Der Agile Coach, der keiner ist, aber verrückt genug ist, als solcher arbeiten zu wollen! -Über die Macht der eigenen Ressourcen und Kompetenzen

Der Agile Coach, der keiner ist, es aber trotzdem einfach tut…

Der geneigte Stammleser hat ja zwischenzeitlich sicher mitbekommen, dass ich mich ab Januar beruflich auf komplett neue Füße stellen werde. Noch nicht erzählt habe ich euch, was ich zukünftig mit meiner Arbeitskraft vorhabe: ich werde als Agile Coach arbeiten. Das Verrückte ist, dass ich gar kein Agile Coach bin. Darüber darf ich gar nicht zu genau nachdenken, nicht, dass ich auf den letzten Drücker doch noch auf die Idee komme, zu glauben, dass ich das, was ich machen werde, gar nicht kann!

Wie um alles in der Welt kommt man also dazu, als etwas arbeiten zu wollen, das man gar nicht ist! Ganz einfach: man entscheidet sich einfach das zu tun, was man kann, weil man sich seiner Fähigkeiten und Ressourcen bewusst ist! Für mich war das ein großer Schritt, da ich mir eigentlich immer eher dessen bewusst war, was ich alles (noch) nicht kann! Mitte November hatte ich dann jedoch einen echt hellen Moment, den sich jeder von Zeit zu Zeit gönnen sollte. Aber ich fange mal von vorne an…

Hilfe, kein Toilettenpapier…

Damals, als Corona gerade angefangen hat, um sich zu greifen und ich noch fest daran glaubte, dass dieses Virus so schnell wieder verschwindet, wie seinerzeit das Toilettenpapier aus den Regalen unserer Supermärkte, hatte ich eines dieser Gespräche mit meiner Kollegin, Chefin, Mentorin Annette. Nachdem ich nun einige Jahre von einer Weiterbildungsmaßnahme zur nächste gestolpert bin, fragte sie mich eher beiläufig, wo ich denn mit all diesen Zertifikaten hinmöchte und meinte schließlich, dass man irgendwann auch mal schauen muss, was man denn alles schon kann und was man damit anfangen möchte. Ja, stimmt schon, ABER die und die Weiterbildung müsste ich doch noch dringend machen, weil ich ja wie so oft das Gefühl hatte, noch immer nicht gut genug zu sein. Zunächst verpuffte das Gespräch zwischen Corona, Kurzarbeit und wilden Plänen meinerseits.

Die Rückkehr des Toilettenpapiers

Das Toilettenpapier kehrte schließlich langsam aber sicher wieder in die Supermarktregale zurück. Blöderweise war das Virus noch immer da und ich hatte in Folge mehr Zeit als mir lieb war, um über Annettes Worte nachzudenken! Als erstes musste ich mir die Frage stellen, wohin die Reise für mich gehen sollte. Eine Antwort war recht schnell gefunden: was mich am meisten berührt und antreibt, ist das Menschenbild, dass ich als Human Factors Trainer in der Luftfahrt kennenlernen durfte. Der Mensch ist der Schlüssel zum Erfolg unserer Systeme und dabei ist jeder Akteur gleichermaßen wertvoll und macht so das Team zum Star! Wundervoll! Mit diesem Leitbild möchte ich unbedingt weiterhin durchs Leben gehen. Außerhalb der Luftfahrt ist mir ein vergleichbares Mindset immer wieder in agilen Strukturen begegnet und irgendwie wuchs in mir der Wunsch, mich in Richtung agiles Coaching weiterzuentwickeln. Die alte, stets vom Weiterentwicklungswahn getriebene Constance hätte sich an dieser Stelle eine berufsbegleitende Ausbildung zum Agile Coach gesucht, weil sie natürlich gedachte hätte, keine Ahnung zu haben und deshalb alles von die Pieke auf lernen zu müssen. Allerdings hallten in meinem Kopf schließlich die Worte meiner Chefin wider und ich entschied mich dazu, zu schauen, was ich schon alles kann, um danach zu schauen, was mir noch fehlt, um mein Ziel zu erreichen. Das war eine für mich eher ungewohnte Herangehensweise und ich gebe zu, ich habe erstmal Meister Google gefragt, was in Zeiten der um sich greifenden Digitalisierung ein völlig probates Mittel ist. Tja, und was soll ich sagen, Meister Google hat geholfen, in dem er mir das Agile Coaching Competency Framework von Lyssa Adkins auf mein Handy gespült hat. Ich hatte nun also eine Auflistung aller Fähigkeiten, die ein Agile Coach mitbringen sollte und musste im Prinzip nur noch abgleichen. Dabei stellte ich fest, dass ich die meisten Punkte ganz entspannt für mich abhaken konnte:

  • Coaching - Haken dran!

