur die Welt wusste nicht, wie man mit einem Kind umgeht, das so viel fühlt.

Der Weg zur Diagnose

Als Elias acht war, begann die Grundschule. Und damit wurde alles noch deutlicher. Hausaufgaben dauerten Stunden, wenn sie überhaupt gelangen. Sitzenbleiben am Tisch war nahezu unmöglich. Das Heft war voller Fehler, aber Elias konnte erklären, wie die Aufgabe zu lösen wäre – nur die Umsetzung stolperte über sein eigenes rasendes Denken. Die Klassenlehrerin schlug eine Diagnostik vor. Nicht hart, nicht vorwurfsvoll – sondern ehrlich, offen, mitfühlend. Das war neu. Und wichtig.

Die Untersuchungen dauerten Monate. Es gab Fragebögen, Tests, Gespräche. Dann saßen Jana und Mark in einem kleinen Raum. Der Arzt sprach ruhig: „Ihr Sohn hat ADHS. Das ist keine Schuld, keine Erziehungsfrage. Es ist eine Art, wie sein Gehirn Reize verarbeitet.“ Jana atmete zum ersten Mal seit Jahren anders. Nicht leichter, aber klarer. Sie hatte nicht versagt. Elias war nicht „falsch“. Er war anders verdrahtet. Mark nickte, still. Er hatte Tränen in den Augen. Manchmal ist eine Diagnose keine Last, sondern eine Entlastung.

Die Entscheidung für Medikamente

Und dann kam die nächste Entscheidung. Ein schwieriger Schritt. Medikamente. Ritalin. Es war keine schnelle Entscheidung. Es war ein Ringen. Nächte voller Gespräche zu zweit in der Küche. Stunden im Internet, in Foren – zwischen Hoffnung und Angst. Die Vorstellung, einem Kind Medikamente zu geben, fühlt sich im ersten Moment wie ein Verrat an. Doch die Frage wurde irgendwann sehr klar: Wird Elias damit mehr Freiheit haben? Mehr Raum für sich? Mehr Möglichkeit, seine Fähigkeiten zu entfalten?

Sie probierten es. Langsam, vorsichtig, begleitet von Ärzt:innen. Und dann passierte etwas, das sich nicht wie „Verändern“ anfühlte – sondern wie „Entlasten“. Elias konnte plötzlich sitzenbleiben, lange genug, um sein Eisenbahnmodell fertigzubauen. Er konnte in der Schule zuhören, ohne innerlich zu überrennen. Er lachte weiterhin laut, er spielte weiterhin wild – aber es wirkte, als hätte jemand die Welt ein kleines Stück leiser gemacht. Nicht er wurde leiser. Die Welt um ihn herum wurde nur weniger laut.

Leben mit ADHS: Sorgen, Liebe, Zukunft

Heute ist Elias 14. Ein Teenager voller Ideen, Witz und einer Fantasie, die manchmal größer scheint als die Welt selbst. Er liebt Musik, baut komplexe Welten in Computerspielen, erklärt seinen Eltern Theorien, die er irgendwo zwischen YouTube, Physikunterricht und Sternenbeobachtung gesammelt hat. Er ist immer noch schnell. Er ist immer noch intensiv. Er ist immer noch Elias. Und Jana und Mark machen sich immer noch Sorgen. Wie wird die Pubertät sein? Wie wird er sich in einer Welt zurechtfinden, die oft Menschen bevorzugt, die linear denken, planvoll, leise?

Aber sie haben etwas gelernt: Elias muss nicht „funktionieren“, um richtig zu sein. Er muss leben dürfen. Er muss gesehen werden. Er muss geliebt werden – und das wird er.

Was man manchmal vergisst: ADHS ist keine Störung im Herzen. Keine Störung im Charakter. Keine Störung der Liebe. Es ist eine andere Art, die Welt zu fühlen, zu denken, zu reagieren. Und Elias ist nicht weniger. Er ist nicht zu viel. Er ist nicht falsch. Er ist ihr Sohn. Und in ihren Augen ist er perfekt.

Wenn Jana Elias abends ins Zimmer sieht, während er mit Kopfhörern Musik hört und gedankenverloren Skizzen zeichnet, lächelt sie. Sie weiß: Der Weg war nicht leicht. Und er wird weiterhin Kurven haben.

