Gesellschaft

Zum Jahrestag der Erstürmung der "Landshut": Terrorismus oder das Ende des Miteinanders

Der Deutsche Herbst

Wer die Ereignisse des Deutschen Herbstes kennt und auch hinsichtlich der Entführung der Landshut einen groben Ablauf im Kopf hat, darf getrost zur nächsten Zwischen-Überschrift weiterspringen. In meinen Schulungen in der Luftfahrt, in denen “die Landshut” noch immer Thema ist, stelle ich gerade bei der Generation unter vierzig immer wieder fest, dass diese Phase der deutschen Geschichte nicht wirklich präsent ist. Deshalb hier ein ganz kurzer Abriss der Ereignisse. Vorweg sei gesagt, dass ich keine Historikerin bin und die von mir dargestellten Ereignisse keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben.

Wir schreiben das Jahr 1977. Deutschland wird schon seit mehreren Jahren vom linksradikalen Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) außer Atem gehalten. Zwar sitzt die Führungsriege der sogenannten ersten Generation der RAF im Hochsicherheitsgefängnis Stammheim in Haft, allerdings hat sich inzwischen eine zweite Generation linksradikaler Terroristen zusammengefunden, die mit Unterstützung der palästinensischen Terrororganisation Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) weiterhin Terror ausübte. Im Herbst des Jahres 1977 sollten die gemeinsamen Bemühungen ein Ziel haben: die Freilassung der Führungsriege der ersten Generation (darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Rasper und Irmgard Möller). Mit diesem Ziel vor Augen stürzten sie Deutschland zwischen September und Oktober 1977 in eine der schwersten Krisen des Landes. Die Bezeichnung Deutscher Herbst leitet sich übrigens von einem Dokumentarfilm ab, der ein Jahr später erschienen ist. Aber was war passiert? Im Frühjahr und Sommer des Jahres 1977 erschossen RAF Kommandos bereits den Generalbundesanwalt Siegfried Buback und den Vorstandssprecher der Dresdner Bank Jürgen Ponto. Außerdem scheiterte ein Anschlag auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Die heiße Phase des Deutschen Herbstes begann am 5. September mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidents Hans Martin Schleyer in Köln. Die Entführer drohten mit dessen Ermordung und forderten die Freilassung von insgesamt elf RAF-Mitgliedern. Nachdem sich die Entführung Schleyers bereits drei Wochen hinzog und die Bundesregierung unter Helmut Schmidt klar machte, die Forderung nicht zu erfüllen, bot die PFLP ihre Hilfe an und schlug der RAF zwei Szenarien vor: entweder eine Geiselnahme in der Deutschen Botschaft in Kuwait oder die Entführung einer Lufthansa Maschine auf dem Weg von Mallorca nach Deutschland. Die Entscheidung ist uns allen bekannt und so nahmen die Ereignisse am 13. Oktober 1977 ihren Lauf: ein vierköpfiges Terrorkommando (zwei Männer, zwei Frauen) schmuggelten, versteckt in Kosmetikköfferchen und in einem Radio, zwei Pistolen, vier Handgranaten und etwa 500g Sprengstoff an Bord des Lufthansafluges LH181. Unterwegs war die Lufthansa an diesem Tag mit einer Boeing B737 namens Landshut.

In französischen Luftraum übernahm das Terrorkommando die Kontrolle über die Maschine. Man wollte nach Zypern, musste jedoch in Rom zwischenlanden, da das Kerosin nicht reichte. Schließlich in Zypern angekommen, vermittelte die PLO und es sollte in den Libanon weitergehen. Da die Flughäfen von Beirut, Damaskus, Bagdad und Kuwait gesperrt waren, ging es jedoch über Manama nach Dubai. In Dubai gelang es dem Kapitän der Landshut, Jürgen Schumann, Informationen bezüglich der Entführer nach draußen zu geben. Leider teilte das der Vizepräsident der Vereinigten Arabischen Emirate so auch im Fernsehen mit. Davon erfuhren die Entführer und drohten Kapitän Schumann das erste Mal mit dessen Erschießung. Nach drei Tagen ohne Klimaanlage in der Sonne Dubais sollte es in den Oman weitergehen. Da der Oman keine Landeerlaubnis gab, ging es nach Aden. Auch hier wollte man die Landshut nicht und sperrte kurzerhand die Bahn. Da der Sprit jedoch zu Neige ging, musste Kapitän Schumann trotzdem landen, nachts auf einem Sandstreifen neben der Bahn. Da er Sorge hatte, dass dabei das Fahrwerk beschädigt wurde, gestatteten die Entführer Kapitän Schumann nach draußen zu gehen und das Fahrwerk zu überprüfen. Als er erst nach einer guten Stunde zurückkehrte, mutmaßten die Entführer, dass er erneut Kontakt zu Behörden aufgenommen und Informationen weitergegeben hatte. Daraufhin erschoss ihn einer der Terroristen im Mittelgang des Flugzeuges mit einem gezielten Kopfschuss.

2008 konnte man tatsächlich den Kommandeur einer jemenitischen Sondereinheit ausfindig machen, mit dem Kapitän Schumann im Rahmen seines sogenannten Outside Checks Kontakt aufgenommen hat. Er erzählte, dass Kapitän Schumann sehr besorgt um das Leben seiner Passagiere war, weil er eine Beschädigung des Flugzeuges nicht ausschließen konnte und ihn bat, den Weiterflug der Maschine unbedingt zu verhindern. Man könnte sagen, er starb, weil er sich selbst in dieser Ausnahmesituation der großen Verantwortung für die ihm anvertrauten Passagiere und seiner Crew bewusst war und diese annahm. In meine Blogs schreibe ich so oft über Führung und Führungsqualitäten. Kapitän Schumann hat wirklich verstanden, dass es nicht um Macht, Rang oder Prestige geht, sondern um Verantwortung.

