Gesellschaft

Ich schaff's! -Heute mal was fürs Herz

Ben Furman und die glücklichen Kinder

In der letzten Woche bin ich im Rahmen einer eigenen Weiterbildung in die Untiefen der Neurolinguistischen Programmierung (NLP) eingetaucht und irgendwie war mir bereits am Montag klar, dass ich an diesem Wochenende etwas über NLP würde schreiben wollen. Winterkorn und Konsorten nehme ich mir dann nächste Woche vor! Natürlich dachte ich an irgendeinen Klassiker, irgendwas mit Refraiming oder Pacing, oder so… Dachte ich! Schaue ich jetzt allerdings auf die letzte Woche zurück ist es etwas ganz anderes, das besonders nachhaltig in meinem Kopf hängen geblieben ist. De Facto glaube ich sogar, dass es nicht nur in meinem Kopf, sondern direkt in meinem Herz hängen geblieben ist.

Dank meiner wundervollen Ausbilderin Anita durfte ich den finnischen Psychologen Ben Furman kennenlernen, der sich vor allem mit problematischen Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen auseinandersetzt. Dies tut er mit einer derart respekt- und liebevollen Art, dass mir das Herz aufgeht und ich nicht umhinkomme, seine Methode, die er “Ich schaff’s!” nennt, mit euch zu teilen. -Nicht zu Letzt auch, weil wir ja alle das Kind in uns mit durch unser Leben tragen und vielleicht deshalb auch als Erwachsene davon profitieren können.

Von zarten Kinderseelen

Im Rahmen des Seminars haben wir unter anderem einen Vortrag von Ben Furman angeschaut, in dem er von einer Reise nach Japan berichtet. Eine Mutter kam mit ihrem Sohn, der zwanghaft seine Fingernägel abgekaut hat, zu ihm. Dieses Problem galt es zu lösen. Interessanterweise interessierte sich Furman zunächst überhaupt nicht für das Problem. Vielmehr beschäftigte er sich in den ersten zehn bis fünfzehn Minuten mit dem, was der Junge schon alles gut konnte. Woraufhin der Junge seine Mama bat, am liebsten den ganzen Tag beim Therapeuten bleiben zu dürfen. Offensichtlich hat er sich wohl damit gefühlt, all das berichten zu dürfen, was er schon alles kann. Wie gut kann ich diesen kleinen Mann hier verstehen! Sicher fühlte er sich sehr stolz.

Als es schließlich darum ging, herauszufinden, was denn wohl das Problem sei, fragte Furman nicht nach dem Problem, sondern danach, was der Junge denn noch alles lernen möchte, obwohl er doch schon so viel konnte. Er wollte lernen, nicht mehr an seinen Fingernägeln zu kauen.

Während mir an dieser Stelle schon das Herz aufging, weil ich so berührt von diesem respektvollen und achtsamen Umgang mit diesem kleinen Menschen war, setzte Furman noch einen drauf: Gleich damit aufhören zu wollen, an allen zehn Fingern zu kauen, sei doch ganz schön viel auf einmal. Der Junge stimmte zu und Furman schlug vor, zunächst erstmal mit einem Finger zu beginnen. Furman nannte das “Baby-Steps” und der Junge entschied sich für einen seiner Daumen. Er durfte sich sogar noch Unterstützer suchen. Mit Hilfe dieser kleinen Schritte und seiner Unterstützer konnte der Junge schnell erste Erfolge feiern und war schließlich so motiviert, dass es ihm gelang, seine neue Fähigkeit, keine Fingernägel mehr zu kauen, voll umzusetzen! Er hat nichts aufgegeben, oder mit nichts aufgehört, sondern etwas Neues angefangen.

Ich schaff’s!

“Ich schaff’s” nennt Ben Furman seine zauberhafte Methode, die er in sieben Schritte einteilt:

  1. Die Definition eines Ziels: Dieses Ziel soll dabei positiv formuliert sein. Es geht nicht darum, etwas sein zu lassen, oder sich zu ändern, sondern darum, eine neue Fähigkeit zu lernen. Lernen fühlt sich immer positiv an, finde ich!