Aber sie weiß auch: Sie gehen diesen Weg zusammen.

Mit Liebe.

Mit Geduld.

Mit Hoffnung.

Und mit Elias.

So, wie er ist.

Zahlen, Daten, Fakten

Inzwischen wird ADHS nicht mehr zu den psychischen Störungsbildern gezählt, sondern als besondere neurobiologische Ausprägung eingeordnet, die wir heute unter dem Überbegriff der Neurodiversität subsummieren.

Ursächlich ist nach aktuellem Stand der Forschung eine Abweichung (wichtig: keine krankhafte Abweichung) in der Regulation des Hirnnetzwerks im präfrontalen Cortex. Die Veranlagung ist zu 60 bis 80 Prozent erblich.

Betroffen sind bis zu sieben Prozent aller Kinder und Jugendlichen weltweit, wobei man inzwischen von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer insbesondere bei Mädchen ausgeht, da diese ausgeprägte Strategien entwickeln können, um die Symptome zu maskieren.

Aktuell werden etwa viermal mehr Jungen als Mädchen diagnostiziert. Die neueste Forschung geht jedoch davon aus, dass ebenso viele Mädchen mit ADHS leben.

Typische Symptome sind:

  • Unaufmerksamkeit (Vergesslichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Ablenkbarkeit, Gedankenspringen)

  • Hyperaktivität (innere Unruhe, Bewegungsdrang und bei Erwachsenen häufig nach außen nicht sichtbarer innerer Druck)

  • Impulsivität (mangelnde Impulskontrolle)

Die Behandlung fußt im Idealfall auf drei Säulen:

  • Medikamente (Ritalin bzw. Methylphenidat ist hierbei das bekannteste, jedoch nicht das einzige Medikament)

  • Psychotherapie (vor allem verhaltenstherapeutische Ansätze)

  • Strukturhilfen bzw. Coaching (insbesondere im Erwachsenenalter)

In einigen, jedoch nicht allen Fällen lässt die Symptomatik bis zum Erwachsenenalter nach.

Insbesondere bei fehlender Diagnose besteht eine hohe Komorbidität zu psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen, Suchterkrankungen, Essstörungen sowie Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Und zum Abschluss noch ein Fun Fact: Viele Menschen mit ADHS haben eine hohe Kreativität, Innovationsfähigkeit und eine herausragende Problemlösungsflexibilität – wenn sie passende Umgebungen und Strukturen vorfinden.

Und wieder wird deutlich: Das Problem ist nicht der Mensch – sondern das Umfeld.

Ich freue mich wie immer über Feedback, Fragen und Anmerkungen zum Thema.

Eure Constance

Gemeinsam - mit Liebe und Akzeptanz

ADHS bei Frauen: Wenn das Funktionieren zur Krankheit wird

Ein Zusammenbruch, der alles veränderte

Als Mira an einem Montagmorgen im März die Tür ihres Ateliers hinter sich schloss, hatte sie nicht geplant, zusammenzubrechen. Sie wollte nur kurz Luft holen. Ein paar Schritte gehen, vielleicht einen Kaffee holen, den Kopf freibekommen. Doch ihre Beine trugen sie nicht mehr. Stattdessen fand sie sich auf dem kalten Pflaster sitzend wieder – zitternd, weinend, unfähig zu verstehen, was gerade geschah.

Zwei Tage später lag sie in einem weißen Bett auf der geschlossenen Station einer psychiatrischen Klinik. Die Diagnose: schwere depressive Episode mit suizidalen Gedanken. Die eigentliche Erkenntnis über ihren Zustand kam jedoch erst Wochen später – in Form von vier Buchstaben, die ihr Leben rückblickend in völlig neuem Licht erscheinen ließen: ADHS.

Ein Leben voller Ideen – und innerer Erschöpfung

Mira war 35, als sie zum ersten Mal von einer Ärztin hörte, dass sie wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang mit einem Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom gelebt hatte – ohne es zu wissen.

„Sie sind nicht faul. Nicht undiszipliniert. Sie sind erschöpft, weil Sie seit Jahrzehnten kompensieren“, sagte die Ärztin leise, als Mira vor ihr saß, Tränen in den Augen.