Vor einigen Jahren durfte ich die Nichte von Kapitän Schumann als Teilnehmerin in einer Schulung zur Luftsicherheit begrüßen. Sie hat ihren Onkel nie kennengelernt. Und jedes Mal, wenn ich am Flughafen in Frankfurt die Kapitän Schumann Straße entlangfahre, fällt mir auf, wie nah Geschichte sein kann.

Mit dem toten Kapitän Schumann an Bord ging es weiter nach Mogadischu. Die emotionale Belastung der Passagiere und auch der Crew bis dahin kann ich mir nicht vorstellen. Ich habe so oft in meiner Uniform an der Flugzeugtür gestanden und mir angeschaut, wer so einsteigt und so oft habe ich mich von meinen Kapitänen mit einem “bis zum nächsten Mal” verabschiedet. Für meine Kolleginnen und Kollegen der Landshut gab es kein nächstes Mal mit ihrem Kapitän.

Nach der Landung in Mogadischu drohten die Entführer schließlich, die gesamte Maschine in die Luft zu sprengen. Es wurden Ultimaten ausgehandelt, die einer Einheit des Bundesgrenzschutzes, der GSG9, die Zeit verschafften, die sie brauchten, um sich zu positionieren. Um als deutsche Einheit auf somalischen Boden gewähren zu dürfen, gab es wohl die ein oder andere Waffenlieferung. Wie dem auch sei, am 18. Oktober um 00:05 Uhr MEZ (etwa 90 Minuten vor Ende des Ultimatums) wurde gestürmt. In Anbetracht der Gemengelage hätte man viele Tote und Verletzte erwarten können. Im Schusswechsel starben jedoch nur drei der vier Terroristen. Wie nervenstark und professionell müssen diese GSG9 Beamten gewesen sein? Eine der Terroristen, Souhaila Andrawes, überlebte schwer verletzt. Ihre Gesinnung machte sie noch auf dem Weg zum Krankenwagen deutlich, mit Victory-Zeichen und den Worten “tötet mich, wir werden siegen”. Heute lebt sie unbehelligt in Norwegen. Für ihre Tat saß sie lediglich vier Jahre in Haft. Zwar wurde sie in Somalia zu 20 Jahren Haft verurteilt, jedoch recht schnell in den Irak abgeschoben. Über Beirut ging es nach Zypern und schließlich nach Norwegen, wo ihr als Palästinenserin politisches Asyl gewährt wurde. Zwar wurde sie in Folge auch in Deutschland verurteilt, durfte ihre Haft jedoch in Oslo verbüßen, wo sie aus gesundheitlichen Gründen (Nachwehen der Schussverletzungen) sehr vorzeitig entlassen wurde.

Die inhaftierte Führungsriege der RAF beging noch in der gleichen Nacht kollektiven Selbstmord und einen Tag später wurde auch die Leiche Hans Martin Schleyers in einem Kofferraum im Elsass gefunden.

Der Deutsche Herbst war vorbei. Kanzler Schmidt hatte sicher eine der schwersten Entscheidungen seiner Karriere zu treffen und deren Konsequenzen auszuhalten. In Deutschland wurde es Winter.

Über Terrorismus und Kriminalität - der Versuch einer Abgrenzung

Die Ereignisse rund um die Entführung der Landshut bieten für mich als Human Factors Trainer unzählige Möglichkeiten anzuknüpfen: der Zusammenhang zwischen Führung und Verantwortung, wie Kapitän Schumann ihn zeigte, die unglaubliche Stärke der menschlichen Seele oder des Geistes, der alle Geiseln diese extreme Situation aushalten ließ, die Gnadenlosigkeit von Entscheidungen, wie sie Kanzler Schmidt sicher verspürt hat, oder das außergewöhnliche Stressmanagement jedes einzelnen GSG9 Beamten und die extrem gute Zusammenarbeit im Team der GSG9, die absolute High Performance hervorgebracht hat. Vielleicht werde ich mir das ein oder andere zu den nächsten Jahrestagen vorknüpfen. Heute möchte ich mich mit einem Thema auseinandersetzen, das mich schon seit Jahren beschäftigt: woher kommt Terrorismus und was können wir aus dem, was war, lernen.

Meine erste wirkliche Berührung mit Terrorismus hatte ich, als ich mit 19 im Ausland als Barkeeperin gearbeitet habe und einer der Stammgäste, ein alkoholabhängiger alter Mann, mir im Gespräch erzählte, dass er ein inzwischen begnadigter Terrorist war. Mit 19 ist man da erstmal sprachlos. Also erzählte er. Er berichtete wie er als junger, unterprivilegierter Mann mit der falschen Religion unbedingt für eine bessere Welt für seine Kinder kämpfen wollte. Natürlich gab es während des Kampfes für eine bessere Welt Kollateralschäden, die er augenscheinlich sehr bedauerte. Am meisten bedauerte er jedoch, dass er, während er total mit Kämpfen beschäftigt war, völlig vergessen hat, sich eine Frau zu suchen, mit der er eine Familie hätte gründen können. Dann kam er ins Gefängnis und als er rauskam, war es zu spät, um eine Familie zu gründen. Das ist irgendwie fast schon tragisch. Vor mir saß ein alter, einsamer, gebrochener Mann. Er hätte mir leidtun können, hätte ich nicht einige Wochen zuvor einen jungen, attraktiven, charmanten Mann kennengelernt, dessen Tragik es war, dass er seine Eltern und seine Großmutter bei einem Terroranschlag verloren hat.

