Psychische Erkrankung

Schizophrenie hat nichts mit "gespaltenen Persönlichkeiten" zu tun! - Ein Aufklärungsversuch

Aus der Reihe „(gefährliches) Halbwissen“

Wahrscheinlich geht es vielen so, wie es auch mir vor meiner Ausbildung ging: Ich war fest davon überzeugt, genau zu wissen, was mit schizophren gemeint war. Ich habe von schizophrenen Aussagen gesprochen, wenn ich widersprüchlich meinte, und dachte, dass Schizophrenie natürlich etwas mit einer gespaltenen, weil widersprüchlichen Persönlichkeit zu tun habe. Ich durfte lernen, dass dem nicht so ist. Sogenannte gespaltene Persönlichkeiten gibt es in der Tat auch – dieses Krankheitsbild wird als dissoziative Identitätsstörung bezeichnet. Mit Schizophrenie hat diese Erkrankung herzlich wenig zu tun: weder im Erscheinungsbild, noch in der erlebten Symptomatik und auch nicht im Ursprung.

Während meiner Ausbildung war das Modul zu schizophrenen Störungsbildern gefühlt das spannendste – weil es das überraschendste war. Auch aus diesem Grund habe ich mich entschieden, Schizophrenie als initiales Thema für meine Blog-Reihe „Wir sind doch nicht verrückt!“ zu wählen.

Was ist Schizophrenie? Und wo kommt sie her?

Bei Schizophrenie handelt es sich um eine schwere psychische Erkrankung, die das Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Verhalten eines Menschen tiefgreifend beeinträchtigt. Sie zählt zu den sogenannten psychotischen Störungsbildern – also zu den Erkrankungen, bei denen die Realitätswahrnehmung erheblich gestört ist. Weltweit leiden länder- und kulturkreisübergreifend etwa ein Prozent der Bevölkerung an einer Schizophrenie. Schon anhand dieser recht homogenen Verteilung liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine genetisch begünstigte Erkrankung handelt – und das stimmt. Jeder, der an Schizophrenie erkrankt, weist eine entsprechende genetische Disposition auf. Schizophrenie ist also erblich, aber nicht zwangsläufig! Nicht jeder, der diese Disposition hat, erkrankt auch tatsächlich. Woran liegt das?

Es ist nicht die Genetik allein, die den Ausbruch der Krankheit beeinflusst – sie stellt jedoch die Voraussetzung dafür dar. Hinzu kommen vor dem Ausbruch verschiedene Faktoren wie Stress, kleinere oder größere Traumata im Leben oder etwa auch der Konsum von Cannabis. Man beschreibt diesen Zusammenhang mit dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell.

Wie sieht eine Schizophrenie denn nun aus?

Vorweg sei gesagt: Die eine Schizophrenie gibt es nicht. Es gibt ganz unterschiedliche Erscheinungsformen – dazu gleich mehr. Allerdings gibt es zentrale Merkmale, anhand derer man alle Formen der Schizophrenie diagnostizieren kann.

Eine Schizophrenie verläuft immer in Phasen. In der „Vor-Phase“, der Prodromalphase, ziehen sich Betroffene häufig zurück, werden ängstlich, schreckhaft, unsicher. In der Akutphase treten dann einige zentrale Symptome auf. Hierzu zählen vor allem Halluzinationen – insbesondere akustische. Die Betroffenen hören oft aber nicht immer Stimmen. Für gewöhnlich handelt es sich nicht um befehlende Stimmen in der Du-Form, sondern um kommentierende oder dialogisierende Stimmen. Außerdem können Wahnvorstellungen auftreten – das heißt, die Betroffenen halten an festen, nicht korrigierbaren und häufig bizarren Vorstellungen fest. Häufig beobachtet man Verfolgungswahn, Beeinflussungswahn oder das subtile Gefühl des „Gemachten“, also eine Art Beeinflussungswahn.

Ein weiterer Hinweis auf Schizophrenie können sogenannte Ich-Störungen sein. Das bedeutet, die Betroffenen glauben etwa, ihre Gedanken würden ihnen von außen eingegeben oder entzogen, oder sie seien laut und für jedermann hörbar. Auch Auffälligkeiten im Denken und Verhalten sind typisch: unlogisches, sprunghaftes Denken, exzentrisches Verhalten, unpassende Gefühlsäußerungen, motorische Auffälligkeiten und mehr.

Welche Symptome in welcher Ausprägung auftreten, hängt von der Art der Schizophrenie ab. Die drei wichtigsten Formen stelle ich im Folgenden vor:

Die paranoide Schizophrenie

Die wahrscheinlich bekannteste – und mit etwa 80 % häufigste – Form ist die paranoide Schizophrenie. Hier steht der paranoide Wahn im Vordergrund, oft in Kombination mit akustischen Halluzinationen. Meist bricht die Erkrankung zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr aus, bei Männern eher früher und bei Frauen etwas später.

