Die dunkle Triade und des Pudels teuflischer Kern schlechter Führung

Weil jeder sein Bestes gibt

All jene unter euch, die mir auch bei Instagram folgen (hier klicken), haben wahrscheinlich mitbekommen, dass ich mir ein neues Buch gekauft habe: “Bad Leadership” von Thomas Kuhn und Jürgen Weibler. Nachdem ich mich sehr ausführlich damit beschäftigt habe, was gute Führung ausmacht und wie gute Führung entsteht, war es für mich an der Zeit, mich auch mit schlechter Führung zu beschäftigen. Ja, bei mir ist das Glas immer halb voll und ich neige dazu, alles für gewöhnlich recht positiv und ressourcenorientiert zu sehen, nichts desto trotz lässt sich das Vorhandensein schlechter Führung nicht unter den Tisch kehren. Es gibt sie überall und wahrscheinlich kann jeder von uns das ein oder andere Beispiel benennen. Wirklich spannend ist hierbei, dass selbst diese Führungskräfte ihre Führung keineswegs als schlecht einstufen würden. Der ein oder andere erinnert sich vielleicht an die Herren Winterkorn und Kallesvuo, deren Art von Führung ich mir vor zwei Wochen vorgeknüpft habe (hier nochmal der Link). Die Erkenntnis von vor zwei Wochen war, dass sich selbst diese schillernden Persönlichkeiten niemals vorgenommen haben, schlechte Führungskräfte zu sein. Im Gegenteil, sie haben dass aus ihrer Sicht Beste gegeben und haben dabei auf ihrem Weg an die Spitze auch eine Menge Unterstützung erfahren. Sie fühlten sich gut, die schlechte Führung ist trotzdem passiert. Die Gretchenfrage ist hier, wie es passieren kann, dass man so einen Mist baut, während man nur das Beste will…

Schlechte Führung: eine Persönlichkeitsangelegenheit?

Tatsächlich gibt es viele Ursachen für das, was ich im Rahmen dieses Blogs als schlechte Führung bezeichne. Einige hängen direkt miteinander zusammen, andere bedingen oder verstärken sich gegenseitig. Einer der Faktoren liegt in unserer Persönlichkeit begraben. Vorab möchte ich jedoch zur Vorsicht aufrufen: Wir, als psychologische Laien, sollten uns tunlichst davor hüten, die nun folgenden allgemeinen Erkenntnisse als hinreichend für konkrete Diagnosen zu erachten: getreu dem Motto “mein Chef ist ein Psychopath/ Narzisst/ Machiavellist, weil er das und das tut. Mit einer solchen Ferndiagnose tun sich selbst ausgewiesenen Experten schwer. Anyway, wir befinden uns bereits mitten im Thema. Es geht um Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung.

Die dunkle Triade der Persönlichkeit

Im Jahr 2002 stellten die beiden Psychologen Delroy Paulhus und Kevin Williams die sogenannte dunkle Triade der Persönlichkeit vor, die inzwischen zu einem der Dreh- und Angelpunkte der wissenschaftlichen Diskussion über Bad Leadership geworden ist. Die einzelnen Bestandteile dieser dunklen Triade sind durchaus negative, jedoch nicht auch zwangsläufig krankhafte Persönlichkeitsprägungen: der Machiavellismus, die subklinische Psychopathie und der subklinische Narzissmus. Subklinisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die entsprechenden Persönlichkeitsstrukturen zwar vorhanden sind, jedoch nur schwer, oder noch gar nicht klinisch erkennbar sind. In der dunklen Triade kommen also die Empathielosigkeit des Psychopathen, die grandiose Selbstliebe und Selbstherrlichkeit des Narzissten und das manipulative Ausnutzen und der gnadenlose Ehrgeiz des Machiavellisten zusammen. Diese drei spezifischen Persönlichkeitsausrichtungen sind zwar unterschiedlich gelagert, bilden jedoch eine gemeinsame Schnittmenge: den “antisozialen Kern”. Den Ausführungen von Williams und Paulhus folgend, ist es dieser Kern, der dafür sorgt, dass emotionale Kälte, Eigeninteresse, Falschheit und Aggressivität verhaltensbestimmend sind. Natürlich könnte man nun meinen, dass solche Typen in unserer ach so tollen Gesellschaft keine Chance haben. Immerhin wirkt das alles doch recht düster. Jedoch sind es genau diese Typen, die uns auch auf eine sonderbare Weise faszinieren, die irgendwie schillernd, cool und spannend wirken, die alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen und deren charismatischer Charme uns alle einlullt. Schon mal gehört, dass Macht sexy sein soll?! Und genau hierbei geht es bei Bad Leadership: um Macht und Erfolg um jeden Preis! Dass Führung in erster Linie Verantwortung ist, gerät aus der Perspektive des antisozialen Kerns ins Hintertreffen. Treten in diesem Spiel dann die ersten Erfolge ein, wird das alles zum Selbstläufer. Der inzwischen grandios gescheiterte Thomas Middelhoff hat in diesem Zusammenhang einmal folgende Aussage getroffen: “Wenn man Macht zu haben glaubt und von seinem Umfeld in diesem Bewusstsein bestärkt wird, fängt man an, sich in seinem Wesen zu verändern.” Tja, ist auch eine Form der Weiterentwicklung, bedingt durch sein Umfeld! Nur eben in eine gefährliche Richtung! Sollte man sich vielleicht lieber mit Menschen umgeben, die einen darin bestärken, dass man Verantwortung trägt?

Wie dunkel ist meine eigene dunkle Triade?