Mira war Grafikdesignerin – talentiert, kreativ, erfolgreich. Ihre Kund:innen liebten ihre Ideen, ihre Energie, ihr Gespür für Ästhetik. Doch hinter der glänzenden Oberfläche tobte ein anderes Leben – eines aus Chaos, Überforderung und ständiger Selbstkritik.

Sie konnte Nächte durcharbeiten, weil sie im „Hyperfokus“ versank, und tagelang keine Mails beantworten, weil schon das Öffnen des Postfachs Panik auslöste. Termine vergaß sie, obwohl sie akribisch Listen führte. Rechnungen lagen halbfertig in Entwürfen, weil sie sich nicht überwinden konnte, sie fertigzustellen.

Von außen sah man nur: Mira, die Kreative. Mira, die Sprunghafte. Mira, die Unzuverlässige – aber auch Mira, die immer wieder irgendwie „liefert“. Die liebenswerte, herzenswarme Mira.

Drinnen jedoch wuchs der Druck – immer stärker, immer leiser.

Das Masking-Phänomen – Wenn Frauen funktionieren, bis sie es nicht mehr können

Viele Frauen mit ADHS werden oft spät oder gar nicht diagnostiziert. Das liegt nicht an mangelnder Aufmerksamkeit oder fehlender Hilfe, sondern an gesellschaftlichen Erwartungen an Mädchen, sich anzupassen, nicht aufzufallen – und daran, wie ADHS sich bei Frauen häufig anders zeigt als bei Männern. Während bei Jungen die Hyperaktivität auffällt – das Zappeln, das Stören, das „Nicht-still-sitzen-Können“ – zeigt sich ADHS bei Mädchen oft verdeckter: als innere Unruhe, Perfektionismus, emotionale Überflutung. Viele entwickeln früh Strategien, um nicht aufzufallen. Sie funktionieren. Sie gleichen aus. Sie „machen“ – und genau dieses permanente „Machen“ wird später zum Verhängnis. Psycholog:innen sprechen hier vom sogenannten „Masking-Phänomen“: Frauen mit unerkannter ADHS bauen sich über Jahre aufwendige Strukturen, Routinen und Masken, um nicht aufzufallen. Sie übernehmen Verantwortung, organisieren, überkompensieren. Bis der Akku leer ist – und die Fassade bricht.

Bei Mira geschah das schleichend. Erst waren es kleine Dinge: vergessene Deadlines, ständige Müdigkeit, Reizbarkeit. Dann kamen die Selbstzweifel: Warum schaffe ich nicht, was andere scheinbar mühelos hinbekommen? Schließlich folgten die Nächte, in denen sie starr im Bett lag und sich fragte, ob das alles noch Sinn ergibt.

Wenn die Komorbiditäten übernehmen

ADHS kommt selten allein. Vor allem bei spät diagnostizierten Menschen sind Komorbiditäten – also begleitende psychische Erkrankungen – eher die Regel als die Ausnahme.

Mira litt unter einer Depression, die immer wieder aufflammte, wenn der Druck zu groß wurde. Dazu kam eine heimliche Alkoholsucht, die sie sich lange nicht eingestehen wollte. Abends, nach stundenlangen Projekten und überreizten Tagen, war das Glas Wein die einzige Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen. Dann zwei. Dann drei.

„Ich wollte nur das Chaos im Kopf leiser machen“, sagte sie später.

Diese selbstmedikative Suche nach Entlastung ist bei ADHS-Betroffenen weit verbreitet – und gefährlich. Der Mangel an Dopamin, der das Belohnungssystem im Gehirn beeinflusst, führt oft dazu, dass Betroffene nach schnellen Reizen oder Entspannung durch Substanzen suchen: Alkohol, Nikotin, Essen, Arbeit, Sex, Social Media.

In Miras Fall wurde der Alkohol zum Symptom einer tieferen Not – eines Lebens, das permanent zu viel forderte und gleichzeitig zu wenig Verständnis bekam.

Der Zusammenbruch – und der Anfang eines neuen Lebens

Der Zusammenbruch im März war kein Ergebnis einer besonders anstrengenden Phase, sondern das Ende einer langen Entwicklung. Mira hatte seit Monaten nicht mehr richtig geschlafen, viel zu wenig gegessen, kaum noch gearbeitet. Die Depression war zur Leere geworden, der Alkohol zum stummen Begleiter.