  • Facilitating, was in diesem Zusammenhang bedeutet, Teams als neutraler Begleiter und Moderator durch alle möglichen Prozesse zu begleiten. - Hey, ich bin Mediator und Moderator! Dicker fetter Haken dran!

  • Teaching - noch dickerer Haken dran!

  • Mentoring - ich mache seit Jahren Supervisionen! Also noch einen Haken dran!

  • Transformation Mastery, also Change Management - hmmmm, große Transformationsprozesse in großen Organisationen habe ich noch nicht initiiert, aber wenn ich an dieser Stelle großzügig das Thema “Organisationsgröße” ignoriere und mich nur frage, ob ich Erfahrung im Begleiten von Veränderungsprozessen auf Human Factors Ebene habe, würde ich mir auch hier ein Häkchen dran machen.

So waren auf der Haben-Seite schließlich fünf Haken zu finden. Allerdings musste ich feststellen, dass noch drei offene Punkte übrig waren, die es sich anzuschauen gilt:

  • Technical Mastery - klares deutliches Nein! Wobei ich mir bis heute die Frage stelle, wie tiefgreifend meine Technical Mastery als Coach am Ende sein muss. Ich werde kein Entwickler sein. Klar würde ich sicher Verständnis für bestimmte Prozesse benötigen. Aber hey, ich schule Piloten im Human Factors Bereich (und das mache ich, wie ich finde, verdammt gut) und kann selbst keine Flugzeuge fliegen. Also habe ich entschieden, an dieser Stelle etwas Mut zur Lücke haben zu dürfen. Ich werde schon lernen, was ich wissen muss…

  • Business Mastery - kommt halt aufs Business an…

  • Agile Practitioner - klares Nein! Hier stellte sich mir die Frage, wie ich denn zu einem Agile Practitioner werden könnte. Also wieder Meister Google fragen! Nach etwas Recherche stolperte ich über Scrum als agiles Framework. Davon hatte ich bereits gehört und auch über die Rolle des Scrum Masters habe ich schon gelesen, weil sie mir als Moderator, Mediator, Trainer und Teamentwickler irgendwie recht nah schien. Die Frage, die daraus resultierte, war, wie ich Scrum Master werden könnte, wie das mit der Zertifizierung abläuft und ob ich das hinbekomme. Es stellte sich heraus, dass sich dieser Weg selbst unter Corona-Bedingungen recht einfach gestaltet und so nutzte ich meine viel zu viele Freizeit, um “remote” zu lernen und um schließlich auch meine Prüfung zum Professional Scrum Master zu machen.

Und wieder kein Toilettenpapier…

So wurde es Herbst in Deutschland, das Toilettenpapier wurde wieder knapper und ich habe festgestellt, wie recht Annette hatte: lebenslanges Lernen ist großartig, aber bitte mit Sinn und Verstand und nicht weil man glaubt, noch nicht gut genug zu sein. Ich denke, die meisten von uns können so viel mehr, als sie sich eingestehen. Deshalb soll dieser Blog auch ein klein wenig ein Aufruf sein, euch eure Kompetenzen und Ressourcen bewusst zu machen. Das ist weder arrogant, noch überheblich. Es tut einfach nur gut und in meinem Fall hat das sogar Ordnung und Struktur in mein Leben und mein Selbstbild gebracht… -So viel Ordnung und Struktur, dass ich jetzt alles auf den Kopf stelle! Aber vielleicht liegt das ja nur daran, dass man seine Ressourcen auch nutzen möchte, wenn sie einem erstmal bewusst sind!

Und aus dem Condor wird eine Löwin

So dreht sich die Welt immer weiter und manchmal passieren die Dinge genau zum richtigen Zeitpunkt. Hätte ich nur ein halbes Jahr früher die Möglichkeit gehabt, als Agile Coach zu arbeiten, hätte ich sie wahrscheinlich nicht ergriffen, weil ich mir gesagt hätte, du kannst ja nicht als etwas arbeiten, das du formal gar nicht bist. Im November war mir schließlich und endlich klar, dass es nicht nur um Formalitäten geht, sondern auch um das Vertrauen in die eigenen Ressourcen und Kompetenzen. Deshalb sag ich jetzt tschüss zu meinen Flugzeugen und der guten alten Condor, die mir so lange ein tolles Job-Zuhause war. Denn ab Januar werde ich Löwin. Ist ja auch irgendwie cool Es ruft also das Haus des Geldes, ich wechsle in die Finanzbranche und werde zukünftig für die Bank mit dem Löwen arbeiten! Über das Thema Business Mastery denke ich an dieser Stelle besser nicht nach! Eigentlich kann ich ja nur Flugzeuge, aber das wird schon. Ich lerne ja gerne dazu und bin offen für Neues!