Schon Albert Camus hat sich in seinem Drama “Die Gerechten” mit der Frage, ob der Zweck die Mittel heilige, auf intellektueller Ebene auseinandergesetzt und ist nach meinem Empfinden zu keiner befriedigenden Antwort gekommen. Was ist im Kampf für eine bessere Welt oder eine bessere Gesellschaft erlaubt? Wie weit darf man gehen? Diese Fragen haben mich zu dem Aspekt gebracht, der Terrorismus aus meiner Sicht von Kriminalität unterscheidet: ein Krimineller ist sich bewusst darüber, etwas Illegales zu tun, während ein Terrorist von der Richtigkeit seines Tuns so überzeugt ist, wie ich überzeugt davon bin, dass man eben diese Terroristen aufhalten muss. Es ist verrückt, dass Souhaila Andrawes bis heut immer wieder Flüge bei Lufthansa bucht und sich darüber wundert, dass man sie nicht mitnehmen möchte… Klar, in ihrer Welt hat sie nichts Falsches getan. Sie hat für ihre Ideale gekämpft. Wer oder was ist da schon die Deutsche Lufthansa?

Woher kommen Terroristen?

Wenn man Terror als einen Konflikt betrachtet, den eine Gruppen von Menschen mit dem Staat, der restlichen Welt oder einer Religion hat, dann ist dem Mediator klar, dass die Ursache von Terrorismus eine unterschiedliche Meinung oder eine andere Perspektive ist. Betrachtet man sich die Ursprünge der RAF, findet man eine Generation junger Studenten, die das Verhalten ihrer Eltern während der Zeit des Nationalsozialismus kritisch hinterfragt haben. Auch der Kapitalismus, die parlamentarische Demokratie und die bürgerliche Art zu leben wurde hinterfragt. Man war nicht mehr und nicht weniger, als auf der Suche nach einer besseren Form gesellschaftlichen Zusammenlebens und mit der Ablehnung des Vietnamkriegs war man auch gegen Krieg und für Frieden. Das hört sich großartig an. Ich hätte mitgemacht. Es bildete sich die Außerparlamentarische Opposition (APO), die sich politisch engagierte. Man hinterfragte Kanzler Giesinger, da dieser im Dritten Reich als Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes auf Seiten der Nazis aktiv war und hinterfragte so auch die noch junge Bundesrepublik. Man überlegte vielleicht sogar völlig zurecht, ob das System, das alte Nazi-Kader wieder an die Macht brachte, das richtige System für einen wirklichen Neuanfang nach dem Unrecht des Dritten Reichs sei. Was um alles in der Welt konnte einige dieser klugen, reflektierten, mutigen jungen Menschen zu gewalttätigen Mördern werden lassen?

Was einen jeden eskalieren lässt, ist wenn man seine Meinung nicht hört oder hören möchte, man denjenigen außenvor lässt, ihn respektlos behandelt und nicht wahrnimmt (wir sind hier mal wieder bei Maslows Bedürfnispyramide). So erging es der APO. Obwohl sich hier ausgesprochen viele Menschen organisierten und man getrost von einer Bewegung sprechen darf, wurde diese von den Mächtigen in Politik und Gesellschaft ignoriert. War ja auch viel einfach so. Anders hätte man sich womöglich mit seiner eigenen Vergangenheit und seiner eigenen Verantwortung auseinandersetzen müssen.

Konflikteskalation nach Glasl, auch historisch betrachtet

Was passiert, wenn man mir nicht zuhört? Ich rede etwas lauter und lauter und lauter und lauter. Irgendwann schreie ich. Auch die Schreie der RAF wurden ignoriert. Es kam zu dem, was Camus beschrieben hat: es kam zu einer Strategiediskussion innerhalb der Studentenbewegung, die sich mit der Legitimation von Gewalt zum Erreichen der Ziele beschäftigte. Am Ende stand zunächst der Konsens, dass “Gewalt gegen Sachen” in jedem Fall gerechtfertigt sei. Der Staat sah das naturgemäß anders, zog die Daumenschrauben an, der Konflikt eskalierte weiter, die RAF ging in den Untergrund und irgendwann war man wohl der Meinung, dass durchaus auch Gewalt gegen Menschen gerechtfertigt sei, um sich Gehör zu verschaffen. Auf Glasls Skala zur Eskalation von Konflikten befinden wir uns auf Stufe 9 (hier ein Link zum erklärenden Blog). Ab hier gibt es keine Sieger mehr. Die Terroristen schauen nicht mehr nach links oder nach rechts, wie der alte Gast in dieser Bar am Ende der Welt, der das wichtigste in seinem Leben aus den Augen verloren hat, weil er nur noch den Kampf sehen konnte und dabei vergessen hat, wofür er eigentlich kämpfen wollte. Der Staat ist in die Enge getrieben und muss Entscheidung treffen, wie Kanzler Schmidt im Herbst 1977, eine gesamte Gesellschaft lebt in Angst und Menschen verlieren das wertvollste, was sie haben: ihr Leben. Zurück bleiben Familien und Freunde, die für den Rest ihres Lebens mit diesem Verlust klarkommen müssen.

Es geht mir nicht darum Terrorismus zu legitimieren. Wenn Menschen, aus welchen Gründen auch immer, die Grenzen hin zu Gewalt überschreiten, gibt es für mich keine Rechtfertigung mehr. Der Unterschied zu kriminellen Gewalttätern ist für mich als Mediator jedoch, dass man als Gesellschaft die Möglichkeit hat, terroristische Gewalt zu verhindern, wenn man zu einem sehr frühen Zeitpunkt deeskalierend vorgeht, indem man sich mit anderen Meinungen auseinandersetzt, allen Menschen Respekt entgegenbringt und vor allem, indem man sich zuhört.

Mein Blick in die Welt - mit der Vergangenheit im Kopf Zukunft gestalten?

