Persönlichkeit

Warum wir alle ein bisschen Traumatherapeut*in sein sollten

- Oder das Zauberhafteste, das ich in den letzten beiden Wochen gehört habe!

„Wenn wir unser Gegenüber nicht repräsentativ für ein Problem sehen, das es zu lösen gilt, sondern als eine Erfahrung, die es zu machen gilt, legen wir die Basis.“ So oder so ähnlich hat sich die großartige Dr. Pat Ogden im Rahmen einer Weiterbildung, an der ich kürzlich teilgenommen habe, ausgedrückt. Was für ein Satz! Wie viel positive Energie und wie viel Weisheit. Sind Erfahrungen immer positiv? Nein, natürlich nicht. Aber sie sind immer hilfreich und lassen uns zu dem werden, der oder die wir sind.

Meine aktuelle Weiterbildung ist das „Advanced Master Program of the Treatment of Trauma“ am National Institute for the Clinical Application of Behavioral Medicine in den USA, an dem ich in den letzten beiden Wochen virtuell teilnehmen durfte. Dank der Zeitverschiebung gibt es Vorlesungen zur besten Sendezeit um 19:00 Uhr! Ja, es geht um Traumata, und um zu verstehen, wie man mit dieser von Dr. Ogden beschriebenen Haltung an Traumata arbeiten kann, ist es im ersten Schritt hilfreich, zunächst zu verstehen, was ein Trauma ist.

Trauma – Was ist das überhaupt?

Ein psychisches Trauma ist die Verletzung unserer Seele oder Psyche, die durch ein belastendes Ereignis hervorgerufen wurde. Ein wirklich weites Feld. Ein sehr bekanntes und sich drastisch auswirkendes Trauma ist die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), von der wir alle schon einmal im Kontext von Gewaltverbrechen oder Krieg gehört haben. Man geht davon aus, dass etwa die Hälfte aller Kriegsflüchtlinge an einer PTBS leidet. Bei etwa einem Drittel hat sich diese mutmaßlich chronifiziert und zu einer dauerhaften Persönlichkeitsveränderung geführt – eine Erkrankung, die man früher auch als KZ-Syndrom bezeichnet hat. Heute vielleicht das Afghanistan-, Syrien- oder Ukraine-Syndrom?

Bei einem Trauma führen belastende Erlebnisse dazu, dass das Nervensystem wie bei einer PTBS in völliger Überlastung läuft oder dass man das Erlebte abspaltet, um es aus der aktiven Erinnerung zu streichen. Hierbei kann es sein, dass Betroffene mehrere Persönlichkeiten entwickeln – eine dissoziative Identitätsstörung. Es kann auch vorkommen, dass der Körper nicht mehr wie gewohnt funktioniert, ohne dass es eine greifbare medizinische Diagnose dazu gibt. Diese Störungen können bis hin zu Lähmung oder Blindheit reichen. Es kann zu krampf- oder tranceartigen Anfällen kommen – und so weiter und so fort. Ein Trauma kann eine psychische Erkrankung hervorrufen, die sich massiv körperlich äußern kann – kann, muss aber nicht! Denn Fakt ist: Wir alle erleben im Laufe unseres Lebens viele größere und kleinere Traumata, und unser Organismus entwickelt Schritt für Schritt Strategien, um mit diesen Verletzungen umzugehen. Ganz so, wie euer Körper weiß, wie er sich um den tiefen Schnitt im Finger, den ihr euch beim Zwiebelschneiden zugezogen habt, kümmern muss. Vielleicht bleibt eine kleine Narbe, vielleicht auch nicht. Das ist unsere Resilienz, unsere psychische Abwehrkraft. Bei großen Verletzungen – wie bei einem Oberschenkelhalsbruch, einer massiven inneren Blutung oder einer Wunde, die sich infiziert hat – braucht der Organismus Unterstützung; kleinere Wunden heilt er selbst. Leider lassen sich diese seelischen Verwundungen nicht so gut erkennen wie die rein körperlichen.