Eure Constance

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Kompetenzen und Ressourcen

Alles was zählt???

Veränderungsstress und das Missverständnis der Zeit

Abschiedsstress und Zeitmangel

Puh, das war eine Woche… Ich gebe zu, dass ich mich zwischenzeitlich tatsächlich gefragt habe, ob meine Ankündigung, euch auf meine Veränderungsreise mitzunehmen, klug war. Bis gestern hatte ich keinen Schimmer, was ich erzählen sollte. Nachdem ich letzte Woche meinen Rückzug aus der Luftfahrt angekündigt und auch schon einmal Abschied genommen hatte, hat mich das Feedback schlicht und ergreifend überrollt. So waren die letzten Tage geprägt vom Abschiednehmen. Es sind Tränen geflossen, aber gleichzeitig wurde ich von einer unglaublich wohlwollenden, warmen Welle durch meine Tage getragen. Sowohl als Trainer, als auch als Purser habe ich immer mein Bestes gegeben und auch immer gehofft, dass ich dabei in der Lage war, meine Kollegen und Teilnehmer zu erreichen. Wirklich sicher war ich mir dabei nie. Umso mehr habe ich mich jetzt über das Feedback gefreut und komme nicht umhin zu denken, dass wir uns alle noch regelmäßiger Rückmeldung geben sollten. - Aber das nur am Rande!

Wie ihr euch verstellen könnt, hatte ich ganz schön viel zu tun. Es gab und gibt noch einiges zu regeln und so bin ich durch meine Tage gehetzt, permanent mit dem Gefühl, keine Zeit zu haben. So auch gestern: nachhause gekommen, schnell noch den Adventskalender für mein Patenkind gepackt, einen schnellen Kaffee und dann wieder der obligatorische Blick auf die Uhr! -Sch***, in einer guten halben Stunde ist schon Yoga! Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass ich mein Yoga liebe und auch ausgesprochen diszipliniert zur Tat schreite. Gestern ging das nicht. Plötzlich war da so eine innere Stimme, die mich dazu gezwungen hat, meine Yoga-Stunde zu schwänzen und mir ein Bad einzulassen! Während ich schließlich halbwegs schockiert von meiner Disziplinlosigkeit in der Badewanne lag, hatte ich endlich das, was mir die ganze Woche gefehlt hat: ich hatte endlich NICHTS zu tun!

Während ich also meine Gedanken ordnete, kam ich zu der Erkenntnis, dass eine Sache, die mich immer wieder davon abgehalten hat zu wachsen, mich weiterzuentwickeln und dabei besser, zufriedener und glücklich zu werden, mein fehlendes Verständnis für das Konzept der Zeit war. Wir Menschen sind wirklich verrückt: einerseits liest man überall, dass das Hier und Jetzt unser wertvollster Schatz ist, andererseits leben wir unser Leben, als würde es mit absoluter Sicherheit noch viele Jahrzehnte weitergehen, und zwar genau so, wie es gerade ist… Veränderung nicht vorgesehen!