Wie sieht es heute aus? Wenn ich mir die Medienlandschaft so anschaue, sehe ich überall auf der Welt junge Menschen, die sich eine andere Gesellschaft wünschen, die für wundervolle Dinge kämpfen, das Alte hinterfragen und von einer besseren Zukunft träumen. Wie gut hören wir diesen jungen Menschen zu? Gestehen wir ihnen zu, ihre Zukunft mitzugestalten, obwohl sie noch nicht Teil des mächtigen Establishments sind? Ich sehe Menschen, für die der Alltag ein Kampf ist, die gerade so über die Runden kommen und Angst davor haben, dass ihr Leben noch härter wird. Sie haben Angst, ihr Bescheidenes Hab und Gut auch noch teilen zu müssen. Vielleicht haben sie auch nur Angst vor allem, was fremd ist. Was tun wir, um ihnen diese Ängste zu nehmen? Wie viel Respekt und Verständnis bringen wir ihnen entgegen? Setzen wir uns überhaupt mit ihnen auseinander? Ich sehe Menschen, die wütend sind, weil sie nicht verstehen, dass sie auf Grund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Ethnie, ihrer Hautfarbe benachteiligt werden. Wie sensibel sind wir, die wir zur vermeintlichen Mehrheit, zum Standard, gehören, für deren Sorgen, deren Wut und deren Träume?

Irgendwie erscheint die Welt immer so wahnsinnig überrascht, wenn man feststellt, dass wo auch immer und warum auch immer plötzlich Terrorismus auftaucht… Das war bei den Anschlägen von 9/11 so, mit dem IS konnte man natürlich auch nicht rechnen, der IRA und der ETA, der RAF, oder den rechten Terrorzellen in Deutschland. Hier scheint Donald Trump geradezu weitsichtig (und ich hasse es, das zu schreiben, denn ihr wisst wie ich zu ihm stehe). Er schreit den linksradikalen Terror wie ein Schreckgespenst gerade zu herbei. Interessant ist hierbei vor allem eins: es ist der Geist, den er selbst ganz laut ruft, indem er komplett unversöhnlich, arrogant und respektlos auf seinem eigenen Standpunkt beharrt und all jenen, die sich nicht gehört und wahrgenommen fühlen nur eine Möglichkeit lässt: immer lauter zu schreien!

Klar könnte man jetzt sagen, dass das alles weit weg passiert. Aber mal ehrlich, wie unversöhnlich stehen sich in unserer Gesellschaft Meinungen gegenüber? Wie ist es um unsere Diskussionskultur hier in Deutschland bestellt? Ich stelle immer mehr fest, dass man inzwischen häufiger übereinander oder gegeneinander redet, als miteinander. Bei Glasl wäre das bereits ein mittleres Eskalationslevel, das sich ab einem gewissen Punkt nicht mehr einfangen lässt. Sind wir uns sicher, dass wir das wollen? -Wissend, dass es ab einem gewissen Punkt nur noch Verlierer gibt?

Heute vor 43 Jahren, kurz nach Mitternacht endete für die Landshut-Geiseln ein fast einwöchiger Albtraum, der sie sicher ein Leben lang begleitet hat und noch immer begleitet. Für die Familie, die beiden Söhne und die Frau und sicher auch für die Freunde von Kapitän Schuhmann ging der Albtraum wahrscheinlich erst los. Vielleicht sollten wir alle täglich die Kapitän Schumann Straße entlangfahren um uns daran zu erinnern, wie wichtig es ist, einander zuzuhören, miteinander zu reden und auch bei unterschiedlichen Meinungen im respektvollen Austausch zu bleiben.

Schönen Sonntag allerseits!

Eure Constance

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Achtung Terror

Das Ende des Miteinanders

Konflikte - keiner will sie, jeder hat sie und manchmal möchte man einfach nur laut schreien

Bekenntnisse eines Konflikt-Profis

Also, wie fange ich an…??? Vielleicht mit einer kleinen Beichte: ich bin Mediator, quasi Konflikt-Profi. Außerdem bin ich Human Factors Trainer und weiß, dass Konflikte für gewöhnlich daher rühren, dass zwei Parteien ein und dieselbe Situation einfach nur unterschiedlich wahrnehmen. Also alles kein Drama! Ich habe sogar gelernt, dass diese unterschiedlichen Wahrnehmungen super wichtig in einem High Performance Team sind, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Also alles kein Drama. Ich könnte mich ganz entspannt zurücklehnen und alle möglichen Konflikte auf mich zukommen lassen und sie in aller Ruhe und im Gespräch lösen und dann (etwas klüger als vorher) einfach weitermachen im Text. Ja, das alles könnte ich… Leider gibt es in meinem Gehirn diesen schon mehrfach von mir beschriebenen Party-Pooper namens Amygdala (oder gerne auch Angsthirn genannt), der rasend schnell agiert und das ganz anders sieht. Meine Amygdala schert sich einen feuchten Kehricht um die vernünftigen und positiven Nebeneffekte, die Konflikte so mit sich bringen. Meine Amygdala kennt nur Schwarz und Weiß, Freund oder Feind. In ihrer, zugegebenen etwas veralteten Vorstellung von der Welt leben wir noch in Höhlen und ein jeder, der nicht unserer Meinung ist, bedeutet Lebensgefahr. Meiner Amygdala ist es in solchen Situationen super wichtig, dass ich nicht unter die Räder komme. Deshalb versetzt sie mich auf sehr fürsorgliche Art und Weise sofort entweder in einen Kampf- oder in einen Fluchtmodus. Da die Amygdala schon sehr lang Zeit hatte, zu üben, ist sie dabei deutlich schneller, als meine modernen Mediatoren-Hirnteile, die natürlich wissen, dass eine andere Meinung heutzutage nicht unbedingt Lebensgefahr bedeutet. Das macht mich manchmal fertig! Deshalb will ich keine Konflikte, obwohl ich weiß welch großes Potenzial sie auch für meine Weiterentwicklung mit sich bringen. Nein, ich will sie nicht, ich versuche sie manchmal sogar aktiv zu meiden.