Freeze – wenn der Körper einfach dichtmacht

Ein Hinweis auf eine Traumatisierung kann ein Zustand sein, den die moderne Neurowissenschaft als Freeze, also Einfrieren, bezeichnet – einen Zustand, den wir alle wahrscheinlich kennen. In der Schule stehen wir vorne an der Tafel, und alles, was wir einmal wussten, ist weg, und wir sind nicht in der Lage zu sprechen. Ein Blackout, das uns auch im beruflichen Kontext ereilen kann. Oder ihr kommt zu einem schweren Unfall dazu, seht schwer verletzte Menschen und seid nicht handlungsfähig. Der Schock hat euch einfrieren lassen. Oder ihr werdet angegriffen, und anstatt euch zu wehren, könnt ihr noch nicht einmal um Hilfe schreien. Euer gesamter Organismus, eure neuronalen Netzwerke, sind völlig überrollt und stellen erstmal jede Aktivität, jede Reaktionsfähigkeit ein.

Evolutionshistorisch machte das alles einmal Sinn. Die primäre Freeze-Reaktion diente dazu, sich vor der Flucht oder dem Kampf kurz zu orientieren – das kann man recht gut bei Rehen beobachten, die, sobald sie die Scheinwerfer erblicken, mitten auf der Straße stehen bleiben und erstmal ins Licht schauen. Im Idealfall sind wir nach dieser kurzen Lähmung, die – wie gesagt – zur Orientierung dient, wieder handlungsfähig und gehen entweder in eine Kampf- oder Fluchtreaktion. Erscheint unserem Organismus die subjektiv empfundene Gefahr so überwältigend, dass weder Kampf noch Flucht eine Option ist, entscheidet unser Organismus, es mit Einfrieren zu versuchen. Vielleicht fallen wir dann weniger auf, und der Jäger lässt von uns ab.

Schon die Erinnerung an ein erlittenes und noch nicht komplett verarbeitetes Trauma kann eine solche Reaktion hervorrufen – insbesondere auch in einem therapeutischen Setting. Aus diesem Grund sind Freeze-Reaktionen während einer Therapie nichts Außergewöhnliches. Die Herausforderung für Therapeutinnen: In diesem Zustand ist ein Mensch nur eingeschränkt kognitiv erreichbar und interaktionsfähig. Ein direktes therapeutisches Arbeiten ist also nicht möglich. Frustrierend für den/die Therapeutin?

Wie kommt man wieder raus aus dem Freeze?

An dieser Stelle setzte die bereits genannte Dr. Pat Ogden in einer Session zum Umgang mit Freeze im therapeutischen Kontext an. Denn die Basis dafür, Menschen Schritt für Schritt aus diesem Zustand der inneren und äußeren Lähmung herauszubegleiten, ist der Aufbau einer positiv belegten Beziehung. Klar könnte man meinen, ein erstarrter Klient stelle für den Therapeuten ein Problem dar. Begegne ich einem Klienten mit dieser Haltung, wird er das selbst im Zustand der Erstarrung intuitiv spüren und sich noch weiter in sich zurückziehen. Begegnen wir den Menschen offen, neugierig und positiv, wird er dies ebenfalls spüren, sich im besten Fall ein klein wenig sicherer fühlen und sich vielleicht Schritt für Schritt aus dem Schutzbunker seiner Seele herauswagen. In der systemischen Arbeit – egal ob Coaching oder Therapie – nennen wir das Pacing oder Begleiten. Dr. Ogden bezeichnet es als „Right-To-Right-Brain-Communication“, also die oft unbewusste Kommunikation zwischen unseren rechten Hirnhälften, die die Basis für zwischenmenschliche Beziehungen darstellt. Diese Art der Kommunikation beginnt mit meiner Einstellung, meiner Haltung gegenüber der Welt, meinen Mitmenschen und mir selbst.