Während ich in den letzten beiden Woche so vor mich hin gelesen haben, bin ich irgendwann an den Punkt gekommen, an dem ich mich gefragt habe, was ich für ein Typ bin. Wie ist es um meine eigenen dunkle Triade bestellt? Hierbei habe ich neun Punkte gefunden, die als die sogenannten “Niederträchtigen Neun” bezeichnet werden. Also nur falls ihr euch auch gerade fragt, könnt ihr kurz über die folgenden Punkte nachdenken und euch selbst ein wenig reflektieren, eh ihr weiter lest:

  1. Neige ich dazu, andere zu manipulieren, um meinen Willen durchzusetzen?

  2. Neige ich dazu, keine Gewissensbisse zu haben?

  3. Neige ich dazu, von anderen bewundert werden zu wollen?

  4. Habe ich getäuscht oder gelogen, um meinen Willen durchzusetzen?

  5. Neige ich dazu, mich nicht um die Moral meiner Handlungen zu kümmern?

  6. Neige ich dazu, von anderen beachtet werden zu wollen?

  7. Habe ich gezieltes Einschmeicheln genutzt, um meinen Willen durchzusetzen?

  8. Neige ich dazu, gefühllos oder unsensibel zu sein?

  9. Neige ich dazu, nach Ansehen oder Status zu streben?

Keine Sorge, ein bisschen dunkel ist normal! - Hoffe ich!

Weil der Mensch lernfähig ist - vom Personalmanager zum Jäger der dunklen Triade

Ich lasse mich nicht davon abbringen, ganz fest daran zu glauben, dass der Mensch niemals aufhört, sich weiterzuentwickeln und dazu zu lernen. Ebenso wie diese Herr Middelhoff durch (falsche) Bestätigung immer tiefer in seine dunkle Triade getrieben wurde, glaube ich ganz fest daran, dass man durch “richtige” Bestätigung gepaart mit einer offenen Feedback- und Unternehmenskultur Führungskräfte auch auf dem rechten Weg begleiten kann.

Personalauswahl und Führungskräfteentwicklung

Ich persönlich glaube, dass man Personalmanager nicht nur zum Jäger der dunklen Triade machen sollte, viel mehr sollte man ihnen Möglichkeiten geben, auch die helle Triade zu erkennen. Natürlich werden bei der Personalauswahl bereits Aspekte der guten und schlechten Führung berücksichtigt. Allerdings ist es zusätzlich sinnvoll, eine werteorientierte Personalauswahl bereits in der Ausschreibung zu betonen und dabei die grundsätzliche ethische Ausrichtung in der Selbstpräsentation der Organisation hervorzuheben (die dafür zweifelsohne erst mal vorhanden sein muss!). Auf diese Weise steigert eine Organisation ihre Attraktivität für ethisch orientierte Führungskräfte.

Auch im Rahmen der Führungskräfteentwicklung kann ein entsprechendes Personalmanagement einen ausgesprochen wertvollen und nachhaltigen Beitrag hin zu mehr Licht leisten. Ich weiß, es gibt sie noch, die Organisationen, die glauben, dass eine besondere fachliche Qualifikation (gerne auch gepaart mit einer guten Portion Charisma und einer großen Klappe) die Grundlage für gute Führung ist. Hier muss ich enttäuschen. Führungskräfte müssen entwickelt werden. Das Handwerk des Führens muss erlernt werden, wie das Handwerk der Softwareentwicklung, des Verkaufs, der Buchhaltung… You name it! Was passiert, wenn wir etwas tun sollen, dass wir nicht ausreichend oder gar nicht gelernt haben, ist klar: Stress und Frust sind allgegenwärtig, Überforderung tut ihr übriges. Natürlich muss die Fassade aufrecht erhalten werden. Die Folge ist, dass die Unsicherheiten mit ganz viel Selbstbewusstsein und Dominanz maskiert werden und natürlich wird dann nach oben geschmeichelt und frei von Gewissensbissen nach unten getreten. Ihr erinnert euch an die “Niederträchtigen Neun”? Manchmal fördert eine Organisationskultur die Entwicklung schlechter Führung im Sinne der dunklen Triade geradezu!

Wichtig für ein nachhaltiges Personalmanagement ist es, zu verstehen, dass Führungskräfteentwicklung nie aufhört. Auch Menschen, die bereits eine Machtposition inne haben, oder Führungsverantwortung übernommen haben, müssen begleitet werden, wenn man deren Entwicklung mitgestalten möchte. Die Tools hierfür sind bekannt: Feedback (durch die Personalabteilung, Personalbefragungen, Kollegen, etc.) um Selbst- und Fremdbild ein wenig besser in Einklang zu bringen. Wie gesagt, jeder handelt, wie er handelt, weil er glaubt, dass genau das der richtige Weg ist, bis er darauf hingewiesen wird, dass der Weg eben doch nicht so richtig ist! Nach dem Feedback folgt Coaching, das dabei hilft, persönlich Ursachen und Trigger herauszuarbeiten, die zu diesem dunklen Führungsverhalten geführt haben. Schließlich komplettieren Führungskräftetrainings diese Dreifaltigkeit, da man mit diesen gezielten Trainings die Selbstreflexion steigern kann, um negative Automatismen zu durchbrechen.

Und was ist, wenn es kein entsprechendes Personalmanagement gibt?

Ja, es gab und gibt Unternehmen, die schlechte Führung auch durch ihr Personalmanagement sogar bestärken. Hier ist guter Rat für den einfachen Mitarbeiter, das kleine, machtlose Licht wirklich teuer. Der Managementforscher Hoa Ma stellt drei Strategien im Umgang mit “tyrannischen Managern” zur Wahl. Strategie eins: die “Strategie der Duldung”, die ein bestmögliches Funktionieren innerhalb des Systems zur Grundlage hat, um so dann selbst in den erlesenen inneren Kreis der schlechten Führung aufzusteigen. Das sorgt natürlich dafür, dass es immer weiter geht, mit der schlechten Führung! Das System erhält sich selbst. Strategie zwei: die “Strategie der Kündigung”, ist selbstredend. Strategie drei: die “Strategie der Revolte”, die laut Ma leider all zu oft zum Scheitern verurteilt ist. Ganz so düster schätzt die hochdekorierte Wissenschaftsjournalistin Hara Esthoff Marano das Thema “Revolte gegen schlechte Führung” nicht ein. Unter der Überschrift “Tactics from the Pros” listet sie folgende Optionen im Umgang mit schlechter Führung auf

  • Konfrontiere den Leader mit seinem Verhalten, getreu dem Motto: zum Dissen gehören immer zwei!