Das erste große Missverständnis

Aber mal von vorne: mein erstes großes Missverständnis der Zeit ist, dass ich permanent glaube, zu wenig davon zu haben, obwohl da doch ausreichend Zeit ist. Ich müsste sie mir eben nur proaktiv nehmen, so wie gestern. Als Trainer bin ich mir sicher, dass ich damit nicht allein bin. Ich arbeite gerne mit praktischen Lernzielübungen und natürlich habe ich diese eine liebste Übung, in deren Vorbereitung ich mehrfach darauf aufmerksam mache, dass Zeit keine Rolle spielt. Es gibt keine Deadline! Es dauert so lange wie es eben dauert! Und zack, nach spätestens fünfzehn Minuten höre ich in so ziemlich jeder Gruppe, dass es an der Zeit sei, sich mal ein wenig zu beeilen! So hetzt der Mensch durch sein Leben, erlebt die wunderbarsten Momente, die viel zu oft im Nichts verpuffen, weil er sich keine Zeit nimmt, sie zu reflektieren, zu verstehen und sie bewusst wahrzunehmen. Genau das steht uns auch im Job und in Hinblick auf unsere eigene Entwicklung im Weg. Wir begeben uns in unser Hamsterrad, dass wir all zu oft mit Bravour meistern. Aber wirklich befriedigend ist das nicht, denn während diese Rennerei zum Selbstläufer wird, vergessen wir zum einen, wohin wir denn eigentlich möchten und zweitens verlieren wir den Blick auf unser Potenzial und unsere Fähigkeiten. In den letzten Wochen habe ich immer wieder viel Bewunderung für meinen Mut, diesen großen Schritt nun zu gehen, geerntet. Ja, klar gehört da auch Mut dazu. Aber ehrlich gesagt kam ich mir gar nicht so mutig vor, wie das auf Außenstehende wirkt. Ich hatte einfach im Frühjahr und im Sommer sehr viel Zeit, um darüber nachzudenken was mir wichtig ist, wo ich im Leben hinmöchte und vor allem, was ich kann und was ich gegebenenfalls noch lernen muss. Im vollen Bewusstsein meiner Ziele und Ressourcen hat sich diese mutige Entscheidung einfach nur wie der nächste konsequente Schritt angefühlt.

Und die Moral von der Geschicht’: Wer schnell vorankommen möchte, muss zwischendurch auch mal anhalten und schauen, wo er hinrennt. Die Zeit dafür ist vorhanden, man muss sie sich nur nehmen!

Das zweite große Missverständnis

“Und so wie es war, soll es nie wieder sein. So wie es ist, darf es nicht bleiben. Wie es dann wird, kann vielleicht nur der bucklige Winter entscheiden…”

Gisbert zu Knyphausen, Seltsames Licht

Denke ich an mein zweites großes Missverständnis der Zeit, denke ich immer auch an dieses Zitat aus einem Lied des großartigen Gisbert zu Knyphausen (unbezahlte Schleichwerbung!). Nichts bleibt so wie es ist oder war und die Welt dreht sich immer weiter. In Krisensituationen greifen wir auf derartige Gedanken nur zu gerne zurück, lassen sie uns doch auf bessere Zeiten hoffen. Was wir jedoch nur ungerne auf dem Schirm haben, ist dass der Zahn der Zeit, der Lauf der Welt, das Rad des Lebens nicht nur in schwierigen Situationen greifen, sondern auch in allen positivsten Phasen. Dass Glück ausgesprochen vergänglich ist, haben wir alle sicher schon einmal schmerzlich erfahren dürfen. Aber auch Zufriedenheit ist ausgesprochen fragil und verschwindet, wenn wir nicht aufpassen.

Das vielleicht schwierigste an meiner Entscheidung war, dass ich happy mit meiner Situation war. Ich hatte einen Job, den ich sehr geliebt habe (und auch noch weitere vier Wochen lieben werde), tolle Kollegen, ich fühlte mich respektiert und akzeptiert und zudem hatte ich Spaß an dem was ich tue. Aus einer derart komfortablen Position heraus einen Veränderungsprozess anzustoßen, der alles auf den Kopf stellen wird, scheint auf den ein oder anderen geradezu töricht zu wirken, begibt der Mensch sich doch nur höchst ungern und auch nur wenn es unbedingt sein muss, auf unsicheres Terrain…

Meine Eltern sind schon eine ganze Weile tot und natürlich kam aus der ein oder anderen Richtung die Frage, was die beiden denn wohl zu meiner Entscheidung sagen würden. Die Antwort ist recht eindeutig: mein alter Herr hätte mich total darin bestärkt, das zu tun, was ich jetzt tue und meine Mutter hätte mich sicher darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht so klug ist, einen sicheren Job, den ich gerne mache, für einen unbekannten Job und einen zu dem noch zeitlich begrenzten Vertrag aufzugeben… Da man einen mütterlichen Rat niemals einfach so in den Wind schlagen sollte, habe ich im Rahmen meines Entscheidungsfindungsprozesses natürlich auch diese Aspekte versucht so analytisch wie möglich zu beleuchten, wobei ich mir eingestehen musste, dass dieses Sicherheitsbedürfnis natürlich etwas ausgesprochen Emotionales ist. Denn auf welche Fakten fußen denn die potentiellen Aussagen meiner Mutter? Darauf, dass alles so bleibt, wie es ist! -Mein Arbeitsumfeld, meine Persönlichkeit, die ganze Welt! Tja, und so kam ich unweigerlich wieder auf Gisbert zurück: so wie es ist, kann es nicht bleiben. Alles ist in einem stetigen Wandel begriffen und wenn ich an die Zukunft denke, darf ich nicht davon ausgehen, dass sie so sein wird, wie die Gegenwart. Die Dinge werden sich verändern und wenn ich auch dann noch glücklich und zufrieden sein möchte, muss ich mich eben auch verändern. In welche Richtung ich gehen möchte, hat mir mein innerer Kompass bereits während des ersten Lockdowns aufgezeigt. Danke Corona! Aber jetzt ist’s gut! Du darfst wieder verschwinden!