Als sie schließlich auf der Station ankam, fühlte sie nur Erleichterung: Endlich nichts mehr müssen.

Die Diagnose ADHS kam erst nach mehreren Wochen.

Eine junge Psychotherapeutin hatte aufmerksam zugehört, als Mira von ihrer Schulzeit erzählte – von Lehrerkommentaren („Sie ist so begabt, aber sie könnte sich mehr anstrengen“), von verlegten Schlüsseln, chaotischen Schreibtischen, impulsiven Entscheidungen, die ihr Leben immer wieder in neue Bahnen lenkten.

Ein Test, ein ausführliches Gespräch – und schließlich die Erkenntnis: Das, was Mira ihr Leben lang für persönliches Versagen gehalten hatte, war Teil ihres neurobiologischen Musters.

Selbstverständnis statt Selbstvorwurf

Die Wochen nach der Diagnose waren ambivalent: Erleichterung – endlich eine Erklärung. Aber auch Trauer – über all die Jahre, die sie damit verbracht hatte, sich falsch zu fühlen.

Sie begann, über ihr Leben nachzudenken: Wie viel Kraft sie darauf verwendet hatte, „normal“ zu wirken. Wie viele Beziehungen darunter gelitten hatten, dass sie ständig zwischen Überforderung und Rückzug pendelte. Wie oft sie sich selbst als faul, unkonzentriert, chaotisch beschimpft hatte.

Heute, zwei Jahre später, spricht Mira offen über ihre Diagnose. Sie nimmt Medikamente, hat ihre Trinkgewohnheiten aufgegeben, geht regelmäßig in Therapie. Sie arbeitet wieder – langsamer, bewusster, ehrlicher.

„Ich weiß jetzt, dass mein Gehirn einfach anders funktioniert“, sagt sie. „Nicht schlechter – anders. Ich brauche andere Strukturen, mehr Pausen, weniger Schuldgefühle.“

Warum Aufklärung über ADHS bei Frauen so wichtig ist

Miras Geschichte steht für viele. Die Zahl der Frauen, die erst im Erwachsenenalter – oft nach Krisen, Zusammenbrüchen oder Burnouts – die Diagnose ADHS erhalten, steigt stetig. Diese späte Erkenntnis ist einerseits befreiend, andererseits erschütternd. Denn sie zeigt, wie sehr das gesellschaftliche Bild von „angepassten, leistungsfähigen“ Frauen dazu beiträgt, dass neurodivergente Lebensweisen übersehen werden.

ADHS bei Frauen bedeutet nicht immer Hyperaktivität. Es bedeutet häufig emotionale Intensität, Reizüberflutung, chronische Erschöpfung, innere Zerrissenheit – und den ständigen Versuch, es trotzdem allen recht zu machen.

Je mehr darüber gesprochen wird, desto eher kann Leid verhindert werden. Denn das eigentliche Problem ist nicht die neurobiologische Andersartigkeit, sondern das Unverständnis einer Umwelt, die Anpassung verlangt, wo Akzeptanz nötig wäre.

Ein neuer Blick

Mira hat gelernt, sich selbst anders zu sehen. Nicht als defekt, sondern als Mensch mit einem besonderen Nervensystem, das Sensibilität, Kreativität und Energie mit sich bringt – aber auch Verletzlichkeit.

Sie sagt heute: „Ich bin nicht geheilt. Ich bin verstanden. Und das ist der Unterschied, der mich leben lässt.“

Miras Geschichte ist ein Aufruf – zum Hinschauen, zum Verstehen, zum Anerkennen, dass viele Frauen mit ADHS jahrzehntelang kämpfen, ohne zu wissen, wogegen. Und sie erinnert daran, dass Heilung oft dann beginnt, wenn das eigene Leben endlich Sinn ergibt.

Ich selbst durfte viele wunderbare Frauen mit ADHS kennenlernen, die zum Teil lange Wege bis zur Diagnose und zum Verstehen gegangen sind. Ich durfte Mädchen kennenlernen, die schon als Kinder lernen durften, mit ihrer Einzigartigkeit umzugehen. Und natürlich kenne ich auch mindestens ebenso viele Geschichten von Jungen und Männern.