  2. Diese Fähigkeit bekommt sogar einen richtigen Namen, damit sie greifbarer, realer wird.

  3. Da wir im NLP sind, bekommt die Fähigkeit auch einen Anker, oder ein Symbol, dass man nutzen kann, um nicht zu vergessen, was man lernen möchte. -Der berühmte Knoten im Taschentuch!

  4. Weil alles mit Unterstützung leichter geht, wählt man sich als nächstes ein paar Unterstützer aus. Es geht darum, sein Ziel zu teilen und mit der Unterstützung anderen, nicht allein, daran zu arbeiten.

  5. Im nächsten Schritt geht es darum, seine bereits etablierten, individuellen Muster für das Erreichen seines Ziels zu nutzen. Es geht darum, bewusst zu überlegen, wann es einem schon einmal gelungen ist, ein Ziel zu erreichen, oder etwas Neues zu lernen und wie man das gemacht hat.

  6. In Ben Furmans Welt ist es gar nicht schlimm, eine kleine Ehrenrunde zu drehen. Natürlich wird man wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Es ist sogar zu erwarten, denn diese alten Muster sind selbstverständlich im Vorteil. Hat man sie doch über Jahre hinweg geübt! Deshalb darf man auch gerne großzügig mit sich selbst sein. Man darf sogar liebevoll mit sich umgehen, wenn man seine neue Fähigkeit doch einmal vergisst.

  7. Zu guter Letzt kommt die Party! Natürlich müssen Erfolge auch ausgiebig gefeiert werden, auch die kleinen! Das macht man dann am besten mit all seinen Unterstützern!

Jetzt stell dir mal vor…

Den Ansatz von NLP, mit dem ich mich gerade beschäftige, hat einen hypnosystemischen Hintergrund, angelehnt an Dr. Gunther Schmidt. Hypnosystemisch… -Hört sich befremdlich für dich an? Keine Sorge, ist alles ausgesprochen wissenschaftsbasiert! Und weil das eine so gute Basis hat, hast du ja jetzt vielleicht Lust auf ein kleines Gedankenspiel.

Stell dir mal vor, es gibt eine Seite von dir, ein Verhalten, oder ein fehlendes Verhalten, dass du gerne ändern möchtest. Oder es gibt dieses eine große Ziel, dass du erreichen möchtest. Jetzt stell dir weiter vor, das Ziele wäre nicht, etwas sein zu lassen, etwas los zu werden, sondern etwas Neues zu erreichen oder zu lernen. Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber ich bin nicht so gut darin, etwas sein zu lassen, oder etwas los zu werden. Das fällt mir immer schwer. Egal ob es die zwei Kilo extra sind, die ich gerne loswerden möchte, oder meine ewige Ungeduld, die ich gerne sein lassen möchte. Dieses “Loswerden” klappt bei mir meistens nur semi-gut! Worin ich aber offensichtlich gut bin, ist darin, neue Dinge zu lernen. Immerhin habe ich in meinem Leben schon so unglaublich viel gelernt, ich muss gut darin sein, etwas Neues zu lernen. Du ja vielleicht auch! Wenn dein Ziel also so formuliert ist, dass du durch lernen daran arbeiten kannst, ist es plötzlich erreichbar! Vielleicht ist das ja bei dir ganz ähnlich. Stell dir also vor, du weißt ganz genau, was du lernen möchtest, um dein Ziel zu erreichen, weil du dieser neuen Fähigkeit sogar einen Namen gegeben hast. Vielleicht hat sie in deiner Vorstellung vielleicht sogar eine Gestalt. Jedenfalls ist das für dich kein abstraktes Etwas mehr. Damit du das auch nicht vergisst, hast du dir einen Knoten in dein Taschentuch gemacht. Das Ziel und damit die Marschrichtung liegen also glasklar vor dir. Jetzt stell dir vor, du musst diesen Weg nicht allein gehen, weil du Menschen hast, die dich dabei unterstützen. So gehst du also los, getragen von deinen Unterstützern, in kleinen, aber dafür realistischen Schritten. Die ersten Erfolgserlebnisse treten schnell ein. Das wird natürlich gefeiert! Und falls du bei all deinen Baby-Steps mal eine kleine Ehrenrunde drehst, lächelst du und bist ganz entspannt mit dir selbst, weil du weißt, dass das normal ist und passiert. Du bist ein Mensch und so funktionieren Menschen nun mal! “Die alten Muster haben immer einen Wettbewerbsvorteil!”, sagt meine Ausbilderin Anita in solchen Fällen! Und Recht hat sie!