Kommen euch die Situationen bekannt vor, in denen ihr alles versucht, um einen Konflikt zu meiden? -In denen euch eine andere Meinung dazu bringt, euch innerlich zurückzuziehen, um bloß nicht mehr mit dem Gegenüber zu sprechen? -In denen ihr sofort und unüberlegt zurückschießt? Glückwunsch! Auch ihr habt eine gut ausgebildete und wachsame Amygdala, die im Zustand permanenter Aufmerksamkeit aufpasst, dass ihr nicht aus Versehen von einem Säbelzahntiger gefressen werdet. Soll heißen, euer Gehirn funktioniert ganz normal. Wut, Angst und Angriffslust (und auch der Wunsch manchmal laut zu schreien), aber auch innerer Rückzug und Bockigkeit sind ganz normale menschliche Gefühlsregungen. Soweit die gute Nachricht.

Weil die Welt sich weiterdreht

Jetzt kommt die schlechte Nachricht: ihr habt es sicher mitbekommen, die Säbelzahntiger sind ausgestorben und wir leben nicht mehr in Höhlen. Genau das müssen wir unseren Amygdalas behutsam beibringen, sonst wird das Leben in unserer modernen Welt echt anstrengend. Bei jeder abstrakten Bedrohung kämpfen oder flüchten zu müssen ist echt kräftezehrend. Wie man das ändern kann? Gute Frage! Zunächst einmal ist es wichtig, zu verstehen, wie diese Amygdala funktioniert, um zu verstehen, was mit einem selbst passiert, wenn man mal wieder rotsieht. In meinen Workshops fange ich zumeist erstmal damit an, zu erklären, woher das Wörtchen Konflikt überhaupt kommt. Seinen Ursprung hat das Wort im Lateinischen: confligere bedeutet so viel wie zusammenstoßen oder zusammenprallen. Das beschreibt es ganz gut. Die Amygdala wertet diesen abstrakten Zusammenstoß nämlich als konkreten, körperlichen Zusammenstoß und glaubt kämpfen zu müssen, um zu überleben. Diesen Umstand zu akzeptieren ist zunächst einmal die Basis, um daran arbeiten zu können. Denn Fakt ist, hat die Amygdala erstmal Gas gegeben, nimmt ein jeder Konflikt eine Eigendynamik auf, die sich auch durch den Versuch, den Konflikt und die damit verbundenen Gefühle zu ignorieren, nicht aufhalten lässt.

Zur Dynamik von Konflikten

Der österreichische Konfliktforscher Friedrich Glasl hat 1980 sein Modell zur Konflikteskalation veröffentlich. Er hat dargestellt, dass alle Konflikte (auch die ignorierten) immer weiter eskalieren. Das tun sie in den stets gleichen Phasen. Ich halte es für wichtig, sich einmal mit diesen Phasen beschäftigt zu haben, um sich selbst in einem Konflikt besser zu verstehen und um zu wissen, wo es noch Ausgänge oder Notausgänge gibt. Deshalb hier in aller Kürze die Konflikteskalation nach Glasl:

  1. Es wird kälter: jeder kennt dieses Gefühl. Man merkt, dass etwas nicht stimmt. Es gibt Spannungen und Sticheleien, kein wirklicher Streit, aber genug um sich unwohl zu fühlen.

  2. Debatten und Polarisation: kurzgefasst; es wird diskutiert und debattiert wann immer es geht. Der jeweils andere wird dabei langsam zum Gegner.

  3. Taten statt Worte: jetzt geht es darum, den jeweils anderen konkret unter Druck zu setzen. Im Arbeitsumfeld könnte das bedeuten, den anderen vielleicht einfach mal zu vergessen, in einer wichtigen Mail nicht anzukopieren. Soll passieren, habe ich gehört! Ups!

  4. Jeder soll sehen, dass der andere der Schuft ist: natürlich geht es darum, Allianzen zu knüpfen, Unterstützung und Verbündete zu finden. Klar, wenn mir noch drei andere bestätigen, dass das Verhalten des anderen “gar nicht geht” wird meine subjektive Empfindung jetzt zur objektiven Wahrheit! Victory!

  5. Gesichtsverlust: nun geht es darum, den jeweils anderen moralisch zu entwerten. Es geht langsam aber sicher nicht mehr um das eigentliche Konfliktthema, sondern um den anderen als Person, um den Feind! Eine differenzierte Perspektive wird immer schwieriger.

  6. Drohstrategien: Mein Lieblingspunkt! Ja, wir Menschen drohen unglaublich gerne, weil wir glauben, dass der andere tut was wir wollen, wenn wir ihn nur gehörig unter Druck setzen. Dass wir uns dabei immer selbst am meisten unter Druck setzen, merken wir meistens erst zu spät! Kurze Geschichte gefällig? -Eine hochgeschätzte Trainerkollegin berichtet an dieser Stelle gerne von ihren beiden Söhnen, die nicht so gerne aufräumen. Das nervt Mama natürlich sehr. Mal wieder herrschte Chaos in den Kinderzimmern. Es war Wochenende, die ganze Familie freute sich auf ein Straßenfest. Mama freute sich am meisten, weil sie sich da mit Freundinnen zum Sektchen treffen wollte. Die unaufgeräumten Zimmer ihrer Jungs am Morgen erzürnte sie jedoch so sehr, dass sie sich zu folgendem Satz hinreißen ließ: “Wenn ihr das nicht sofort aufräumt, gehen wir nachher nicht auf das Straßenfest!”. Sie sprach es und bereute postwendend! Was wenn die beiden nicht aufräumten? Dann würde sie selbst entweder ihre Freundinnen nicht zum Sektchen treffen können, oder sie würde ihre Autorität bis zur Volljährigkeit der beiden verspielen müssen… Ich bin mir sicher, jeder kann von ähnlich gelagerten Situationen berichten und trotzdem tun wir es immer wieder! Es menschelt halt ungemein, wenn die Amygdala Gas gibt!