Im Verlauf der Vorlesung wurde auch darauf eingegangen, wie wichtig es nicht nur für Therapeut*innen ist, mit der rechten Hirnhälfte auf Menschen zu reagieren, die starr vor Verunsicherung oder Angst sind. Traumata haben viele Gesichter, und jeder von uns trägt unzählige größere oder kleinere Narben – manchmal auch offene seelische Wunden, die für andere unsichtbar bleiben. Warum also nicht achtsam und neugierig reagieren, wenn Menschen sich anders verhalten, als wir es erwarten oder wünschen? In jedem von uns steckt ein kleiner psychologischer Ersthelfer. Alles, was es braucht, ist anstelle von Druck und Ungeduld, mit Neugier und Offenheit auf andere zuzugehen. Egal, ob als Lehrer, Pflegekraft, Mediziner, als Führungskraft, Kolleg*innen oder Nachbar*innen – lasst uns als Menschen offen, empathisch und neugierig begegnen. Das Problem ist aus meiner Sicht nicht die Anwesenheit von Wut, Frust oder Hilflosigkeit, sondern die Abwesenheit von Neugier und Liebe.

„Wenn wir unser Gegenüber nicht repräsentativ für ein Problem sehen, das es zu lösen gilt, sondern als eine Erfahrung, die es zu machen gilt, legen wir die Basis.“

Heute ist Wahltag in Deutschland. So viel wurde im Vorfeld über diese Wahl geschrieben, so viel wurde diskutiert. Das Leben um uns herum scheint in diesen Tagen einigermaßen turbulent zu sein. Ich erlebe viel Angst, Verunsicherung, alte Traumata, die aufgerissen werden, und neue, die hinzukommen. Ich spüre sogar mein eigenes transgenerationales Trauma (ja, auch das gibt es!).

Mein Wunsch wäre, dass sich sowohl wir als Gesellschaft als auch unsere (demokratischen) Politiker*innen mit Neugier der jeweils anderen Position und mit Offenheit für andere Argumentationen begegnen und so gemeinsam einen Weg finden, der uns wieder enger und verständnisvoller zusammenbringt.

In diesem Sinne: Geht wählen! Der Spruch ist alt und abgedroschen, aber vielleicht noch nie so aktuell wie heute: Wer in einer Demokratie schläft, droht in einer Diktatur wieder aufzuwachen.

Eure Constance

PS:

Im Kontext von Freeze-Reaktionen gab es auch etwas, das nach Ansicht aller Dozent*innen unbedingt zu unterlassen ist: Anfassen! Oft haben wir recht schnell das Gefühl, andere berühren zu wollen, um sie zu beruhigen. Ohne die eindeutige Erlaubnis der Betroffenen ist das immer eine denkbar schlechte Idee. Insbesondere im medizinischen Kontext haben Ogden & Co. von vielen beispielhaften Situationen berichtet, in denen Menschen gegen ihren Willen berührt wurden (mit bester und freundlichster Absicht). Aufgrund ihrer Erstarrung konnten sich die Betroffenen nicht äußern und wehren und haben diese Situation als weitere Ohnmachtssituation gespeichert. „Right-Brain-To-Right-Brain-Communication“ braucht keine körperlichen Berührungen!

Nicht jede Narbe, nicht jede Wunde ist sichtbar

Trauma: Wenn die Seele nicht mehr weiter weiß.

Präzisierende Sprachmuster: Das Meta-Modell und die Kunst Menschen in Bewegung zu halten

Integration und Präzision: Zwei Seiten einer Medaille

In meinem letzten Artikel habe ich euch das sogenannte Milton-Modell oder die integrativen Kommunikationsmuster vorgestellt. Diese helfen dabei, Menschen in Bewegung zu bringen, indem man sie dort abholt, wo sie sich gerade befinden. Beim Milton-Modell geht es darum, Sprache möglichst weich zu zeichnen, damit das Gesagte für möglichst viele Menschen anschlussfähig ist.

Als Coach nutze ich das Milton-Modell, um Vertrauen aufzubauen und um meine Coachees zu „pacen“, das heißt, um eine positive, vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Diese Beziehung ist die Basis, um schließlich gemeinsam arbeiten zu können. Ähnlich können auch Führungskräfte das Milton-Modell nutzen: um Vertrauen und Anschlussfähigkeit aufzubauen.