Du darfst dich gerne kurz zurücklehnen, vielleicht machst du sogar die Augen zu und lässt dich für einen Moment ganz bewusst auf dieses Gedankenspiel ein. Fühlt sich gut an, oder?

Mit den Ressourcen im Scheinwerferlicht

Manchmal frage ich mich wirklich was mit uns Menschen los ist! Von Kindesbeinen an liegt der Fokus auf den Defiziten, dem was man noch nicht kann, was man falsch macht, oder worin man unbedingt noch besser werden muss. Ben Furman interessiert sich nicht dafür! Was hilft es ihm, sich in endlosen Schleifen um das Problem zu drehen. Er möchte Lösungen finden und dabei sind vor allem unsere Ressourcen hilfreich, die internen, wie unsere Fähigkeiten, die wir alle in uns tragen, aber auch die externen, unsere Unterstützer, die Menschen um uns herum, die nur darauf warten, uns unterstützen zu dürfen. Oder wie würdet ihr reagieren, wenn euch jemand um Unterstützung bittet, wenn euch jemand ins Vertrauen zieht? Ich fühle mich jedes Mal geehrt! Wann habt ihr eigentlich das letzte Mal Menschen um Unterstützung gebeten? Ich tue es zu selten und strample mich viel zu oft alleine ab, um meine Ziele zu erreichen. Aber wahrscheinlich ist das nur mein ganz eigenes Thema und Ben Furmans Modell “Ich schaff’s!” ist doch nichts für Erwachsene, sondern nur etwas für das Kind in mir! Als Coach muss ich ja auch nicht immer Recht haben.

Ich wünsche euch einen schönen Sonntag!

Eure Constance

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Ich schaff’s!

Denkt sich auch mein kleiner Kurt und übt lustig weiter, aufs Sofa zu klettern…

Kann konsequente Agilität das Ende von Innovation bedeuten?

Zum Einstieg geliehene Worte eines klugen Mannes:

“Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt, schnellere Pferde.”

Das sprach Henry Ford vor mehr als einem Jahrhundert. Seitdem hat sich viel getan. Inzwischen erobern Elektroautos, hybride Autos und was weiß ich was die Welt! Überhaupt spielt Mobilität eine große Rolle, auch wenn die Bedeutung des Autos selbst in der Veränderung begriffen zu sein scheint.

Aber heute soll es keinesfalls um Autos oder Mobilität gehen! Fords Zitat bietet mir lediglich einen formidablen Einstieg in das Thema Innovation und Kundenzentrierung. Beides spielt im Business-Umfeld eine zunehmend große Rolle und besonders die Kundenzentrierung sollte mir als Agile Coach und Scrum Master ganz besonders am Herzen liegen! Und ja, es ist super wichtig, dass wir uns mit dem, was wir tun, an unseren Kunden orientieren, denn immerhin tun wir es ja für sie. Aber ist das wirklich der Weisheit letzter Schluss? Mit dieser Frage habe ich mich in der letzten Woche immer wieder beschäftigt und möchte meine Gedanken an dieser Stelle gerne mit euch teilen.

Und alle sind ja so agil!