  7. Begrenzte Vernichtungsschläge: ab hier gibt es langsam aber sicher kein Halten mehr. Man fängt an, eigene moralische Grenzen zu überschreiten, nur um dem anderen zu schaden.

  8. Zersplitterung: jetzt geht es auch darum, den anderen zu isolieren, indem man seine Netzwerke zu zerstören versucht. Dabei macht man sogar vor der Manipulation Dritter keinen Halt.

  9. Gemeinsam in den Abgrund: nun ist schließlich der Punkt erreicht, an dem man selbst eigene Verluste billigend in Kauf nimmt, solange der andere noch ein klitzekleines bisschen mehr verliert. Wer kennt den Film “Rosenkrieg”? Genau so!

Und? habt ihr euch an der ein oder anderen Stelle an eine konkrete Situation zurückerinnert? Perfekt! Um einen Konflikt lösen zu können, muss man sich trotz all der Emotionen, die in uns toben, erstmal orientieren. Das funktioniert zunächst in der Retrospektive einfacher als in der akuten Situation.

Die Suche nach dem Exit Sign

Was jetzt noch bleibt ist die Frage, wie man wo aussteigen kann. Da Konflikte ja wie gesagt nicht einfach so verschwinden, ist es sinnvoll, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt auszusteigen. Friedrich Glasl und ich sind uns darin einig, dass wir einen Ausstieg noch während der ersten drei Stufen empfehlen. Aus zwei Gründen: zum einen lässt sich der Konflikt auf dieser Ebene meist in einer Win-Win-Situation klären und zum anderen auch ohne fremde Hilfe, weil noch nicht wirklich viel Porzellan zerschlagen wurde. Das einzige was es dafür braucht, ist die Achtsamkeit den aufkommenden Konflikt zu erkennen, die Akzeptanz, dass er eskalieren wird, wenn ich nicht einschreite und schließlich den Mut, das ganze anzusprechen. Ich spreche eine solche Situation gerne nach dem WWW-Prinzip an. In meinem Artikel Rund um das Thema Feedback habe ich diese Möglichkeit kurz beschrieben (hier der Link zum Artikel).

Bewege ich mich bereits auf den Stufen 4, 5, oder 6 wird es deutlich schwieriger einen Ausgang zu finden. Häufig ist es sinnvoll hierbei einen unparteiischen Mediator (das darf auch gerne ein neutraler Kollege oder der Vorgesetzte sein) einzuschalten, da man den Konflikt ab der vierten Stufe meist nur in einer Win-Lose-Situation lösen kann, weil bereits Dritte involviert sind. Im Business-Umfeld können gut vorbereitete Führungskräfte übrigens sehr wertvolle Beiträge dazu leisten, dass sich selbst “Lose” nicht allzu schmerzhaft anfühlt. Es geht um die Möglichkeit, sein Gesicht wahren zu können.

Ab Stufe 7 kann man höchstens noch von einem Notausgang sprechen, da die Lösung immer in einer Lose-Lose-Situation enden wird. Auch ist ein Mediator (der dann nicht selten ein Jurist, bzw. Richter sein kann) unumgänglich. Und ganz ehrlich, all euer Bestreben rund um das Thema Konflikt sollte stets sein, es nicht so weit kommen zu lassen.

Achtsamkeit und Selbstführung - mal wieder

So weit in aller Kürze zu den Weisheiten des Konfliktmanagement-Trainers. Der Coach in mir hat noch einen anderen Ansatz. Ich komme nochmal auf die Amygdala zurück. Denn am sinnvollste wäre es doch, wenn wir einfach weniger Konflikte hätten, bzw. unsere Amygdala weniger Situationen als bedrohlich wahrnimmt, weil sie langsam aber sicher in unserer modernen, abstrakten Welt ankommt. Hierzu müssen wir zunächst einmal einsehen, dass die Konflikte, die wir haben, zumeist deutlich mehr mit uns selbst, als mit unserem gegenüber zu tun haben. Den gefühlten Konflikt verursacht nämlich für gewöhnlich unsere ureigenste Bewertung der Situation. Wir müssen einfach davon loskommen, alles als Bedrohung wahrzunehmen. Das funktioniert, ist aber ein verdammt langer Weg. Vor etwa zwei Wochen habe ich bei Instagram (unbezahlte) Werbung für ein Buch gemacht: “… und ständig tickt die Selbstwertbombe” von H. H. Stavemann. Mit Hilfe dieses Buches kann man eine wirklich spannende Reise in sein eigenes Bewertungssystem unternehmen und gaaaaanz langsam, Schritt für Schritt, mittels des ABC-Modells an diesem Bewertungssystem arbeite. A steht hierbei für die Ausgangssituation, B für die Bewertung und C für die Konsequenzen. Wenn der ein oder andere diesbezüglich an sich arbeiten möchte und gerade keinen Coach an seiner Seite hat, ist Stavemanns Buch, das übrigens ausdrücklich für den Endverbraucher und psychologischen Laien geschrieben ist, eine tolle Alternative.