Ich fasse mal zusammen: Zukunft heißt Zukunft, weil es Zukunft ist und nicht das Gleiche wie heute, nur in zwei Jahren!

Der Blick in die Glaskugel

Wenn ich jetzt den Blick in die Glaskugel meiner eigenen Zukunft wage, sehe ich da ein Unternehmen, dass sich vor kurzer Zeit selbst gefragt hat, wo es denn steht und wo es hinmöchte. Dieses Unternehmen hatte offensichtlich den Mut inne zu halten und nachzudenken. Es hat sich Zeit genommen, obwohl es ihm wirtschaftlich gut ging und eigentlich, so wie bei mir, keine Notwendigkeit bestand, die Dinge, die gut laufen, zu ändern. Allerdings hat dieses Unternehmen verstanden, dass die Welt sich immer weiter verändern wird und man nur erfolgreich und glücklich bleiben kann, wenn man sich neu aufstellt, um die Mitarbeiter in eine Position zu bringen, ihr Potenzial optimal nutzen zu können. Ich würde sagen das passt doch wie Arsch auf Eimer, oder was sagt ihr?

Denn eigentlich war ich gar nicht mutig…

Glaubt jetzt tatsächlich noch irgendjemand, dass ich wirklich so mutig war oder bin? Oder habe ich einfach nur einen verdammt analytischen Entscheidungsfindungsprozess durchgemacht, der unter anderem dazu geführt hat, meine Perspektive auf dieses Konzept der Zeit neu zu durchdenken? Ich weiß es nicht. Ich marschiere einfach nur weiter in eine Zukunft, die wir alle nicht sicher kennen und dabei versuche ich immer wieder innezuhalten, mir Zeit zu nehmen, auch wenn ich mir mal wieder einbilde, keine zu haben, um mich zu fragen, wo ich stehe und wo ich hinrennen möchte. Was in zwei Jahren, wenn mein Vertrag auslaufen wird, sein wird, kann mir ohnehin niemand sagen. Was ich aber sicher weiß, ist dass ich auch dann noch über alle diese Ressourcen verfügen werde, mit denen ich heut schon recht gut durchs Leben komme. Im Zweifelsfall werden es eher noch mehr werden, weil ich ein kluges Köpfchen mit schneller Auffassungsgabe bin! Sorry Mama, Papa hat recht! Was soll denn schon schief gehen?