Die Bezeichnung agil ist inzwischen im geschäftlichen Umfeld gefühlt omnipräsent geworden! Unternehmen sind agil, Teams sind es, Menschen sind es, sogar Mindsets sind inzwischen agil geworden. Aber was bedeutet das überhaupt? Als vor gut zwanzig Jahren das sogenannte Agile Manifest Einzug in Wirtschaftsorganisationen hielt, handelte es sich dabei um eine neue, effiziente Art der Softwareentwicklung. Es ging darum, im Gegensatz zu den bis dato üblichen Wasserfallmodellen, Software besser und schneller ausliefern zu können, um den Kunden dementsprechend schneller zufrieden zu stellen. Software wird seitdem inkrementell, das heißt in vielen kleinen funktionalen Teilstücken, ausgeliefert. So ist der Kunde intensiv in den Entwicklungsprozess eingebunden, gibt die Richtung vor und ist sogar im laufenden Prozess in der Position diese Richtung zu ändern oder anzupassen. Eines der Kernziele agiler Softwareentwicklung ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierlich Lieferung von funktionsfähiger und wertvoller Software zufrieden zu stellen. -Kundenzentrierung eben!

Schauen wir uns also an, für wen Agilität in ihrer ursprünglichen Form entwickelt wurde, stellen wir schnell fest, dass es sich hierbei um “Zulieferer” handelt, deren Ergebnis im Vorfeld vom Kunden möglichst detailliert definiert und umrissen wurde. Genau dafür ist Agilität großartig! Scrum ist in diesem Zusammenhang ein unglaublich wertvolles Tool.

Allerdings war Agilität im Allgemeinen und Scrum im Speziellen derart erfolgreich, dass es inzwischen zu einer scheinbar inflationären Modeerscheinung geworden ist. Als Coach würde ich mir an der ein oder anderen Stelle tatsächlich wünschen, Agilität nicht auf Teufel komm raus umsetzen zu wollen, sondern sich bewusst zu hinterfragen, macht Agilität hier Sinn? Was sind die Vor- und Nachteile? Brauchen wir vielleicht etwas ganz anderes, um auch weiterhin am Markt erfolgreich bestehen zu können? Und bedeutet Agilität die Umsetzung agiler Modelle und Methoden?

Lässt man sich dieses Zitat von Henry Ford nochmals ganz genüsslich auf der Zunge zergehen, stellen wir fest, dass wir den Erfolg ganzer Unternehmen und Unternehmenssparten keinesfalls ausschließlich in die Hände von “Auftragsarbeitern” legen sollten. Ich denke weder ein Steven Jobs noch ein Elon Musk haben ihre großen Innovationen Hand in Hand mit deren Kunden entwickelt. Denn Kunden können häufig gar nicht einschätzen, was möglich ist. Kunden können Ideen zu stetigen Optimierungen einbringen, um das Produkt bestmöglich an deren Bedürfnisse anzupassen. Kunden können den Entwicklern helfen, zu verstehen, was sie wirklich brauchen und wofür. So sind Entwickler permanent in der Lage, ihr Produkt zu verbessern! “Inspect and adapt” nennt das der Agilist von Welt! Aber ist das wirklich innovativ? -Oder wie es der großartige Oren Hariri einmal beschrieben hat: “Elektrisches Licht entstand nicht durch die permanente Verbesserung der Kerze.” Recht hat er!

Denn Visionen passen nicht in Scrum Zyklen

Sind wir mal ehrlich, Kunden hätten sich weder Elektrizität, noch Autos, das iPhone oder den PC vorstellen können! Was es braucht, wenn wir von Innovationen sprechen, sind Menschen, die sich nicht fragen was der Kunde will, sondern womit man den Kunden überraschen kann. Es braucht Menschen, die sich Fragen welche Innovationen globale Probleme lösen, selbst Probleme, die der potenzielle Kunde Stand heute noch nicht sehen kann. Danach kann man gerne irgendwann im Rahmen des Entwicklungsprozesses anfangen mit agilen Methoden zu arbeiten (macht Apple ja auch).