Egal welchen Weg ihr für euch wählt, Stavemann, einen Coach oder eine andere Möglichkeit zu Achtsamkeit und Selbstreflexion, am Ende bedeutet das immer zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen: entweder ich unterwerfe mich meiner Amygdala und lasse sie uneingeschränkt meine gesamte Umwelt als bedrohlich einschätzen. Vielleicht ist das ja wirklich weniger kräftezehrend, als Selbstreflexion und bewusste Selbstführung. Oder ich arbeite an mir, meinen Mustern, versuche auch mal die Perspektive zu wechseln und das Thema Konflikt für mich um zu bewerten. Ich habe mich für zweites entschieden. Das lässt mich viel entspannter durchs Leben gehen. Natürlich gelingt es mir nicht immer. Manchmal passiert einfach etwas und meine Amygdala sieht rot. Aber das gönne ich mir dann auch. So ist der Mensch und manchmal ist es völlig OK, auch mal laut zu schreien, finde ich und freue mich gleichzeitig darüber, dass meine Amygdala in den letzten Jahren deutlich cooler geworden ist.

Eure Constance

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Gemeinsam in den Abgrund?

Weil Konflikte irgendwann nur noch Verlierer kennen

Aus aktuellem Anlass: Programmänderung! - Was bleibt von Ruth Bader Ginsburg?

… oder wie man sachlich, klar und mit blitz-sauberen Mitteln für das kämpft, was einem wichtig ist!

Ich weiß, ich habe etwas anderes angekündigt. Der Artikel rund um das Thema Konflikt, warum Konflikte unvermeidbar sind und uns manchmal zum Schreien bringen, ist im Prinzip fertig. Allerdings hat der Tod der großartigen, einzigartigen, ikonischen Ruth Bader Ginsburg dazu geführt, dass ich nicht anders kann, als die Agenda zu wechseln. Konflikt gibt es nächsten Sonntag. Heute möchte ich euch von Ruth Bader Ginsburg berichten, von ihrer außergewöhnlichen Streit- und Diskussionskultur und ihrem Sinn für Gerechtigkeit, der sie unbeirrbar als innerer Kompass geleitet hat.

Wer um alles in der Welt ist Ruth Bader Ginsburg?

Vielleicht hat der ein oder andere erst in den letzten Tagen das erste Mal bewusst von Ruth Bader Ginsburg gehört und vielleicht wundert sich der ein oder andere, warum einer 1,55m kleine Verfassungsrichterin nach ihrem Tod wie einem Popstar gehuldigt wird. Viele Frauen kennen Ruth vielleicht als Ikone der Feminismus-Bewegung. Allerdings wird ihr das nicht im Ansatz gerecht. Auch war sie mehr, als einfach nur eine Verfassungsrichterin in den USA, der es gelungen ist, Kinder und Karriere zu kombinieren. Deshalb mal ganz von vorne.

Ruth Bader Ginsburg wurde als Tochter jüdischer Einwanderer 1933 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren. Es war wohl ihre Mutter, die ihr von klein auf klar gemacht hat, immer unabhängig zu sein. Diesen Rat scheint Ruth beherzigt zu haben. So ging sie ihren Weg, stark, stolz und unbeirrbar. Als sie ihr Jurastudium an der Cornell Universität aufnahm, waren Frauen an Universitäten nur mäßig gerne gesehen, da sie den Männern Studienplätze wegschnappten. Frechheit! Böse Frauen! Ab an den Herd! Und als sie sich 1956 in Harvard einschrieb, war Ruth in ihrem Jahrgang eine von neun Frauen unter mehr als 500 Männern.

Noch während ihres Studiums heiratete Ruth ihren Mann Martin Ginsburg und wurde auch zu ersten Mal Mutter. Starke Frau, Mutter und zu dem einen sehr guten Abschluss in der Tasche, was will man mehr?! Und doch, oder gerade deshalb hatte es Ruth verdammt schwer, einen Job zu finden. Keine Kanzlei wollte sie einstellen. Sie sagte selbst einmal: “Eine Jüdin, eine Frau und eine Mutter - das war ein bisschen zu viel.” Aber Ruth kämpfte weiter und als sie schließlich 1963 Professorin an der Rutgers University wurde, war es natürlich selbstverständlich, dass sie deutlich schlechter bezahlt wurde, als ihre männlichen Kollegen. Immerhin hatte sie einen Ehemann, der für sie sorgte, so die Argumentation! Um nicht noch anderweitig diskriminiert zu werden, hielt Ruth ihre zweite Schwangerschaft geheim, unter weiten Kleidern verborgen. Was folgt, scheint wie eine Zwangsläufigkeit: Ruth setzt sich bei der Bürgerrechtsorganisation American Civil Rights als Anwältin für Gleichstellungsrecht ein. Fortan verhandelte sie insgesamt sechs Fälle vor dem Obersten Gerichtshof. Sie gewann fünf davon. In ihrem ersten Fall vertrat sie einen weiblichen Leutnant der Luftwaffe, Sharron Frontiero, die für sich etwas verlangte, was für ihre männlichen Kollegen ein Automatismus war: eine Krankenversicherung für den Ehepartner! Vor den neun Richtern erklärte Ruth, dass sie keinesfalls um einen Gefallen für ihr Geschlecht bitte. Sie zitierte schließlich die Bürgerrechtlerin Sarah Moore Grimké, die als aktive Gegnerin der Sklaverei und Bürgerrechtlerin 1837 folgendes sagte: “Ich bitte unsere Brüder nur, dass sie ihre Füße von unseren Nacken nehmen.” Bääm, das hat gesessen!

1980 wechselte Ruth auf die Richterbank und wurde 1993 von Bill Clinton als zweite Frau überhaupt an den Supreme Court berufen. Wie ein liberales Sturmtief wirbelte Ruth fortan durch den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten und prägte große und richtungsweisende Urteile, wie zum Beispiel Obamas Gesundheitsreform und die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe.