Eure Constance

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Tik Tak Tik Tak…

Zeit: in Stein gemeißelt und am Ende doch relativ

Abschiedsbriefe einer Stewardess

Liebe Luftfahrt,

es ist jetzt fast genau 21 Jahre her, dass ich mich für dich entschieden habe! Zwei Jahre sollten es sein. Aber mein Gott, hatte ich Spaß mit dir, ich konnte nicht gehen, denn eigentlich war immer nur Fliegen schöner! Du hast mir Zeit gegeben, um mich zu orientieren, Raum um zu wachsen und mir den Weg aufgezeigt, den ich immer weiter gehen wollte. Dieser Weg hatte seinen Ursprung während meiner Grundschulung. Das war eine wirklich aufregende Zeit. Ich musste mir meinen ersten Lippenstift kaufen und kam mir trotz meiner 1,84m verdammt klein vor, mit Anfang zwanzig, zwischen all diesen coolen Ladies! Wir haben so viel gelernt, mit dem ich niemals gerechnet hätte: Feuer löschen, Wiederbelebungsmaßnahmen, Verhalten bei Flugzeugentführungen, schwimmen mit Rettungsweste im Wellenbad… Das war eine verrückte Reise, gemeinsam mit meinem 134. Flugbegleiter Lehrgang! Das spannendste für mich waren aber zwei Tage, von denen ich im Vorfeld keine Ahnung hatte, was sie bedeuten sollten. Im Stundenplan stand Crew Ressource Management Training und ich, die ich mich weiterhin eher klein, unsicher und halbwegs überfordert gefühlt habe, durfte lernen, wie wichtig ich bin. Denn um erfolgreich zu sein, braucht man in der Luftfahrt ein Team, das gut zusammenarbeitet und in dem jeder Beachtung und Wertschätzung erfährt, weil jeder gleich wichtig für den Erfolg ist. Außerdem habe ich gelernt, dass es ganz normal ist, Angst zu haben, Stress und Herzrasen zu spüren, dass man alles das zulassen darf um dann eine Strategie zu finden, wieder ruhiger zu werden. Und dann wurde mir noch meine große Angst vor Fehlern genommen, da Fehler normal sind. Jeder Mensch macht Fehler und zukünftig war ich sogar dazu aufgerufen, meine Fehler proaktiv mitzuteilen, weil man daraus lernen wollte. Das hat alles so viel Sinn ergeben! Am Ende dieser beiden Tage dachte ich, dass die ganze Arbeitswelt so funktioniert, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass man anders auf lange Frist erfolgreich sein könnte. Ich wurde älter und lernte, dass dieses “gemeinsam und als Team erfolgreich sein” keineswegs normale Unternehmenskultur ist. Liebe Luftfahrt, vielen Dank, dass du den unschätzbaren Wert deiner einzelnen Crew Members schon Anfang der Achtziger Jahre erkannt hast und entschieden hast, dass das, was man heut Soft Skills nennt, wichtig ist, so wichtig, dass deine Crews jährliche Schulungen darin bekommen.

Die Idee hinter Crew Ressource Management hat mich nicht mehr losgelassen und einige Jahre später wurde ich selbst CRM-Trainer und meine Trainerin von damals wurde nicht nur meine Chefin, sondern vor allem meine Mentorin. Ich durfte weiterwachsen und mich entwickeln und irgendwann kam, was kommen musste: ich musste über den Tellerrand meiner geliebten Flugzeuge hinausschauen, um diesen unglaublichen Erfolgsfaktor Team, wie er in der Luftfahrt allgegenwärtig ist, in die Welt hinaus zu tragen. Das war wie ein innerer Imperativ! Und weißt du was, liebe Luftfahrt, es ist total verrückt! Da draußen in der großen, weiten Welt boomt gerade die Idee der Agilität! Der neuste heiße Scheiß! Und was ist da das Wichtigste? -Der Mensch, der das Team zum Star macht, weil man verstanden hat, dass man in einem komplexen und dynamischen Umfeld nicht anders erfolgreich sein kann. Wie unsere Kapitäne und Purser, sind sich auch Führungskräfte mit agilem Mindset bewusst darüber, dass ihr Team ihre wertvollste Ressource ist. Das nennt man dort Servant Leadership!

Tja, so habe ich schon im letzten Jahr damit angefangen, dir fremd zu gehen, immer mal wieder. Ich konnte nicht anders. Du hast mir so viel mitgegeben, dass ich das einfach in die Welt hinaustragen musste. Und dort draußen, in der Welt, bin ich immer weitergewachsen. Ich habe so viel gelernt und mich rasant weiterentwickelt.

Hätte ich auf meinem letzten Flug vor gut zwei Wochen gewusst, dass dies mein allerletzter Flug gewesen sein sollte, hätte ich diesen Tag sicher etwas bewusster wahrgenommen. Vielleicht hätte ich auch ein etwas erhabeneres Foto von mir unterm Leitwerk machen lassen. Stattdessen war es wie immer und so ist unser letztes gemeinsames Foto auch irgendwie authentisch: völlig unglamourös in der Mittagspause neben dem Putzeimer und ganz viel Spaß dabei. Danke für diese gemeinsame Reise! Danach haben sich die Ereignisse bei mir überschlagen. Manchmal muss man die Chancen, die sich einem bieten, einfach ergreifen. Ich hoffe du verstehst das. Du hast mir so viel Raum zum Wachsen gegeben und mich auf den Weg gebracht, auf dem ich jetzt weitergehen werde. Allerdings sind mir diese wunderschönen alten Schuhe mit diesen zauberhaften Flügeln dabei zu klein geworden. Ich bekomme jetzt neue Schuhe, die mich weiter durchs Leben tragen werden. Aber ganz egal wie weit mich diese Schuhe tragen werden, du bleibst in meinem Herzen, denn man sollte eben auch nie vergessen, wo man herkommt, egal wie hoch man fliegt!