Schauen wir uns an, was in dieser digitalisiert und globalisierten Welt los ist, in der alle Krisen und Katastrophen früher oder später auch Einfluss auf unser ganz individuelles Leben haben, bin ich fest davon überzeugt, dass es zukünftig nicht darum gehen wird, Bestehendes zu optimieren oder weiterzuentwickeln. Vielmehr wird es darum gehen, Dinge neu zu denken und diesen großen Geistern, die dazu in der Lage sind, den Raum und die Möglichkeiten zu geben, genau das zu tun. Agilitätsmodelle können natürlich auch hier eine Rolle spielen, aber sicher ist, dass sie nicht die Lösung sein werden. Aus meiner Sicht sind Unternehmen gut beraten, sich nicht blindlings auf alle möglichen Agilitätsmodelle zu stürzen, im festen Glauben, dass die dadurch zukunftsfähig werden. Es gehört mehr dazu. Der reinen Lehre von Agilität (selbst Teilen des klassischen agilen Mindsets) sind klare Grenzen gesetzt. In einer post-agilen Welt, so wie ich sie mir wünsche, werden diese Grenzen auch gesehen und verstanden und agile Methoden werden da genutzt, wo sie einen Mehrwert bringen. In meiner post-agilen Welt müssen Organisationen nicht mehr zu komplett agilen Organisationen transformiert werden. Ich stelle mir lernende Organisationen nach der Idee der Harvard Professorin Amy C. Edmondson vor, die sich stetig aus sich heraus entwickeln und selbst sehen, wann es wo und wie Sinn macht, auf agile Methodik zurückzugreifen.

Es sind lernende Organisationen, die durch eine gut funktionierende und ehrlich Feedbackkultur ihren Mitarbeiten das Sicherheitsgefühl geben, dass diese brauchen, um frei und “out of the box” zu denken, um kreativ und verrückt zu sein, innovativ und offen für alle Veränderungen die tagtäglich auf einen einprasseln. Aus Sicherheit entsteht Mut und aus Mut entsteht Innovation!

Es gibt sie, diese Organisationen...

Natürlich bin ich gefühlt permanent auf der Suche nach Organisationen, die Agilität frei umsetzen; genauso eben, wie sie es benötigen, um in ihrem Bereich zu High Performern zu werden. Diese Suche treibt mich zuweilen in komplett ungewöhnlich Ecken. Gegenwärtig lese ich über die agile Transformation der US Army! Ja, ihr lest richtig! Und wer jetzt glaubt, dass Servant Leadership und die steilen Hierarchien von Streitkräften nicht zusammenpassen, der darf nächste Woche gerne reinlesen. Ich denke bis dahin weiß ich genug, um darüber zu berichten! Sicher spannend für all jene, die in hierarchischen, ggf. sogar international aufgestellten, traditionellen Großkonzernen das Wagnis Agilität durchdenken oder sogar durchleben!

Habt einen schönen Sonntag! Ich beschließe mit den weisen Worten Immanuel Kants, der da postulierte: “Sapere Aude!” -Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Seid innovativ und mutig genug, über den Tellerrand hinaus zu denken und lasst euch nicht in Formen stecken, die euch nicht passen!

Eure Constance

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Schnellere Pferde…

Perfekt als Hobby, aber kein Ersatz für wirkliche Innovation

Denn das Patriarchat hat versagt

#DearAfghanSister

Eigentlich habe ich für diesen Sonntag ein ganz anderes Thema geplant, aber da diese Welt nun mal sehr volatil ist und ich mir vorgenommen habe, mich in meinem Blog mit Themen auseinanderzusetzen, die mich auch in meiner (Arbeits-) Woche beschäftigt haben, gibt es mal wieder einen dieser “aus-gegebenem-Anlass-Artikel”. Es wäre nämlich eine glatte Lüge, so zu tun, als ob es bei mir in den letzten Tagen gedanklich vor allem um diese schönen Erst-Welt-Probleme der New Work gegangen wäre. Klar habe ich auch gearbeitet, sogar recht intensiv, aber gedanklich bin ich doch immer wieder abgeschweift. Dieses komplette Versagen der Nato im Allgemeinen und Deutschlands im Speziellen hat mich nicht mehr losgelassen. Viel wurde dieser Tage gesagt und geschrieben über Afghanistan und die Taliban. Besonders das Schicksal der sogenannten Ortskräfte hat mich bewegt. Haben sie doch vertrauensvoll ihr Leben in die Hände der anwesenden Streitkräfte gelegt, hoffend darauf, dass sie Teil eines neuen Afghanistans sein würden. Ich möchte nicht politisch einordnen müssen, was in diesem Zusammenhang schiefgelaufen ist. Moralisch gesehen ist es jedenfalls eine Schande.