Bis zu ihrem Tod am vergangenen Freitag nahm die 87-jährige Ruth trotz einer schweren Krebserkrankung ihre Aufgabe als Oberste Richterin wahr, mit blitzscharfem Verstand und einem großen Herz.

Und was bleibt von Ruth Bader Ginsburg?

Ihr letzter, leidenschaftlichster Wunsch wurde Ruth leider nicht erfüllt. Sie wollte keinesfalls vor den US-Wahlen im Herbst ersetzt werden. Klar, würde US Präsident Trump sicher einen weiteren erzkonservativen Richter an den Supreme Court berufen. Als Heroin der Liberalen muss man natürlich verhindern, dass die Konservativen das Zepter gänzlich in ihre Hand nehmen! Aber so dachte Ruth nicht. Ruth war eine Kämpferin, jedoch kämpfte sie nie gegen jemanden oder etwas, sondern einfach nur für Gerechtigkeit und ein gesellschaftliches Gleichgewicht. Anders lässt es sich wohl kaum erklären, dass einer ihrer engsten Freunde ihr konservativer Richterkollege Anthony Scalia war. Im Grunde genommen waren die beiden niemals einer Meinung. Die Basis ihrer Freundschaft war eine faktenbasierte Diskussionskultur und die Gewissheit, dass sie sich gegenseitig besser machten. Eröffnete der jeweils andere einem doch eine ganz andere, neue Perspektive. Nach Scalias Tod 2016 schieb sie “we were best buddies.” Eine so tiefe Freundschaft zwischen zwei politisch derart unterschiedlichen Menschen ist heutzutage nicht nur in den USA kaum vorstellbar, ist man doch gegenwärtig primäre damit beschäftigt, gegen “das Andere” zu kämpfen.

Ja, mit Ruth Bader Ginsburg hat die USA eine Ikone der Liberalen verloren und die Welt eine Feministin der ersten Stunde. Aber das wird dieser zierlichen, fast zerbrechlich wirkenden, kleinen Frau nicht ansatzweise Gerecht. Mit Ruth hat die Welt eine große Humanistin mit unbeirrbarem inneren Kompass verloren, einem inneren Kompass der so stark und klar war, dass sie andere Perspektiven und Meinungen respektieren konnte, sie diese sogar als Bereicherung wahrgenommen hat weil sie dadurch in ihrer eigenen Argumentation und in ihrem Kampf für Gerechtigkeit noch viel klarer und schärfer werden konnte.

Über Selbstführung den inneren Kompass finden

Klar würde auch ich mir wünschen, etwas mehr wie Ruth zu sein. Natürlich frage ich mich, wie ich es schaffe, aus der Ruhe in mir selbst meinen eigenen inneren Kompass zu finden. Wahrscheinlich bin ich mit dieser Frage auch nicht allein. Viele Menschen sind gut darin, zu wissen, was sie nicht wollen. Wenige sind sich wirklich im Klaren darüber, was sie wollen. Wie man das herausfindet? Letzte Woche habe ich mich unter anderem mit dem Thema Selbstführung beschäftigt… Das ist der Weg: bewusste Selbstführung! So einfach und doch so kompliziert! Wie bereits letzte Woche beschrieben, macht Selbstführung nicht nur erfolgreich, sondern auch zufrieden, weil sie Klarheit und Richtung gibt. Und Ruth war unglaublich erfolgreich! Unfassbar was diese Frau erreicht hat. Aber ihr größter Erfolg war es wohl, dass sie trotz der widerlichen Diskriminierung, die sie als junge Frau und Jüdin erfahren musste, nicht angefangen hat, gegen dass patriarchische Establishment zu kämpfen, sondern für Frauen und Diskriminierte. Ruth kämpfte nicht gegen die Konservativen, sondern für Gleichberechtigung und Liberalismus. Sie kämpfte dafür, beides sein zu können: Mutter und Juristin. Sie kämpfte nicht gegen die Reichen, sondern für die Benachteiligten. Und sie kämpfte bis zu Letzt für eine bessere Welt, ein besseres Miteinander. Ich könnte mir vorstellen, dass das Ruth durchaus auch sehr positiv und zufrieden gemacht hat.

Wofür kämpft ihr? Oder kämpft ihr doch eher gegen etwas?

Was bleibt von Ruth Bader Ginsburg? Für mich bleibt die Gewissheit, dass es möglich ist, andere Meinungen zu respektieren, sie als Bereicherung zu sehen, ohne sich dabei von der eigenen Richtung abbringen zu lassen. Was bleibt, ist die Gewissheit, dass eine respektvolle und sachliche, politische Auseinandersetzung möglich ist. -Ein Geschenk in Zeiten, in denen man sich nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland oft unversöhnlich auf der Straße gegenüber steht, in denen die Medien ihr übriges tun, um Öl ins Feuer zu gießen und in denen ein Präsident scheinbar bewusst zu einer Eskalation beiträgt. Meine Güte, wie dringend bräuchten wir gerade jetzt, in einer Phase, die durch so viel Unbekanntes und durch so viel Unsicherheit geprägt ist, Menschen wie Ruth, die unbeirrbar ihren Weg gehen, mit einer Offenheit für Veränderungen und einer Neugier auf “das Andere”?

Liebe Ruth Bader Ginsburg, ich verneige mich vor dir und ich wünsche mir einen inneren Kompass, wie du ihn hattest, einen Kompass, der mir immer wieder zeigt, wofür ich kämpfen möchte und nicht wogegen!

Danke, dass ihr bis hierher weitergelesen habt. Ja, das war ein etwas anderer Artikel und nächste Woche wird es gewohnt sachlich weitergehen, versprochen! Aber besondere Menschen bedürfen einfach einer besonderen Würdigung.

Eure Constance

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RBG

Was ein großartiges Leben…