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Mein Gott, hatten wir Spaß

Mittagspause neben dem Putzeimer…

Liebe Kollegen in der Flugzeugkabine,

als dieses Virus angefangen hat, immer weiter um sich zu greifen und wir alle vorübergehend zu Fußgängern wurde, dachte ich zunächst, ich würde die Flugzeuge vermissen. Aber es waren nicht die Flugzeuge, die mir gefehlt haben. Wirklich vermisst habe ich euch. Verdammt, was haben wir gemeinsam erlebt?! Gemeinsam haben wir uns zu mentalen und körperlichen Höchstleistungen getragen, zu denen ich alleine niemals in der Lage gewesen wäre. Wir haben uns gemeinsam durch alles gekämpft: durch lange Nächte ohne Schlaf und totale körperliche Ermüdung, durch Situationen, die mir unglaublich viel Angst gemacht haben, die bedrohlich waren. Wir haben uns durch Momente der totalen Hilflosigkeit gehangelt, gemeinsam! Egal was war, wir haben es gemeinsam geregelt. Noch viel präsenter als die dunklen Momente sind die unendlich viele skurrilen Situationen. Wie oft haben wir gemeinsam gelacht und was haben wir alles gesehen und erlebt. Die Welt hat uns gehört und die Partys waren legendär! So sind wir immer wieder nach Frankfurt zurückgekommen, haben zum Abschied gelacht und uns in die Arme genommen, um uns auf die nächste gemeinsame Reise zu freuen. Dieses Mal kann ich euch zum Abschied nicht umarmen, was mich wirklich traurig macht. Aber mein erster Flug als Passagier ist schon gebucht, dann vielleicht ohne Maske und vielleicht darf ich mich ja während einer langen Nacht ein bisschen zu euch in die Küche setzen und vielleicht darf ich auch einmal Toilettenpapier nachfüllen…

Vielen Dank für die letzten 21 Jahre. Die Flüge mit euch waren jedes Mal verrückt, unser Zusammenhalt war für gewöhnlich einzigartig und in meinen Schulungen hatte ich manchmal das Gefühl, mehr von euch lernen zu dürfen, als ich euch beibringen konnte. Vergesst niemals euren individuellen Wert. Würde es um Kaffee und Tee gehen, würden da Getränkeautomaten stehen. Ihr schützt und rettet Menschen und ihr haltet den Laden am Laufen. Ihr seid das Herz der Luftfahrt.

Liebe Luftfahrt-Manager,

was soll ich euch in dieser turbulenten Zeit wünschen? Corona schüttelt eine ganz Brache ganz schön durch und Existenzängste, sich anhäufende Schuldenberge und die Ungewissheit darüber, wann es endlich wieder richtig losgehen kann, legen die Stirn sicher in tiefe Falten und sorgen für die ein oder andere schlaflose Nacht. Ich wünsche euch vor allem die innere Kraft, die es benötigt, um diese Sorgen und den daraus resultierenden immensen Druck nicht ungefiltert weiterzugeben. Wenn es darum geht, den Laden wieder zum Laufen zu bringen, werdet ihr auf eure Leute vertrauen müssen, im Flieger, wie auch in den Büros. Sie werden eure wertvollste Ressource sein und sie werden 150 Prozent geben müssen um erfolgreich und sicher agieren zu können. Aber für 150 Prozent Leistung braucht der Mensch vor allem eines: das Gefühl von Sicherheit. Ich würde mir sehr wünschen, dass ihr versucht Ängste zu nehmen, anstatt sie zu befeuern, denn am Ende geht es um die Flugsicherheit. Egal wie hoch der wirtschaftliche Druck auch ist, die Luftfahrt bleibt ein High Risk Environment, in dem ein Erfolgsfaktor auch immer bedeutet, dass alle gesund und munter von A nach B kommen. Auch hierfür tragt ihr eine große Verantwortung. -Vielleicht ist das sogar die größte Verantwortung, die man überhaupt tragen kann.