In meiner Rolle als Coach muss ich, um eine Entwicklung voranzutreiben – ähnlich wie eine Führungskraft – jedoch irgendwann proaktiver gestalten. Im Coaching nennt sich das tatsächlich „Leading“, also die Führung übernehmen, nicht inhaltlich, aber den Prozess betreffend. Ein Coach, der sich ausschließlich auf Pacing fokussiert, ist wenig wirksam – ähnlich wie eine Führungskraft, die ausschließlich weichzeichnet, um das Vertrauen zu fördern. Eine der Methoden, die ich als Coach gerne nutze, um in Führung zu gehen, eignet sich auch ganz wunderbar für Führungskräfte und all jene, die es einmal werden wollen, um das zu schaffen, was jeder Mensch sucht: Klarheit.

Das Meta-Modell der Sprache

Das Meta-Modell wurde als eines der Kernmodelle im Neurolinguistischen Programmieren (NLP) bereits in den 1970er-Jahren von den Herren Bandler und Grinder entwickelt. Es ist eine Art Werkzeug, das hilft, unklare oder verzerrte Sprachmuster zu erkennen und zu präzisieren, um eine tiefere und genauere Kommunikation zu ermöglichen. Ziel des Meta-Modells ist es, ungenaue und vage Sprache zu hinterfragen und so unbewusste Denkmuster sichtbar zu machen und einschränkende Glaubenssätze zu erkennen.

Im Rahmen des Modells gibt es drei Hauptprozesse: Tilgung, Generalisierung und Verzerrung. Wir alle nutzen diese drei kleinen Teufelchen der Kommunikation permanent – manchmal bewusst, meistens jedoch unbewusst. An sich ist das auch völlig fein, würde es im menschlichen Miteinander dadurch nicht immer wieder zu Missverständnissen kommen, die nicht selten in Konflikte münden. Mithilfe präzisierender Fragen deckt das Meta-Modell diese Ungenauigkeiten in der Sprache auf. Wie genau das funktioniert, möchte ich euch mithilfe einiger Beispiele aufzeigen.

Lasst uns mit der Tilgung beginnen. Hier ein paar handelsübliche Tilgungen, wie wir sie alle nutzen, und die dazugehörigen Fragen, um diese Tilgungen aufzudecken:

  • „Ich bin verwirrt!“ – Worüber?

  • „Die Leute fühlen sich unter Druck gesetzt!“ – Wer genau ist mit „die Leute“ gemeint?

  • „Ich bin bei diesem Projekt gescheitert.“ – Worin genau bist du im Rahmen des Projekts gescheitert?

Natürlich habe ich auch einige Verzerrungen und Möglichkeiten, diese aufzudecken, dabei:

  • „Er macht mich wütend!“ – Wie / in welcher Weise macht er dich wütend?

  • „Ich habe kein Studium. Hier werde ich nie befördert!“ – Wieso bedeutet ein fehlendes Studium, dass du nicht befördert wirst?

  • „Die anderen fühlen sich nicht wertgeschätzt!“ – Woher weißt du das?

Und last but not least ein paar Verallgemeinerungen:

  • „Alle sagen, dass früher alles besser war!“ – Gibt es jemanden, der das nicht sagt?

  • „Dieses Projekt wird niemals fertig!“ – Woher weißt du das?

  • „Ich sollte alle Mails täglich beantworten!“ – Was passiert, wenn du das nicht tust?

Insbesondere für mich als Coach ist es interessant, dass wir diese Tilgungen, Verzerrungen und Verallgemeinerungen nicht nur in der Kommunikation mit anderen nutzen, sondern auch in unserem inneren Dialog – also in der Kommunikation mit uns selbst. Zum Teil mit gravierenden Auswirkungen. Nicht nur, dass wir uns manchmal selbst nicht richtig verstehen. Hinzu kommt, dass niemand so wundervoll Druck auf uns ausüben kann wie wir selbst.

  • „Ich müsste mich auf der Arbeit noch mehr in meinem Team engagieren!“

  • „Ich muss meinen Haushalt besser in den Griff bekommen!“

  • „Ich sollte unbedingt wieder mehr Sport machen!“

Hört euch gerne selbst einmal genauer zu und fragt euch dann – ganz im Stil des Meta-Modells –, wer das sagt und was passiert, wenn ihr das nicht tut. So könnt ihr auch ganz ohne Coach-Begleitung Denkmuster, Glaubenssätze und innere Blockaden selbst aufdecken. Vielleicht wird es euch an der ein oder anderen Stelle ziemlich verblüffen, wie sich eure Gefühlslage verändert, während ihr euch zu des Pudels Kern vorarbeitet.