  • Suche die Auseinandersetzung möglichst unter vier Augen, denn ein Bad Leader wird keinesfalls vor Publikum klein beigeben.

  • Bleibe konkret! Spiele nicht den großen Psychologen und versuche nicht, dem Leader wissenschaftlich nachzuweisen, warum er demotiviert.

  • Mache deutlich, welche Verhaltensweisen du erwartest.

  • Mache deutlich, wie negativ das Führungsverhalten gesehen wird.

  • Je höher der Führende in der Hierarchie, desto weniger kommst du ohne Verbündete aus.

Auch die Harvard Professorin Barbara Kellerman hat den ein oder anderen Tipp für die “schlecht Geführten” unter den Mitarbeitern:

  • Nimm Führende in die Verantwortung!

  • Sei skeptisch und habe einen Standpunkt!

  • Sei aufmerksam!

  • Informiere dich unabhängig!

  • Sei nicht einem Einzelnen, sondern stets nur dem Ganzen verpflichtet!

Und abschließend bennent auch Kellerman, ähnlich wie Esthoff Marano, dass Verbündete wichtig sind. Denn letztlich sind schlechte Führungskräfte immer auch ein Outcome der jeweiligen Unternehmenskultur und wenn wir uns einmal fragen, wer diese Kultur formt und wer bestimmt, wie diese Kultur jeden Tag umgesetzt und gelebt wird, dann sind das nicht die zehn Prozent an der Spitze, sondern die 90 Prozent, die ein Unternehmen zu dem machen, was es ist. Wenn wir einmal über den Tellerrand von Wirtschaftsorganisationen hinausschauen und uns überlegen, wo die wirklich großen kulturellen Veränderungen unserer Geschichte ihren Ursprung hatten, dann stellen wir fest, dass diese keineswegs von einer kleinen Gruppe Mächtiger initiiert wurden. Schon die Französische Revolution hat die gesellschaftlichen Veränderung von unten nach oben gedrückt, unaufhaltsam.

Ich persönlich finde, dass gute, motivierende, offene und unterstützende Führung zum einen eine ethisch-moralische Zwangsläufigkeit sein sollte. Zusätzlich bin ich noch der Meinung, dass die beschriebene dunkle oder tyrannische Führung auch in wirtschaftlicher Hinsicht untragbar ist. Was habe ich davon, wenn ich die von Ma beschriebene “Strategie eins” befolge, mich anpasse, um Karriere zu machen, oder einfach nur um zu überleben? Ich unterstütze, wie im Falle von Nokia oder Volkswagen, ein System, dass zum Scheitern verurteilt ist, weil Innovationen ausbleiben. Schaut euch meinen vorletzten Blog ruhig nochmal unter diesem Gesichtspunkt an. Sehr viele, die sich bei Nokia angepasst haben, um ihren Job nicht zu verlieren, haben nach Jahren der miesen Arbeitsatmosphäre schließlich doch ihren Job verloren… Vielleicht dann eher “Strategie zwei”, wenn mir zur Revolte der Mut oder die Verbündeten fehlen? Wir verbringen so unglaublich viel Lebenszeit auf der Arbeit. Es sollte ein guter Ort sein, an dem wir uns wohlfühlen, wertgeschätzt werden, unser Potenzial entfalten dürfen und glücklich sind.

Weil es auch eine helle Triade gibt

All jene unter euch, denen dieses berufliche Land, in dem Milch und Honig zu fließen scheinen, wie ein Märchen vorkommt, denen lass gesagt sein, es gibt diese Arbeitgeber. Es gibt Arbeitgeber, die bewusst in ein Feelgood Management für ihre Mitarbeiter investieren, weil sie verstanden haben, wie wertvoll ihre Mitarbeiter sind. Hier muss natürlich auch gearbeitet werden. Allerdings fühlt es sich sicher besser an, wenn sich die Führungskräfte in der hellen Triade bewegen: Humanismus (der Wertschätzung der Würde und des Wertes eines jeden Menschen), Kantianismus (frei nach dem Kategorischen Imperativ: die Behandlung aller Mitarbeiter ist immer auch das Ziel, niemals nur das bloße Mittel zum Zweck), Glaube an die Menschlichkeit (die Überzeugung, dass alle Mitarbeiter im Grunde gut sind). Hört sich gut an, oder? Nächste Woche möchte mein Feministinnen-Herz unbedingt mal was zum Thema Frauenquoten und Quotenfrauen schreiben, aber ich denke in zwei Wochen werde ich diese helle Triade und wie man sie im beruflichen Kontext findet, wieder aufgreifen. Bis dahin freue ich mich natürlich über Feedback auf allen Kanälen (habe ich erwähnt, dass ich noch ein paar Follower bei Instagram brauchen könnte…???)!

Eure Constance

IMG_3533.jpg

Die dunkle Triade

Des Pudels teuflischer Kern!

Resilienz - das Allheilmittel für VUCA, Krieg und Himmelsstürmer?