Liebe Piloten,

verdammt, ich werde euch vermissen. Ihr seid so anders als wir in der Kabine, was auch gut so ist. Ist euer Auftrag doch ein anderer als unserer, auch wenn uns ein geneinsames Ziel stets eint. Wäre ich Pilot, würde ich mir immer wieder vor Augen führen, wie gut ich bin und was ich alles kann, um mir danach bewusst darüber zu werden, wo meine Grenzen sind und dass ich nicht nur auf meine eigenen Ressourcen vertrauen kann, sondern auch auf die meiner Kollegen, im Cockpit, wie auch in der Kabine. Den Ersten Offizieren wünsche ich den Mut, Stopp zu sagen und Verantwortung zu übernehmen, wann immer es nötig ist und den Kapitänen wünsche ich, dass der immer rasanter ansteigende wirtschaftlich Druck möglichst wenig Einfluss auf eure Entscheidungsfindungsprozesse hat, wann immer es um die Sicherheit der euch anvertrauten Passagiere und Kollegen geht. Das hört sich so einfach an, bedarf aber breiter Schultern und verdammt viel Rückgrat. Dafür habt ihr meinen ganz besonderen Respekt und auch als Passagier werde ich zukünftig mit dem gleichen Vertrauen in ein Flugzeug steigen, wie ich es bislang als Teil eurer Crew getan habe.

Und last but not least: liebe Passagiere,

schon sehr bald werde ich einer von euch sein und da frage ich mich natürlich, welche Art Passagier ich sein werde oder sein möchte… Eines steht fest, ihr habt 21 Jahre lang für verdammt viel Farbe in meinem Leben gesorgt. Es gibt Momente, in denen ich mir sicher bin, dass mir nichts Menschliches mehr fremd ist. Gemeinsam in die Enge dieser Röhre, die von außen wie ein Flugzeug aussieht, gesperrt, kamt ihr häufig gar nicht umhin, eure Gefühle ungefiltert mit mir zu teilen: Freude, Glück, Unsicherheit, Angst, Panik, Stress, Unzufriedenheit, Trauer, Wut und sogar Aggression… Dank euch durfte ich lernen, mit der kompletten Bandbreite der menschlichen Gefühlswelt agieren zu können. Klar waren mir dabei die “schönen” Emotionen lieber, aber die andere Seite gehört eben auch dazu und dank euch habe ich keine Angst mehr vor diesen Emotionen. Ihr habt so viel mit mir geteilt, manchmal hat mir das die Schamesröte ins Gesicht getrieben, meist empfand ich es jedoch als großen Vertrauensbeweis und Privileg. Manche eurer Geschichten werden für immer Teil meiner Erinnerung bleiben. Eine dieser Geschichten, die mich nicht mehr loslassen, trug sich auf einer schönen Karibikinsel zu. Nach dem Boarding war da eine Dame, deren Verhalten so sonderbar und nicht einschätzbar war, dass wir uns gar nicht sicher waren, ob wir diese Dame mit über das große Wasser nehmen sollten. Ich sprach sie an, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was mit ihr los war. Sie zeigte auf ihre Handtasche, die sie im Arm hielt, wie einen wertvollen Schatz und fing an zu weinen. In der Handtasche befand sich die Asche ihrer während einer Rucksackreise ermordeten Tochter, die sie so nachhause holen wollte. Ich musste mitweinen. Das war nicht professionell, aber es war unvermeidbar. Wir alle hätten gerne mehr für sie getan. Alles was uns blieb, war ihr einen Platz ganz für sich allein zu suchen, um sie und ihre Tochter sicher nachhause zu bringen. Ich habe mit euch geweint, ich habe mit euch gelacht, manchmal habe ich mit euch gefeiert und gelegentlich musste ich euch auch sehr deutlich eure Grenze aufzeigen. Das war alles bunt und schön. Danke dafür! Ich hoffe ihr werdet das Leben meiner Kollegen zukünftig ebenso so bunt gestalten.

Zum Abschied

Ich weiß genau, was ich zurücklasse und mein Trennungsschmerz ist enorm. Jedoch ist dieser Abschied unvermeidbar. Ich kann nicht anders als zu gehen. Manchmal bietet das Leben einem eine Chance, die man nicht vorbeiziehen lassen darf. Auf diesen Abschied folgt für mich ein aufregender Neuanfang. Mein Leben wird sich total verändern und ich fühle mich ein wenig wie damals, mit Anfang zwanzig, als ich meine ersten Schritte in der Luftfahrt gewagt habe. Alles ist etwas unsicher und unbekannt, aber auch spannend und neu und dieses verrückte Gefühl, dass einem plötzlich wieder die ganze Welt offensteht, weil da noch so viel mehr ist, ist ein wahrer Jungbrunnen. Meine Falten Cremes habe ich jedenfalls eingemottet und alles steht auf Neuanfang! Wenn ihr möchtet, nehme ich euch in den nächsten Wochen an dieser Stelle gerne mit auf meine Reise und werde darüber berichten, wie ich Change-Management mit mir selbst betreibe!

Eure Constance