Jedoch werden bis heute etwa siebenmal mehr Jungen als Mädchen mit ADHS diagnostiziert – und erhalten so auch die passende Hilfe und Unterstützung. Lange ging man davon aus, dass Jungen einfach anfälliger sind, ADHS bei Jungs und Männern häufiger vorkommt. Inzwischen ändert sich die Lehrmeinung: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Mädchen ebenso häufig betroffen sind wie Jungen.

Mit diesem ersten Artikel zu ADHS war es mir deshalb besonders wichtig, auf die weibliche Form dieser neurodiversen Ausprägung aufmerksam zu machen. In zwei Wochen geht es mit der männlichen Perspektive weiter. Bis dahin freue ich mich sehr auf eure Erfahrungen, euer Feedback und eure Anmerkungen.

Eure Constance

Funktionieren und Anpassen

ADHS bei Frauen und Mädchen - der unsichtbare Tornado in der Seele

Neurodiversität - Bunt im Kopf, stark im Leben

In den nächsten Artikeln möchte ich mich mit einem Thema beschäftigen, das derzeit in meiner Wahrnehmung insbesondere im Businesskontext ziemlich gehypt wird, von dem trotzdem gefühlt zu wenige Menschen wissen, was es genau damit auf sich hat: Neurodiversität. In diesem ersten Artikel zum Thema möchte ich euch einen kurzen Überblick darüber geben, um dann in den nächsten Wochen tiefer in einzelne Themenkomplexe einzusteigen.

Was hat es also mit diesem Begriff auf sich? - Im Prinzip geht es um kognitive Vielfalt.

Natürlich ist unser Gehirn kein Computer, sondern so viel mehr. Um möglichst anschaulich zu sein, stellen wir uns trotzdem mal vor, unser Gehirn wäre ein Computer. Bei den einen läuft Windows, bei den anderen macOS, und manche haben ein Betriebssystem, das aussieht wie eine Mischung aus Tetris, Jazzmusik und einem Chamäleon. Willkommen in der Welt der Neurodiversität – ein Begriff, der beschreibt, dass unser Denken, Fühlen und Wahrnehmen so unterschiedlich ist wie unsere Fingerabdrücke.

Und das ist keine „Fehlfunktion“. Es ist Vielfalt. Genau wie in der Natur: Ohne bunte Blumenwiesen gäbe es nur langweilige Rasenflächen – und niemand möchte ernsthaft den ganzen Sommer nur auf einer Rasenfläche verbringen.

ADHS – Das Leben in High Definition

Menschen mit ADHS haben oft das Gefühl, als würde ihr Gehirn mehrere Tabs gleichzeitig offenhalten – und alle spielen Musik. Sie springen von Idee zu Idee, entdecken Zusammenhänge, die anderen verborgen bleiben, und bringen Energie in Räume, in denen vorher Lustlosigkeit herrschte.

Klar, manchmal vergisst man den Termin (oder gleich den ganzen Kalender), aber dafür kann man in einer Nacht ein komplettes Konzept aus dem Boden stampfen, wenn man Feuer gefangen hat. ADHS ist nicht nur „zu viel Energie“ – es ist Kreativität auf Speed.

Autismus – Das tiefe Meer unter der Oberfläche

Autistische Menschen nehmen die Welt oft wie in 4K-Auflösung wahr – jedes Detail, jede Nuance, jeder Wassertropfen auf einem Blatt. Sie sind Meister*innen der Genauigkeit, loyale Freunde, die meinen, was sie sagen, und sagen, was sie meinen.

Ja, manchmal ist Smalltalk so nervig wie ein Stein im Schuh. Und Veränderungen fühlen sich an, als würde jemand den Möbelplan im Kopf umstellen. Aber in einer Welt, die gerne alles oberflächlich betrachtet, erinnern autistische Menschen uns daran, wie wertvoll Tiefe, Ehrlichkeit und Klarheit sind.

Hypersensibilität – Wenn die Welt etwas lauter ist

Für hochsensible Menschen ist das Leben manchmal wie ein Radio, das immer auf maximale Lautstärke eingestellt ist – nur, dass es nicht nur Geräusche betrifft, sondern auch Gerüche, Licht, Stimmungen und Energien im Raum.