Von Hypes und Modeerscheinungen

Irgendwie scheint der Begriff der Resilienz seit einigen Jahren in aller Munde. Resilienz-Trainings werden immer populärer und selbst in meine Trainings in der zivilen Luftfahrt hat Resilienz vor einigen Jahren Einzug gehalten. Dies geschah interessanterweise kurz nach dem tragischen Germanwings Unglück, als ein Co-Pilot im Rahmen eines erweiterten Selbstmord den Flug 4U 9525 in den französischen Alpen bewusst zu Absturz brachte. Natürlich vermutete ich zunächst einen direkten Zusammenhang. Wie so oft habe ich mit einer guten Portion gefährlichen Halbwissens schlussgefolgert und wurde, nachdem ich mich dann intensiver mit Resilienz beschäftigt habe, eines besseren belehrt. Resilienz und die damit zusammenhängenden Trainings bieten großartige Möglichkeiten und ich halte Resilienz besonders in Arbeitsumgebungen, die einer starken Dynamik unterliegen, für einen wichtigen Erfolgsfaktor, dem man einiges an Aufmerksamkeit widmen sollte. Allerdings muss einem hierbei klar sein, dass Resilienz, bzw. Resilienz-Trainings klare Grenzen haben. Resilienz ist kein Wundermittel und keine Pille, die man am Ende eines Workshops einnimmt und ab da wird alles toll. Mit diesem Artikel möchte ich Resilienz aus dem Bereich des unbedachten Slang Droppings herausholen und ein wenig Aufklärung betreiben. Wo kommt Resilienz her? Was meinen wir, wenn wir von Resilienz sprechen? Wie kann Resilienz zu einem Erfolgsfaktor für Individuen und für ganze Organisationen werden? Und vielleicht am wichtigsten: kann ich auch ganz ohne Resilienz-Training etwas für meine individuelle Resilienz tun?

Resilienz - eine Begriffsklärung

Der Begriff Resilienz entspringt dem lateinischen Wort “resilire”, das auf Deutsch so viel heißt, wie “zurückspringen” oder “abprallen” und ursprünglich wurde dieser Begriff auch gar nicht in der Psychologie, sondern in der Physik verwendet. Hier beschreibt er die Eigenschaft eines Körpers, nach seiner Verformung in seinen ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Die Psychologie hat den Begriff irgendwann übernommen und beschreibt mit dessen Hilfe die psychische Widerstandsfähigkeit, Krisen zu bewältigen, bzw. die Fähigkeit während oder nach stressvollen Ereignissen seine psychische Gesundheit zu erhalten, bzw. schnell wieder herzustellen. So weit weg von der ursprünglichen Idee der Physik ist das für mich tatsächlich nicht. Ich stelle mir vor, dass meine Seele (oder wie auch immer ihr euer Gefühlsleben zusammenfassen möchtet) durch ein einschneidendes Ereignis kurzzeitig ein wenig aus der Form gerät, dann jedoch wieder in seine ursprüngliche Form zurückfindet und auf dem Weg dahin sogar noch etwas über sich selbst lernt. In der Praxis kann man Resilienz zum Beispiel an Kindern wahrnehmen, die unter widrigsten Umständen groß werden, trotzdem nicht von ihrem Weg abkommen und sich später erfolgreich in die Gesellschaft einordnen. Wer hier mehr wissen möchte, sollte die US-amerikanische Psychologin Emmy Werner googlen. Resilienz wird auch im Zusammenhang mit Menschen verwendet, die jede nur denkbare Art der Lebenskrise (schwere Krankheit, Krieg, Drogenabhängigkeit, etc.) erfolgreich durchstehen, oder die sich von plötzlichen Traumata (plötzlicher Verlust eines nahen Angehörigen, Vergewaltigung, etc.) zügig und vor allem abschließend erholen.

Wo kommt meine eigene Resilienz her?

Die wissenschaftliche Suche nach den Ursprüngen der individuellen Resilienz ist tatsächlich eine noch recht junge und aktuelle Suche. In den Jahren 2008, 2012 und 2014 kamen drei unabhängige Studien mit Zwillingen zum Schluss, dass etwa 40 Prozent unserer individuellen Resilienz genetisch bedingt ist. Ob das jetzt viel oder wenig ist? Keine Ahnung. Immerhin bleiben ganze 60 Prozent übrig, die durch das individuelle Erleben von Umweltfaktoren und Erfahrung geprägt sind. Spätestens als Erwachsener habe ich schließlich sogar Einfluss auf mein individuelles Erleben meiner Umwelt. Manchmal ist es einfach nur eine bewusste Entscheidung, ob das Glas denn nun halb voll oder halb leer ist. Bei all der Genetik empfinde ich das als tröstlich. Denn es gibt zahlreiche Hinweise, dass Resilienz tatsächlich ein Stück weit trainierbar ist. Die US Army führt seit 2009 gemeinsam mit der Universität von Pennsylvania ein sehr aufwendiges und kostenintensives Training für ihre Soldaten durch und auch bei der Bundeswehr gewinnt die “psychische Ressourcenstärkung” zunehmend an Bedeutung. Allerdings ist hier wichtig zu verstehen, dass diese Schulungen bei Streitkräften in erster Linie dazu dienen, dass nach Einsätzen die Anzahl an Soldaten, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkranken, sinken. Je höher die individuelle Resilienz, desto geringer die Wahrscheinlichkeit zu erkranken, so die Forschungsergebnisse.

Und was ist mit all jenen, die nicht in den Krieg ziehen?

Auch wenn sich VUCA ein bisschen nach Krieg, oder wenigstens nach einer schweren Schlacht anhört, ist wirklicher Krieg für die meisten von uns zum Glück sehr weit weg. Ja, der ein oder andere Kunde, Chef oder Kollegen lässt anderes vermuten und auch die Konkurrenz stellt hier und da ein verdammtes Drohszenario dar. In den aller wenigsten Fällen hat das jedoch wirklich Potenzial für ein echtes Trauma! Also was um alles in der Welt sollen wir Otto-Nomarlos in Friedenszeiten mit Resilienz? Genau das würde ich zunächst gerne am Beispiel der Luftfahrt erläutern.