Aber nicht nur die Ortskräfte haben mich beschäftigt. Naturgegeben ist es so, dass ich natürlich auch daran denken muss, was die Geschehnisse für all die Frauen wie mich bedeuten, wie sich ihr Leben ändern wird, wie all diese Freiheiten, die sich besonders auch Frauen meiner Generation in den letzten zwanzig Jahren in Afghanistan erkämpft haben, verloren gehen werden. Ich frage mich, was das alles besonders für die mutigsten unter diesen Frauen bedeuten mag, für die, die sich gezeigt haben, sich engagiert haben, politisch und gesellschaftlich. Ich habe eine grobe Vorstellung davon, wie das aus dem Blickwinkel der Scharia beurteilt und verurteilt werden wird. -Und ich würde am liebsten laut schreien!

Und dann beginnt die Wut zu arbeiten

Während ich nun also in meiner Gedankenwelt unterwegs war, wuchs in mir die nackte Wut. Angefeuert durch das Fotoprojekt einer iranischen Fotografin mit dem inhaltsschweren Namen “Das Verschwinden der Frau” (wer es noch nicht kennt, möge es bitte googlen) ist die wütende Feministin in mir zur Höchstform aufgelaufen und hat gleichzeitig resigniert! Denn was kann ich schon tun? Durch meine Freundin Sylvia wurde ich auf die Bewegung #DearAfghanSister aufmerksam. -Nichts Großes, nur eine Bewegung, die ihren Ursprung im Flüchtlingscamp auf Lesbos hat und Solidarität zeigt. Also habe ich meine Solidarität gezeigt, meinen Post abgesetzt und dann? Die Feministin in mir war noch immer kurz davor, zu platzen. Diese gottverdammte Männerwelt, in der Frauen nicht sicher sein können! Die Wut wurde globaler! Denn DIESE gottverdammte Männerwelt hört ja nicht an den Grenzen Afghanistans auf. Diese ewig gestrigen Taliban treiben sie lediglich auf die Spitze. Aber ist es im Rest der Welt besser oder sicherer für Frauen und Mädchen? Gewalt und Unterdrückung scheint kulturkreisübergreifend zu sein. Da werden weibliche Föten abgetrieben, weil Töchter weniger wert sind als Söhne, dort wird Vergewaltigung und ekelhafteste sexuelle Gewalt als probates Kriegsmittel gesehen und Abiy Ahmed hat noch immer seinen Friedensnobelpreis. Im wunderschönen Urlaubsland Mexiko gibt es Städte, in denen Frauen nicht mehr alleine nach draußen können, weil sie Vergewaltigung, Entführung und Tod fürchten müssen, während die Täter sich vor der Strafverfolgung nicht fürchten müssen, aus neusten Statistiken in Frankreich geht hervor, dass 80 Prozent aller Frauen mindestens einmal Opfer sexueller Belästigung im öffentlichen Raum waren, weshalb es dafür jetzt eine App gibt, die Türkei tritt aus der Istanbul Konvention aus, Vergewaltigung in der Ehe wird vielerorts nicht bestraft, weil es ja die Pflicht der Frau ist, dem Gatten zu Verfügung zu stehen und so weiter und so fort… Ich merke, ich schreibe mich schon wieder in Rage! Was für eine kranke Welt, in der die eine Hälfte der Bevölkerung offensichtlich weniger wert zu sein scheint und weniger Rechte zu haben scheint, als die andere!