Das Meta-Modell der Sprache in der Business-Welt

Neben der Anwendung im Coaching, in der Therapie und in der Beratung ist das Meta-Modell auch im beruflichen Kontext ein echtes Geschenk. Im Rahmen von Verhandlungen hilft es, präziser zu verstehen und punktgenau zu hinterfragen. Mit Blick auf Führung und Teamwork schafft das Meta-Modell Klarheit – in Bezug auf Ziele, Erwartungen und das gemeinsame Verständnis einer ggf. komplexen Situation. Insbesondere während Veränderungsprozessen unterstützt das Meta-Modell Führungskräfte dabei, ihre Teams in Bewegung zu halten – und vor allem in eine gemeinsame Richtung zu bringen. Und mit Blick auf potenzielle Konflikte ist das Meta-Modell ein Geschenk um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.

Allerdings ist die Voraussetzung dafür, das Meta-Modell erfolgreich zu nutzen, dass es euch im Vorfeld gelungen ist, eine positiv belegte, vertrauensvolle Beziehung zu etablieren. Probiert die präzisierenden Meta-Fragen gerne mal bei Menschen aus, mit denen ihr keine positive und vertrauensvolle Beziehung pflegt – hier werden diese Fragen wie pures TNT auf euer Miteinander wirken. Also immer beide Seiten der Medaille nutzen und wohl orchestriert den Wechsel zwischen Pacing und Leading zelebrieren!

Vor eineinhalb Jahren hatte ich das große Glück und die große Ehre, einige Tage lang vom großen Richard Bandler selbst zu lernen. Er war damals schon deutlich über 70 Jahre alt und hat sich für ein Seminar auf den weiten Weg von Florida nach Mainz gemacht. Es war faszinierend zu sehen, wie er immer wieder zwischen Pacing und Leading wechselte und welche Effekte das in den unterschiedlichen Demonstrationen auf seine jeweiligen Coachees hatte. Die Macht der Sprache und die Kraft der Kommunikation faszinieren mich von jeher. Richard Bandler dabei zu erleben, wie er mit Sprache spielt und sie unglaublich zielgerichtet einsetzt, um Menschen auf deren Weg zu bringen, hat mich tief beeindruckt.

Vielleicht habt ihr ja auch Lust bekommen, bewusst ein wenig mit der Sprache zu spielen – zu präzisieren, weichzuzeichnen, um zu integrieren, und danach wieder in die Präzision zu gehen. Ihr werdet erstaunt sein, welche Türen bewusst genutzte Sprache zu öffnen in der Lage ist.

Habt einen schönen, entspannten Sonntag! Ich hoffe für euch, die Sonne strahlt heute ähnlich hell wie für mich. Ich finde, es riecht langsam nach Frühling…

Eure Constance

Bandler & ich

… und die Macht von Pacing & Leading

Reaktanz! - Das "aus-Prinzip-dagegen-Phänomen" positiv kanalisieren

Reaktanz – Blindwiderstand, der einfach so passiert

Reaktanz ist ein Phänomen, das mich als Coach und Organisationsentwicklerin schon seit Jahren beschäftigt und in gewisser Weise auch fasziniert. Denn bei Reaktanz handelt es sich nicht um eine bewusste Entscheidung, sondern eher um einen unbewussten Automatismus, dem wir uns einfach nicht entziehen können.

Der Begriff selbst wurde bereits in den 1960er Jahren vom Sozialpsychologen Jack W. Brehm geprägt und ist ein zentraler Bestandteil der sogenannten Reaktanztheorie, die erklärt, wie Menschen intuitiv auf die Einschränkung ihrer Freiheit reagieren und wie eine solche Einschränkung ihr Verhalten beeinflusst. Hinter dieser „aus-Prinzip-dagegen-Haltung“ steckt also oft viel mehr als frühkindliche Bockigkeit. Wer das Prinzip der Reaktanztheorie versteht, kann diese Reaktion im positivsten Sinne als Frühwarnsystem und Gerechtigkeitssensor nutzen und somit Meetings, Entscheidungen und Teamdynamiken effektiver, stressfreier, positiver gestalten.