Das kann überwältigend sein, aber es bringt auch eine Superkraft mit sich: Empathie, Intuition und die Fähigkeit, Schönheiten wahrzunehmen, die andere gar nicht bemerken. Hochsensible Menschen sehen den Glanz in Kleinigkeiten – und spüren, wenn es anderen nicht gut geht, oft bevor diese es selbst wissen.

Legasthenie & Dyskalkulie – Das andere Navigationssystem

Menschen mit Legasthenie oder Dyskalkulie lesen und verarbeiten Informationen auf eigene Weise. Buchstaben können tanzen, Zahlen sich verstecken – aber dafür denken viele von ihnen in Bildern, Konzepten und Ideen, die weit über das hinausgehen, was auf einem Blatt Papier steht.

Ein Text wird vielleicht langsamer gelesen, aber Inhalte werden oft tiefer verstanden. Zahlenreihen können Kopfzerbrechen bereiten, aber im kreativen oder räumlichen Denken werden Meisterwerke erschaffen. Wer will schon eine Welt, in der alle nur in Tabellen denken? Nicht umsonst wird, wenn im Silicon Valley Programmierer gesucht werden, oft spezifisch nach Legasthenikern gesucht. Sie haben ein überproportional großes Talent zum Programmieren, die Bilder hinter den Codes zu sehen und somit den Überblick zu bewahren.

Je nach Quelle werden auch Tic-Störungen einschließlich des Tourette-Syndroms und Dyspraxie (das heißt ein veränderter Ablauf und eine andere Koordination im Bewegungsablauf) zu den neurodiversen Ausprägungen gezählt.

Warum Neurodiversität uns alle angeht

Neurodiversität bedeutet, dass Unterschiede nicht „Reparaturfälle“ sind, sondern wertvolle Perspektiven. Menschen, die anders denken, fragen, die andere Lösungen finden und andere Wege sehen.

In Teams, Freundschaften und Familien sind neurodiverse Köpfe oft die, die den entscheidenden Funken bringen. Sie erinnern uns daran, dass Normalität nur eine statistische Erfindung ist – und dass das Menschsein von Vielfalt lebt. Ja, Neurodiversität wird in unserer Gesellschaft häufig mit einer Diagnose belegt. Wobei diese Diagnose nicht als Stigma betrachtet werden sollte, sondern als Möglichkeit, Menschen mit Fähigkeiten sichtbar zu machen, die uns „neurotypischen“ Menschen fehlen. Neurodiversität ist nichts anderes als die Feststellung einer Abweichung von der Norm. Ist das gut oder schlecht? In meinem nächsten Artikel werde ich mich ausführlich damit beschäftigen, welche Spannungsfelder mit dieser Unterschiedlichkeit einhergehen. Und hey, du bist nicht allein, sondern gehörst zu 20 Prozent – 20 Prozent, die aufhören sollten, ihre oft als Diagnose stigmatisierte Superkraft zu verstecken!

Zum Schluss

Falls du also selbst neurodivers bist: Glückwunsch und willkommen in einem exklusiven Club! Es gibt keinen Mitgliedsausweis, aber dafür jede Menge bunte Geschichten, eigene Tricks und das Wissen, dass dein Kopf vielleicht nicht der „Standardbauplan“ ist – aber dafür oft der spannendere.

Falls du nicht neurodivers bist: Glückwunsch! Du bist Teil einer Welt, in der du von anderen Denkweisen lernen kannst. Und mal ehrlich – wer möchte schon in einer Welt leben, in der alle gleich ticken?

Neurodiversität macht uns menschlicher. Sie zeigt, dass es nicht „richtig“ oder „falsch“ gibt, sondern nur anders – und manchmal ist genau dieses „anders“ das, was eine Situation rettet, eine Idee möglich macht oder ein Herz berührt.

Wie immer freue ich mich über Feedback und gerne auch eure eigenen Erfahrungen mit diesem Thema. Denn viel bunter und echter als jede Theorie ist natürlich das Leben selbst. Inspiriert mich gerne zu meinen weiteren Artikeln aus der Serie „Neurodiversität“.

Eure Constance

Bunt im Kopf…

Denn es ist auch unsere kognitive Vielfalt, die das Leben besonders macht.