Die hebephrene Schizophrenie

Eine weniger bekannte Form ist die hebephrene Schizophrenie, die etwa 15 % der Fälle ausmacht. Der Begriff hebephren stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „die Jugend und den Verstand betreffend“. Diese Form tritt typischerweise in der Jugend auf und hat meist eine schlechtere Prognose als die paranoide Form. Sie ist gekennzeichnet durch desorganisiertes Denken, unzusammenhängende Sprache, zielloses Verhalten und oft auch Vernachlässigung der Körperpflege. Hinzu kommen affektive Symptome – entweder eine Abflachung der Gefühle oder unangemessene Emotionen, etwa lautes Lachen in traurigen Situationen oder kindlich-albernes Verhalten. Wahn und Halluzinationen treten hier nur selten und wenn, dann flüchtig auf.

Die katatone Schizophrenie

Eine dritte, eher seltene und in ihrer Erscheinung völlig andere Form ist die katatone Schizophrenie. Hier steht in der Akutphase die Motorik im Vordergrund – etwa in Form von Stupor (vollständige Bewegungslosigkeit), Haltungsstereotypien, katatoner Erregung (starke Unruhe), Befehlsautomatismus oder Rigidität (starre Haltungen).

Ihr seht: Die eine Schizophrenie gibt es nicht. Vielmehr handelt es sich um ein vielfältiges Krankheitsbild, das vor allem nichts mit einer gespaltenen Persönlichkeit zu tun hat.

Nach Abklingen der Akutphase zeigt sich oft eine andere Facette des erkrankten Menschen. In dieser Phase wirken die Betroffenen oft passiv, depressiv, zurückgezogen. Der ehemals überaktive Mensch mit wilden Wahnvorstellungen wirkt nun traurig, spricht wenig, meidet Kontakt. Es ist und bleibt derselbe Mensch – allerdings nun mit einem anderen „hormonellen Cocktail“ im System. Und dieser führt uns zur Behandlung und Prognose der Erkrankung.

Behandlung und Prognose

Da unter anderem eine neurobiologische Veränderung – zum Beispiel ein gestörter Dopaminstoffwechsel – an der Erkrankung beteiligt ist, gehört die Behandlung zunächst in ärztliche Hände. Ein Psychiater verordnet sogenannte Neuroleptika oder Antipsychotika. Diese gibt es in unterschiedlichen Wirkstärken, die je nach Phase (akut, postakut oder zur Rückfallprophylaxe) angepasst werden. Psychotherapeutisch wird vor allem begleitend gearbeitet – häufig mit kognitiver Verhaltenstherapie, Psychoedukation (also dem Verstehen der eigenen Krankheit) oder auch im Rahmen einer Familientherapie.

Insgesamt sind die Prognosen für Schizophrenien recht gut. Es gilt die sogenannte Drittel-Regel: Bei einem Drittel der Betroffenen heilt die Erkrankung nach der ersten Episode vollständig aus. Ein weiteres Drittel erreicht durch medikamentöse Therapie eine stabile Lebensführung. Nur bei einem Drittel verschlechtert sich das Krankheitsbild im Verlauf.

Raus aus der Scham und dem Tabu

Mir ist es wichtig, auf diesem Weg darüber aufzuklären, dass Menschen mit der Diagnose Schizophrenie keineswegs verrückt sind – und erst recht nicht dauerhaft weggesperrt werden müssen. Es handelt sich um eine Erkrankung, die unter anderem durch neurobiologische Prozesse ausgelöst wird – und in den meisten Fällen medikamentös gut behandelt werden kann.

Es handelt sich bei den Betroffenen um wertvolle, häufig erfolgreiche und leistungsfähige Mitglieder unserer Gesellschaft. Manche bekommen – wie John Nash – sogar den Nobelpreis verliehen. Der Unterschied zwischen stabilisierten psychischen und physischen Erkrankungen besteht oft nur in unseren Köpfen. Oder hat man jemals an der Leistungsfähigkeit einer Hillary Clinton gezweifelt, obwohl sie ihre Schilddrüsenunterfunktion dauerhaft medikamentös behandeln muss? Fast – aber auch nur fast – wäre sie damit Präsidentin geworden. Und bei Gott: Auch wenn ich nie ihr Fangirl war – ich wünschte, sie hätte es geschafft.

Ein Prozent der Menschheit lebt mit Schizophrenie. Mir geht es nicht darum, eine ernstzunehmende Erkrankung zu bagatellisieren. Aber keine Krankheit der Welt sollte ein Grund sein, sich zu verstecken – aus Scham oder aus Angst, weniger wert oder leistungsfähig zu erscheinen. Denn was ist schon normal?

Ich freue mich über euer Feedback und euren Input.

Lasst uns einfach drüber sprechen …

Eure Constance

Schizophren

Ein Mensch, zwei Facetten?