Reiz-Reaktion-Reaktanz

In der Psychologie bezeichnet man Reaktanz als emotionale und motivationale Reaktion auf wahrgenommene Einschränkungen oder Bedrohungen der persönlichen Freiheit. Sie tritt immer dann auf, wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Entscheidungsfreiheit oder ihr Handlungsspielraum eingeschränkt werden – also, wenn eine Person das Gefühl hat, etwas nicht mehr tun oder wählen zu dürfen, was vorher möglich war.

Beispiele hierfür sind:

  • Verbote oder Einschränkungen.

  • (Subjektiv empfundene) manipulative Überzeugungsversuche – das heißt, auch wenn etwas ausschließlich stark positiv dargestellt wird. Auch zu deutliche Motivation ruft intuitiven Widerstand hervor!

  • Soziale oder gesellschaftliche Zwänge.

Mögliche Reaktanz-Reaktionen sind:

  • Widerstand gegen die Einschränkung.

  • Wiederherstellung der Freiheit, zum Beispiel durch Trotzverhalten oder bewussten Regelverstoß.

  • Aufwertung der eingeschränkten Option – das heißt, das Verbotene wird plötzlich super attraktiv (wenn du willst, dass ein Kind garantiert an ein heißes Bügeleisen fasst, verbiete es vehement und immer wieder) oder das stark Angepriesene wird unattraktiv und intuitiv abgewertet.

Reaktanz und Gerechtigkeit

Insgesamt hängt Reaktanz sehr eng mit unserem Gerechtigkeitsempfinden zusammen, da beide Phänomene darauf beruhen, wie Menschen Einschränkungen und Ungleichbehandlungen wahrnehmen. Somit ist Reaktanz mitnichten etwas Negatives. Im Gegenteil: Protest- oder Freiheitsbewegungen entstehen oft aus einer Kombination von Reaktanz und dem Gefühl von Ungerechtigkeit (zum Beispiel gegen Diskriminierung oder soziale Ungleichheit) und entwickeln so mitunter eine gesellschaftsverändernde Kraft.

In diesem Kontext ist es besonders interessant, dass Einschränkungen, die als gerecht empfunden werden, oft akzeptiert werden und keinen Blindwiderstand hervorrufen – zum Beispiel eine Regel, die für alle gleichermaßen gilt und alle gleichermaßen benachteiligt. Wohingegen Regeln oder auch Sanktionen, die als ungerecht empfunden werden, garantiert Widerstand auslösen – zum Beispiel, wenn nur ein Teammitglied vom Chef dazu gezwungen wird, Überstunden zu machen, ohne das nachvollziehbar zu begründen.

Sowohl für uns als Gesellschaft als auch für Organisationen oder Unternehmen ist es wichtig, Regeln so zu gestalten, dass sie als gerecht oder fair empfunden werden, um allgemeine Reaktanz (die immer auch zur Einschränkung der individuellen Leistungsbereitschaft beiträgt) zu verhindern.

Reaktanz verhindern?!

Reaktanz zu verhindern ist ein komplexes Unterfangen. Kenne ich den Mechanismus, kann ich mich so aufstellen, dass mein Verhalten oder meine Kommunikation die Wahrscheinlichkeit von Reaktanz verringert.

Insgesamt erfordert der Versuch, Reaktanz zu verhindern, ein sensibles Vorgehen, das auf die Autonomie und die Bedürfnisse der betroffenen Personen eingeht. Respektvolle Kommunikation, die dabei weder überzogen positiv noch überzogen negativ ist, nachvollziehbare Begründungen und das Schaffen von Wahlmöglichkeiten sind hierbei zentrale Elemente.