Und natürlich muss man auch vor der eigenen Tür kehren

Natürlich könnte man behaupten, das alles passiert ja so weit weg und vielleicht hat mein Kindergartenfreund Björn auch recht damit, wenn er auf meine Wut mit der Frage reagiert, was er Frauen denn antue… Sorry dass ich nicht mehr geantwortet habe, Björn! Aber es war nicht an der Zeit! Zumal deine Frage ja völlig berechtigt ist. Aber aus meiner Sicht ist genau das das Problem. Natürlich sind wir hier in Deutschland weiter, als in Afghanistan! Gott Lob, ja, das sind wir! Aber gleichzeitig sitzt meine zauberhafte Stieftochter nebenan am Esstisch und arbeitet an ihrer ersten Hausarbeit für die Uni. Arbeitstitel “Genderproblematik in der sozialen Arbeit”, und zwar in der sozialen Arbeit in Deutschland! Inhalt: Es ist ein Frauenjob und weil es ein Frauenjob ist, ist er wie so viele Frauenjobs mies bezahlt und die besser bezahlten Jobs auf Führungsebene haben die Männer inne! Toll! Woher kommt diese Diskrepanz? Sicher nicht, weil Frauen alle weniger klug oder schlechter ausgebildet sind. Es ist ein altes, krankes Rollenbild: Die Frau kümmert sich und der Mann sagt wo es lang geht! Auch hier in Deutschland! Und schwingt sich doch mal eine auf, den Olymp der Führungsetagen zu erklimmen, wird sie natürlich erstmal in Frage gestellt. Aus dem Nähkästchen des Coaches: In einer typischen Männerdomäne gibt es einen neuen “Abteilungsleitenden” und einen “stellvertretend Leitenden”. Beide sind gleichermaßen qualifiziert. Der Leitende ist ein “Er” und wird ohne weiteres Hinterfragen seitens des Teams akzeptiert. Er muss nicht beweisen, dass er qualifiziert genug ist, um das Team zu leiten, wird nicht gechallenged, etc. Ihr ahnt es, der Stellvertretende ist eine “Sie”, qualifiziert bis unter die Halskrause. Aber das ist den Herren im Team herzlich egal. Die arme Frau verbringt die ersten Monate damit, sich jeden Tag doppelt und dreifach beweisen zu müssen, bis ihr die gleiche Gnade wie ihrem Chef zu Teil wird und die Herren sie endlich als fachlich qualifiziert akzeptieren. Das ist Gleichstellung und Emanzipation im 21 Jahrhundert und das ist das Problem. Irgendwann wird ja auch die Frau akzeptiert und am Ende tut den Frauen hier bei uns ja niemand etwas. Ach so, OK, abgesehen, von anzüglichen Kommentaren, nicht enden wollenden Cat Calls, dem Klapps auf den Hintern und so weiter! Ey, ehrlich, ich habe schon den ein oder anderen sehr anziehenden Männerpo gesehen und ich habe nie einfach hin gepackt, weil sich das nicht gehört. Das ist respektlos. Aber wie oft hatte ich schon Hände an meinem Hintern! Das ist offensichtlich normal und höchstens ein klitzekleines Kavaliersdelikt! Habe ich mich beschwert, durfte ich mir mehr als einmal anhören, dass ich mich nicht so anstellen solle! Und wo ich gerade bei meiner ganz persönlichen Generalabrechnung bin: Verbrechensstatistiken in Hinblick auf häusliche Gewalt: Wer sind fast immer die Opfer? Fast täglich eine tote Frau, die beschönigend Opfer einer Beziehungstat genannt wird! -In Deutschland, by the way! Und von dem was online los ist, will ich erst gar nicht anfangen!