Warum resiliente Piloten Leben retten

Wir haben also festgestellt, dass resiliente Persönlichkeiten sich schneller von mehr oder weniger heftigen “Einschlägen” erholen, als wenig oder nicht resiliente Persönlichkeiten. Zeit spielt in der Luftfahrt eine entscheidende Rolle. So ein Flugzeug ist recht schnell unterwegs und manchmal muss ich als Besatzung eben sehr schnell handeln, damit es nicht zu einer Katastrophe kommt. In der Geschichte der Luftfahrt gab es immer wieder Akteure, die durch ihr überlegtes und schnelles Handeln in Situationen, in welchen auch sie selbst sicher sehr große Angst hatten, zahlreiche Menschenleben gerettet haben. Zwei dieser stillen Helden sind die Herren De Crespigny und Haynes, über deren Leistung ich bereits vor einigen Wochen ausführlich berichtet habe. (Link zum Blog: hier klicken) In diese erlesene Gruppe reiht sich auch ein gewisser Sully Sullenberger ein, seitdem er 2009 seinen Airbus A320 auf dem Hudson gelandet hat. Wir stellen uns die Situation kurz vor: Wir sitzen als erfahrener Kapitän vorne links in unserem Airbus. Der Start verläuft so, wie wir ihn schon unzählige Mal erlebt haben. Alles ist gut, die Wolkenkratzer werden langsam kleiner, wir nähern uns der Wolkendecke. Vielleicht freuen wir uns schon ein wenig auf dem Moment, in dem wir durch die Wolkendecke durchfliegen und uns die Sonne ins Gesicht strahlt. Plötzlich taucht ein Vogelschwarm auf und gefühlt im gleichen Moment tut es einen Schlag. Beide Triebwerke sind aus. Sie wieder anzuschalten, dauert eine Weile und wenn die Erde, wie an diesem Januartag, noch so nah ist, reicht die Zeit dafür nicht aus. Kapitän Sullenberger, aber auch Co-Pilot Jeffrey Skiles wussten, dass sie sich in einer lebensbedrohlichen Situation befanden. Angst ist hier normal. Dieser “Einschlag” war heftig! Allerdings ist es beiden Herren ausgesprochen schnell gelungen, die Angst beiseite zu schieben und wieder zu ihrer ursprünglichen “Form” zurückzukehren. Innerhalb kürzester Zeit ist es Sully Sullenberger gelungen, klare, mutige und kreative Entscheidungen zu treffen. Selbst der Fluglotse wollte bis zu Letzt nicht glauben, dass Sully seinen Flieger auf dem Hudson landen würde. Ja, wir trainieren sogenannte Notwasserungen, aber sie sind unfassbar riskant. Allerdings hat Sully klar und eindeutig entschieden, dass das Risiko, über bewohntes Gebiet zu fliegen, ungleich höher ist, als das Risiko, auf dem Wasser zu landen. Der Rest ist Geschichte!

In der Luftfahrt haben Positivbeispiele wie Sully Sullenberger, aber auch Negativbeispiele, die es selbstverständlich gab, zu der Erkenntnis geführt, dass es nicht ausreichend ist, Piloten beizubringen, wie sie analytische Entscheidungen treffen und wie sie ein riskantes Manöver wie eine Notwasserung durchführen. Wichtig ist, dass sie das Gelernte in einer Hochstresssituation, in der von sich sehr schnell ändernden Grundvoraussetzungen überrascht werden, auch abrufen können. Man stellte fest, dass eine resiliente Persönlichkeit nach einem Schockmoment deutlich schneller wieder ins aktive und bewusste Handeln kommt und dabei nicht problem-, sondern lösungsorientiert vorgeht. Diese Erkenntnis spielt sowohl bereits bei der Auswahl von Piloten, aber auch im Rahmen der Ausbildung und schließlich auch während ihrer regelmäßigen Weiterbildungen eine Rolle.

Vom Himmel ins VUCA

Für all jene, die sich gerade ein wenig wundern, worüber ich spreche, eine ganz kurze Erklärung: VUCA ist ein englisches Akronym, das die schwierigen Rahmenbedingungen der modernen Unternehmensführung beschreiben soll. Es steht für Volantility (Unbeständigkeit), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Spätestens seitdem die um sich greifende Globalisierung die Weltwirtschaft wie unter einem Brennglas anheizt, sind wir irgendwie alle ein bisschen VUCA. Aber keine Sorge, das tut nicht weh. Die Luftfahrt ist es schon immer und ich bin seit zwanzig Jahren dort recht glücklich. Und das liegt vor allem daran, dass die Luftfahrt VUCA seit Jahren unter anderem durch resiliente Akteure managt.

Die klugen Slang Dropper der New Work begegnen VUCA übrigens gerne mit VUCA, nämlich mit Vision (Vision), Understanding (Verstehen), Clarity (Klarheit) und Agility (Agilität). Das ist an sich eine super Strategie, aber auch hierfür brauche ich Persönlichkeiten, die es schaffen, sich nach einem großen Schockmoment schnell zu erholen und noch vor der Konkurrenz Visionen und Ideen entwickeln, weil sie gedanklich ganz schnell Klarheit und Ordnung ins Chaos bringen können. Man stelle sich vor, Flugzeuge werden unerwartet in Hochhäuser gesteuert und die Börsen kollabieren, oder ein Virus legt die Weltwirtschaft lahm, Grenzen dicht, von jetzt auf gleich, statt Tod droht Pleite, was jedoch auch gehörig Angst machen kann. Hier gewinnen natürlich die, die schneller gute Entscheidungen treffen können. Aus diesem Grund macht es für alle Unternehmen Sinn, über ein resilientes Humanvermögen zu verfügen und entsprechende Schulungen sind hierbei neben einer klugen Personalauswahl ausgesprochen hilfreich.

Und wie werde ich jetzt resilient?