Wie kann ich das konkret tun? Hier einige ganz praktische Möglichkeiten für dich:

  • Wahlfreiheit betonen: Gib Menschen das Gefühl, eine Wahl zu haben. Anstelle von Formulierungen wie „Das musst du unbedingt so machen!“ oder „Das darfst du keinesfalls so tun!“ bieten sich Formulierungen wie „Es gibt verschiedene Optionen. Eine davon wäre … und eine andere wäre …“ oder „Du selbst entscheidest, wie interessant das für dich ist.“

  • Transparente und rationale Begründungen: Begründe Einschränkungen nachvollziehbar. „Das haben wir schon immer so gemacht!“ ist keine nachvollziehbare Begründung.

  • Sanfte Kommunikation: Formuliere Bitten weniger autoritär und sei vorsichtig mit zu großer Euphorie in Bezug auf ein Thema, eine Veränderung, einen Workshop und so weiter. Neutral-positive Kommunikation öffnet Türen. Übertriebene Motivationsversuche können recht schnell Reaktanz auslösen.

  • Partizipation fördern: Mache Betroffene zu Beteiligten! – Ein Zitat, das ich einer Führungskraft, die ich schon länger begleite, „geklaut“ habe! Ich frage mich, wofür sie mich braucht. Wie dem auch sei: Sätze wie „Was denkst du, wäre die beste Lösung?“ oder „Lasst uns gemeinsam überlegen, wie wir das Thema angehen!“ wirken Wunder – übrigens auch ganz speziell in der Erziehung. Reaktanz macht auch vor Kindern nicht halt!

  • Verbote nicht explizit hervorheben! Das mit dem heißen Bügeleisen oder der Herdplatte ist der Klassiker. Auch Erwachsene wünschen sich häufig ganz besonders intensiv, das zu tun, was absolut verboten ist!

  • Empathie zeigen: Zeige Verständnis für die Meinung anderer, auch wenn sie nicht deiner eigenen Meinung entspricht. Zu verstehen heißt nicht zwangsläufig, einverstanden zu sein, öffnet aber ganz sicher Kommunikationswege und reduziert Widerstände.

  • Alternativen anbieten: Mehrere Optionen geben Menschen das Gefühl der Autonomie.

  • Positive Konsequenzen aufzeigen: Fokussiere dich auf die Vorteile einer Entscheidung anstatt auf die Einschränkungen. Ja, alles hat seinen Preis, aber alles hat auch seine Benefits, wie zum Beispiel: „Wenn wir das so machen, gewinnen wir mehr Zeit!“ oder „Diese Regelung hilft uns, das Ziel schneller zu erreichen!“

Vielleicht ist ja etwas dabei, das du gut für dich nutzen kannst. Oder vielleicht hast du ja auch schon eigene Ideen im Kopf, wie du das Reaktanz-Phänomen positiv kanalisieren kannst. In zwei Wochen werde ich an dieser Stelle noch etwas tiefer in die Welt dieser sogenannten integrativen Kommunikationsmuster einsteigen. Es gibt nämlich Menschen, die an sehr breiter Front das Gegenteil von Reaktanz hervorrufen. Vielmehr gelingt es ihnen, Menschen zu aktivieren und mitzuziehen. Diese Menschen sind für gewöhnlich natürliche Meister in der Nutzung integrativer Kommunikationsmuster – oder sie haben diese Muster gelernt! Dazu, wie gesagt, mehr in zwei Wochen.

Abschließend ist es mir nochmal wichtig darzustellen, dass natürlich nicht jede Form von Widerstand und „Dagegen!“ mit einem natürlichen Reaktanzreflex erklärt werden kann. Manchmal wird einfach alles zu viel, und ich will nicht mehr, nichts mehr! – Keine Reaktanz, sondern schlicht und ergreifend die Nase voll! Auch bestimmte Persönlichkeitsausprägungen können zu automatisiertem Widerstand führen und je nach Intensität sogar auf eine tatsächliche Persönlichkeitsstörung hinweisen. Das Feld des Menschseins ist ein sehr breites, und Reaktanz ist selbstverständlich nur eine von vielen Möglichkeiten – aber eben eine recht häufige und gut berechenbare Möglichkeit, die man ganz wunderbar positiv oder konstruktiv kanalisieren kann.

Genießt euren Sonntag!

Eure Constance

Dagegen

Intuitiven Blindwiderstand kanalisieren anstatt dagegen anzukämpfen