Was ich mir wünsche

Ich weiß gerade nicht, ob irgendeiner meiner männlichen Lesenden bis hier her durchgehalten hat! Und ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, ob meine männliche Stammleserschaft mir auch noch zukünftig die Ehre erweisen wird, meine Artikel zu lesen! Vielleicht sind sie jetzt alle sauer gefahren! Aber falls du, als Mann, modern und aufgeklärt, bis hierher weitergelesen hast, fragst du dich jetzt vielleicht was wir Frauen, oder ich Emanze, denn nun von dir wollen! Wie sollst du sein? Was kannst du tun? Ganz einfach: Hör auf Politikerinnen nach ihrem Äußeren zu beurteilen, während du Politiker nach ihrer Arbeit beurteilst. Und hör auf, dich zu fragen, ob die hübsche Kollegin sich vielleicht doch nur “hoch-geschlafen” hat. Hör auf, mit deinen Kollegen über die Körper deiner Kolleginnen zu lästern. Hör auf uns in diese uralten Schubladen zu stopfen und hör auf, dich zu wundern, wenn eine Frau eben doch mal selbstbewusst zu Führen beginnt. Das hat nichts mit Zickerei und Mannsweib zu tun! Hör auf zu feiern, dass Deutschland ja so fortschrittlich ist, weil wir ja sogar eine Kanzlerin haben. Sich darauf auszuruhen wäre töricht! Bringe Frauen den gleichen Respekt entgegen, wie Männern und kämpfe mit uns Ladies dafür, dass sich die Dinge nicht nur auf dem Papier ändern, sondern auch in den Köpfen und den Herzen. Frauenquoten machen Quotenfrauen und noch lange keine Gleichberechtigung. Gleichberechtigung wird es erst dann geben, wenn man den Wert der Frau in jederlei Hinsicht erkennt und anerkennt. So weit sind wir gesellschaftlich noch lange nicht! Sonst müssten Frauen sich nicht immer wieder beweisen und sonst würden diese klassischen Kümmer-Berufe wie Sozialarbeit, Krankenpflege, Kinderbetreuung auch nicht so schlecht bezahlt werden. Gegenwärtig scheinen Frauen und das, was Frauen häufig tun, unserer Gesellschaft einfach weniger wert zu sein. Denn weniger anspruchs- oder verantwortungsvoll ist es sicher nicht. Traurig, sehr traurig, zumal ich davon überzeugt bin, dass mehr “Weiblichkeit” der Welt nicht schlecht zu Gesicht stünde. Kümmern, Mitgefühl und Sanftmut sind verdammte Stärken! Hört auf sie als Schwächen zu kategorisieren!

Denn das Patriarchat hat ausgedient

Zurück zu Afghanistan: Diesbezüglich habe ich mich gefragt, was denn gewesen wäre, wenn es mehr Frauen in der Politik und der Armee gegeben hätte! Denn Fakt ist, die allermeisten dieser, von der Nato gut ausgebildeten, männlichen Pantoffelhelden, haben ja sehr schnell und bereitwillig die Waffen gestreckt, als die Moped-Armee der Taliban angeknattert kam, um dann schnellstmöglich das Weite zu suchen. Wie den Pressemeldungen der letzten Woche zu entnehmen war, ist der oberste Held ja sogar tatsächlich in Pantoffeln davongelaufen. Ich frage mich, wie die Moped-Offensive abgelaufen wäre, hätte man die Frauen Afghanistans in die Position gebracht, selbst für ihre Freiheit kämpfen zu können. Im Kopf habe ich das Bild dieser kleinen Gruppe mutiger junger Frauen, die sich den Taliban entgegengestellt haben, indem sie für ihre Freiheit demonstriert haben, mitten in Kabul. Die sogenannten Gotteskrieger waren sichtlich irritiert.

Frauen sind klug, mutig, stark, sanftmütig und klar! Frauen sind ein verdammtes Geschenk für die Welt und ich finde das Patriarchat hat ausgedient, überall auf dieser Welt! Und nein, liebe Männer, es muss auch kein Matriarchat sein! Aber wie wäre es denn mal mit einem System auf tatsächlicher Augenhöhe?

Genug der Emotion! Schönen Sonntag wünsche ich euch, Männern wie Frauen! Und wenn ihr Lust habt, unterstützt #DearAfghanSister mit einem Bild und einer klaren Haltung. Ich weiß, es ist nicht viel, aber es ist mehr als nichts. Wie hat mir letzte Woche eine ziemlich starke Frau geschrieben, der ich sofort abkaufen würde, dass sie aufsteht und kämpft: “Das Problem ist auch diese Hilflosigkeit. Wir könnten ja aufstehen und kämpfen, aber gegen wen? Gegen unsere Politiker? Gegen die Männer in Afghanistan, die nur zu bereitwillig aufgegeben haben, um für ihre Frauen zu kämpfen?”

Lasst uns damit anfangen, gegen diese archaischen Dämonen in unseren eigenen Köpfen zu kämpfen!

Eure Constance

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#DearAfghanSister

Was für eine Welt…