Ab hier wird es jetzt leider kompliziert. Als Trainer bin ich nicht in der Lage, den Teilnehmern meiner Resilienz-Trainings diese Resilienz-Pille zu überreichen. Ja, wir haben eingangs gelernt, dass wir ein Leben lang an unserer Resilienz arbeiten können. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Prozess, der langsam von statten geht und durchaus auch anstrengend sein kann. Wie bereits beschrieben, werden 60 Prozent unserer Resilienz durch das individuelle Erleben von Situationen oder Erfahrungen geprägt. Genau hier ist mein Hebel. An dieser Stelle kann ich beginnen, an mir zu arbeiten. Und wie? Indem ich mir bewusst mache, wie ich eine Situation wahrnehme. Stelle ich hierbei fest, dass mein Glas immer nur halb leer ist, darf ich mich fragen, ob ich meine diesbezügliche Perspektive wechseln möchte. Wäre es nicht möglich, das Glas auch als halb voll zu betrachten? Wie agiere ich, wenn etwas schief läuft? Bleibe ich lange am Problem kleben? Was kann ich tun, um mich schneller auf die Lösung zu konzentrieren? Achtsamkeit und alles, was mit Achtsamkeit zu tun hat (Meditation, Yoga, Qigong, progressive Muskelentspannung und so weiter und so fort), ist hilfreich. Im ersten Schritt steht jedoch der Mut, sich gnadenlos selbst zu reflektieren. Das ist eine Herausforderung, die ich nicht klein reden möchte. Hierbei kann ein Trainer oder ein Coach sehr gute Impulse setzen. Aber auch ein Unternehmen kann seine Mitarbeiter dabei unterstützen.

Organisationskultur und Resilienz

Wenn ich als Unternehmen möchte, dass meine Mitarbeiter die Herausforderungen der VUCA-Welt bestmöglich meistern, sollte ich deren Resilienz stützen. Ein Workshop ist hierfür nicht ausreichend. Wenn ich möchte, dass meine Leute sich selbst reflektieren und achtsam mit sich sind, um resilient agieren zu können, wenn es darauf ankommt, muss ich ihnen als erstes gestatten, sie selbst sein zu dürfen. Ich benötige als Unternehmen einen ganzheitlichen, oder holistischen Ansatz im Umgang mit meinen Mitarbeitern. Ich rege hierbei an, über Dresscodes nachzudenken, darüber, welche Wirkung Hunde im Büro haben, welche Möglichkeiten ich habe, meine Mitarbeiter auch zum privaten Austausch anzuregen, zum Beispiel mittels Teambuilding auf neutralem Boden. Vor allem aber muss ich dafür sorgen, dass meine Mitarbeiter sich sicher fühlen. Denn wer verunsichert ist, der wird sich immer ein Stück weit verstecken oder kontrollieren und wer damit beschäftigt ist, sich zu kontrollieren, hat keine Kapazitäten für Selbstreflexion und Achtsamkeit. Hierfür muss ich mich frei und sicher fühlen. Ich weiß, irgendwie schreibe ich das in gut der Hälfte meiner Blogs, aber es ist nun mal so: um als Organisation erfolgreich zu sein, sollte ich mich mit Amy Edmondsons Psychological Safety auseinandersetzen. Das ist die totale Basis und ich komme immer wieder darauf zurück.

Und jetzt?

Mein Tipp als Coach ist es, nicht darauf zu warten, dass mein Arbeitgeber aktiv wird und sich womöglich sogar noch darüber zu ärgern, dass der Arbeitgeber sich nicht ausreichend um mich kümmert. Das wäre ein wenig resilientes Opferverhalten! Am Ende sind wir unseres eigenen Glückes Schmied (erste und wichtigste Resilienz-Erkenntnis). Ich mache jetzt ein bisschen Yoga und frage mich einmal ganz bewusst, wie es mir geht und wie ich die Ereignisse der letzten Woche wahrgenommen habe. Bei mir war wirklich viel los. Und bei euch?

Eure Constance

Resilienz.jpg

Immer wieder zum bewussten Handeln zurück finden

Resilienz-Trainings zur Personalentwicklung

Nokia wer??? Human Factors Tod eines Weltmarktführers

Als die Handys smart wurden

Wer aus der Generation Ü-40 hatte irgendwann einmal ein Handy von Nokia? Ich hatte zwei. Mein erstes Handy überhaupt war von Nokia, lila mit Antenne. Auch sein Nachfolger, blau-grau ohne Antenne, war vom damaligen Weltmarktführer in Sachen Mobiltelefon. Ich war mit beiden Handys sehr zufrieden. Das zweite fand leider ein sehr tragisches Ende in einer südafrikanischen Waschmaschine… Der Nachfolger war von der Konkurrenz, obwohl ich eigentlich lieber wieder ein Handy meiner Lieblingsmarke gehabt hätte. Irgendwie gab es aber nichts neues, innovatives von Nokia mehr. Ich landete bei Samsung. Heute habe ich Apple, aber auch eher durch Zufall. Unbezahlter Werbeblock hiermit beendet.

So wie mir ging es damals vielen Kunden in den Mobilfunkgeschäften. Komisch, Nokia war Jahre lang der heißeste Scheiß in Sachen Handy. Weltmarktführer mit einem Marktanteil von fast 25 Prozent Ende der 90er Jahre. Doch plötzlich ist Nokia verschwunden. Ich erinnere mich noch schemenhaft an die Proteste, als 2008 das Nokia Werk in Bochum geschlossen wurde. Der Weltmarktführer verschwand und andere standen schon bereit, um in die freiwerdende Lücke zu springen. Natürlich ist es in derart schnelllebigen und innovationsbasierten Branchen nicht unüblich, dass selbst Weltmarktführer von anderen Unternehmen überholt werden. Der schnelle, sang- und klanglose Niedergang der Mobilfunksparte von Nokia ist dennoch bemerkenswert, nicht nur weil der Marktwert des Unternehmens selbst innerhalb weniger Jahre um 75 Prozent sank. Was nach außen wie ein rasanter Niedergang aussah, war in Wirklichkeit der schleichende Human Factors Tod, der inzwischen gut beleuchtet und aufgearbeitet wurde. Dieser schleichende Prozess bei Nokia ist ein sehr gutes Beispiel, aus dem andere Organisationen formidabel lernen können, wenn sie denn wollen.

Das Ende einer Erfolgsstory

In den frühen 2000er Jahre brachte Nokia alles mit um zum Beherrscher des exponentiell wachsenden Smartphone Marktes zu werden. Die großen Erfolge der näheren Vergangenheit legten die wirtschaftliche Basis für Investitionen in die Zukunft und mit seinem Betriebssystem Symbian war Nokia zunächst auch auf einem scheinbar guten Weg.

Warum war Nokia nicht in der Lage, seine PS auf die Straße zu bringen, um Apple und Co. zu zeigen, wo der Hammer hängt? Hervorgerufen durch ein, ich möchte es mal temperamentvolles Management nennen und durch den eng umkämpften Markt, der als stetige Drohkulisse genutzt wurde, herrschte im gesamten Unternehmen eine angsterfüllte emotionale Atmosphäre, die zu einer gewissen Trägheit im gesamten Unternehmen führte. So jedenfalls stellten es Professor Dr. Quy N. Huy und der Executive Director der internationalen Industrie- und Handelskammer Finnland Timo O.Vuori im “Administrative Science Quarterly 61.1” heraus.

Weil der Fisch für gewöhnlich von Kopf stinkt…

Wie konnte es soweit kommen? Dass der Fisch immer vom Kopf stinke, ist eine altbekannte Weisheit, die so nicht immer richtig ist. Um die angsterfüllte Atmosphäre und deren Auswirkungen bei Nokia zu verstehen, ist es jedoch wichtig, “oben” anzufangen. Der für einen Finnen offensichtlich recht heißblütige Vorstandsvorsitzende Olli-Pekka Kallesvuo war bekannt dafür, seine Mitarbeiter regelmäßig aus voller Kehle anzuschreien und eine Managementebene tiefer war man sich einig, dass man Olli-Pekka besser nur das mitteilte, was er auch hören möchte. Von Problem wollte Olli-Pekka übrigens nichts hören, nie! Auch Olli-Pekkas Stellvertreter war aus aus ähnlichem Holz geschnitzt. Man sagte ihm nach, dass er während Meetings regelmäßig so heftig mit der Faust auf den Tisch schlug, dass das Obst auf dem Tisch abhob. Alles das konnte man im bereits erwähnten Administrative Science Quarterly nachlesen. Leitende Führungskräfte, die mit den Anforderungen und der Kultur nicht mithalten konnten oder wollten, wurden als öffentlich “Loser” bezeichnet, als Low-Performer und sie “setzten ihren Ruf aufs Spiel”. Man hielt also besser den Mund und unterwarf sich den Regeln des Spiels.

Ich glaube ich muss nicht weiter beschreiben, wie es um die Gefühlslage der leitenden Führungskräfte bestellt war. Cholerische Chefs und panische Angst vor der innovativen Konkurrenz aus dem Silicon Valley! Klar dass die Nerven hier dauerhaft blank lagen und der Druck natürlich nach unten weitergegeben wurde. Daraus resultierend hatten die Manager auf mittlerer Führungsebene Angst davor, schlechte Nachrichten weiterzugeben. Stattdessen lieferten sie regelmäßig einen etwas zu optimistischen Ausblick auf die technologischen Features des zu entwickelnden Smartphones und versäumten es, zwingend notwendige Investitionen in die Entwicklung komplexer Innovationen einzufordern. Ein Manager erklärte: “In der Abteilung für Forschung und Entwicklung bei Nokia gab es die Kultur, dass man die obere Ebene zufriedenstellen wollte. Man wollte gute Nachrichten und keine Realitätsprüfung.” (Dieses Zitat entspringt ebenfalls den Auswertungen der Herren Huy und Vuori).

Die Folgen psychologischer Unsicherheit

Nokia befand sich in einer sich schnell verändernden Branche, in der Erfolg vom Wissen, der Kommunikation, der Kreativität, der Innovationskraft und vor allem der Zusammenarbeit der Mitarbeiter abhängig war. Der geneigte Leser meiner Blogs hat inzwischen sicher verstanden, dass kreative und innovative kognitive Fähigkeiten im Zustand von Angst nicht möglich sind. Auch ein angemessenes Fehlermanagement, bzw. eine daraus resultierende Lernschleife ist unmöglich, wenn ich Angst davor habe, Fehler und Missstände zu melden. Alles das führt uns zu dem von mir regelmäßig bearbeiteten Thema der psychologischen Sicherheit und zu der von mir so geliebten Amy Edmondson aus Harvard! Selbstverständlich kann man nicht sagen, dass psychologische Sicherheit Nokias Erfolg in einer derart hart umkämpften Branche nachhaltig gesichert hätte. Aber nur in einer Kultur der psychologischen Sicherheit können die Mitarbeiter, die als Humanvermögen eines Unternehmens über die letzten Jahrzehnte zunehmend an Bedeutung gewonnen haben, ihr volles innovatives und kreatives Potenzial nutzen. Und nur in einer Kultur der psychologischen Sicherheit können leitende Führungskräfte und das Top-Management wissen, wo das Unternehmen wirklich steht, um gegebenenfalls schnell reagieren zu können.

Was den Finnen ihr Olli-Pekka ist den Deutschen ihr Martin

Natürlich könnte man jetzt sagen, die spinnen die Finnen. Aber das ist kein finnisches Problem. Der Dieselskandal rund um Volkswagen, der den großen Martin Winterkorn in die Knie gezwungen hat, ist ja noch immer in aller Munde. Ich kann mich noch daran erinnern, wie Winterkorn erklärte, dass er von nichts wusste und sich auch keines Fehler bewusst war. Klar, der arrogant, überhebliche Autokrat Winterkorn stellt natürlich einen medienwirksamen Bösewicht dar. Das verrückte ist, dass ich ihm voll und ganz glaube. Er wusste von nichts! Warum? Weil alle Angst vor ihm hatten. Und natürlich glaubte er, alles richtig gemacht zu haben. Immerhin wurde er von einem gewissen Ferdinand Piech ins Amt befördert, weil er so war wie er und deshalb Kontinuität im Führungsstil versprach. Aber was war das für ein Führungsstil? Ich erzähle mal eine Szene nach, die so auch auf YouTube anzuschauen ist: auf der Automobilmesse in Frankfurt 2011 stellt Hyundai eine geräuschlose Lenkwelle vor. Als Winterkorn das sieht, schreit er seinen Chefdesigner Bischoff an und faltet ihn encora Publikum, weil VW diese für fast unmöglich gehaltene Innovation nicht gelungen war. Die Umherstehenden übten sich in betretenem Fremdschämen. Chefdesigner Bischoff verteidigte Winterkorns Verhalten interessanterweise später in einem Interview. Klar würde sein Chef durch die Decke gehen, wenn etwas aus seiner Sicht schief liefe, allerdings sei sein Chef privat ein echt Guter und Sozialer, der sich sehr für das persönliche Schicksal von Menschen interessiere. Aber es geht doch nicht darum, ob jemand ein guter Mensch ist, sondern ob es ihm als Chef gelingt, so zu führen, dass es dem Erfolg des Unternehmens zuträglich ist. Bei VW herrschte, ähnlich wie bei Nokia, ein Klima der Angst und als Winterkorn den Ingenieuren das Unmögliche befahl, nämlich die Stickstoffemission der Dieselmotoren unter das magische US-Maß zu senken, haben diese sich nicht getraut, zu sagen, dass es technisch nicht möglich sei. Lieber haben sie aus Angst vor Konsequenzen und Arbeitsplatzverlust angefangen zu schummeln. Und natürlich wusste Winterkorn nichts, weil alle Angst vor ihm hatten. Am 24. September 2015 schrieb Aufsichtsratsmitglied Bernd Osterloh in einem Brief an die Belegschaft: “In Zukunft brauchen wir ein Betriebsklima, in dem Probleme nicht verheimlicht werden, sondern offen mit Vorgesetzten geteilt werden können. Wir brauchen eine Kultur, in der es möglich ist, mit dem Vorgesetzten über die beste Handlungsweise zu diskutieren.” Entscheidet selbst: wärt ihr in der Lage, offen mit einem Chef Probleme zu diskutieren, der öffentlich Kollegen anschreit? Ich nicht! Winterkorn ist jetzt wohl Privatier.

Keine Sorge, mein Mitleid mit den unwissenden Martins und Olli-Pekkas dieser Welt hält sich in Grenzen. Ja, sie wussten nichts und ja, sie waren von den Entwicklungen sicher selbst am meisten überrascht. Aber sie haben es sich all die Jahre einfach viel zu leicht gemacht. Klar sorgt so ein Angst-Regime dafür, dass man als Führungskraft einen lauen Lenz schieben kann. Wenn ich nur gemeldet bekomme, dass alles läuft, ist doch alles easy. Keiner wird gerne mit Problemen konfrontiert, die einem dann noch Arbeit machen. Aber so läuft das nun mal. Nur so kann ich wissen, was in meinem Unternehmen oder in meiner Abteilung vor sich geht. Erfolg stellt immer nur eine Momentaufnahme dar und vielleicht brodelt es in diesem Moment schon gehörig unter der Oberfläche. Der Human Factors Tod eines Unternehmens ist ein langsamer, stiller, aber nachhaltiger Tod. Dabei ist er vor allem jedoch eins: vermeidbar! Deshalb ist mein Mitleid bei all den Menschen, die auf diese Art und Weise in eine existenzbedrohende Situation gekommen sind. Bei den Müttern, die ihren Kinder erklären müssen, dass sie nicht an diesem Ausflug mit den Freunden teilnehmen können. Bei denen, die in der Schlange der örtlichen Tafel stehend versuchen, ihre Würde zu wahren. Manager und Führungskräfte haben eine Verantwortung, die weit über Bilanzkurven und Börsenkurse hinausgeht. Sie tragen Verantwortung für Menschen. Es gibt Dinge, die sind unvermeidbar, ja! Der Human Factors Tod gehört aber nicht dazu!

Bad Leadership

Eigentlich habe ich mich immer nur damit auseinandergesetzt, was gute Führung ausmacht. All jene von euch, die mir bei Instagram folgen (kleiner Werbeblock in eigener Sache: klicke hier) haben sicher mitbekommen, dass ich mir ein neues Buch gekauft habe: Bad Leadership. Ich habe es noch nicht gelesen, aber ich glaube tatsächlich, dass man sich dem Thema Führung sinnvollerweise von beiden Seiten nähern sollte. Führung ist so unglaublich wichtig und machtvoll, egal ob Servant Leadership, bad Leadership, oder was auch immer. Außerdem bin ich mir ganz sicher, dass auch Martin und Olli-Pekka nicht entschieden haben, schlechte Führungskräfte zu sein. Es ist einfach passiert, während sie, wie jeder andere auch, versucht haben, ihr Bestes zu geben. Deshalb ist der Mut, sich selbst zu hinterfragen und zu reflektieren vielleicht die wichtigste und mutigste Führungseigenschaft.

Eure Constance

IMG_3453.jpg

Nokia wer???

Wie das Smartphone von Nokia wohl gewesen wäre…? Und wenn Nokia auf der Erfolgsspur geblieben wäre…? Was wäre dann aus Apple und Co. geworden…?