Gesellschaft

Schwarze Schafe im Diversity-Dschungel - und was bleibt ist die Angst vor dem Fremden

Weil schwarze Schafe vielleicht gar nicht anders sind, sondern die weißen alle gleich

Man kennt sie, diese schwarzen Schafe. Jede Familie, jede Gemeinschaft, jede Gesellschaft hat sie. Überall gibt es Menschen die anders sind; lauter, leiser, bunter, frecher, unangepasster, zurückhaltender. -Anders eben! Ich könnte euch gleich mehrere Kontexte liefern, in denen ich mir vorkam wie ein schwarzes Schaf, wie ein Fremdkörper, anders als die anderen. Ist das jetzt gut oder schlecht? Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung! Was ich jedoch interessant finde ist, dass das, was wir alle oft recht unüberlegt als schwarzes Schaf bezeichnen, doch eher negativ belegt ist. Und warum? Weil es anders ist und anders ist doof…

Interessant finde ich all diese gesellschaftlichen und politischen Bemühungen zu sehen, die uns klipp und klar machen sollen, dass anders nicht doof oder bedrohlich ist, sondern eine großartige Bereicherung. Wir diskutieren über Gleichstellung, “gendern” wie die Weltmeister, applaudieren zu Diversity, bemühen uns selbst im Kreise unserer Comedians um bestmögliche politische Korrektheit und selbst die katholische Kirche (also wenigstens die ein oder andere) schmückt sich mit Regenbogenfahnen. Warum muss man um etwas, das selbstverständlich sein sollte, so ein Tamtam machen, liebe Lesenden?! Weil es, wenn wir mal den Mut haben, radikal ehrlich zu sein, eben doch nicht selbstverständlich ist.

Schwarze Höhlen-Schafe und die Säbelzahntiger

Wie wir es auch drehen und wenden, dieses Gefühl, dass schwarze Schafe eher doof, vielleicht sogar gefährlich sind, scheint irgendwie Teil unserer DNA zu sein. Wäre dem nicht so, müsste man sich nicht so viel Mühe geben, eine bunte, diverse und gleichberechtigte Gesellschaft zu gestalten. Wären wir der tiefen Überzeugung, dass das Problem sei, dass die weißen Schafe alle gleich sind und eben nicht, dass das schwarze Schaf anders ist, würde Diversity keine Rolle spielen. Dann würde man das Andere zur Kenntnis nehmen und anders sein lassen. Leider hat unser Gehirn irgendwann im Laufe der Evolution etwas anderes gelernt. Deshalb braucht es jetzt diese kognitive und intellektuelle Auseinandersetzung mit Diversity, Toleranz und Gleichberechtigung.

Wie war das denn damals mit den schwarzen Schafen in der Steinzeit? Ich bin mir ganz sicher, auch unter den Höhlenmenschen gab es schwarze Schafe, Menschen die anders waren, als die anderen. Allerdings war es damals überlebenswichtig als möglichst homogenes Kollektiv zu funktionieren. Die, die ausscherten wurden entweder vom Säbelzahntiger gefressen, oder flogen aus der Höhle (und wurden dann wahrscheinlich auch vom Säbelzahntiger gefressen). Was übriggeblieben ist, ist dieses homogene Kollektiv, für das es das Wichtigste ist, nicht aus der Menge hervorzutreten. Bloß nicht auffallen! An dieser Stelle muss ich immer an ein Gedicht denken, das Nelson Mandela im Rahmen seiner Amtseinführung als erster schwarzer Präsident Südafrikas zitierte:

Unsere größte Angst ist nicht unzulänglich zu sein. Unsere größte Angst ist grenzenlos mächtig zu sein. Unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, ängstigt uns am meisten. Wir fragen uns: wer bin ich denn, dass ich so brillant sein soll? Aber wer bist du, es nicht zu sein? - Du bist ein Kind Gottes. Es dient der Welt nicht, wenn du dich klein machst. Sich klein zu machen, nur damit sich andere um dich herum nicht unsicher fühlen, hat nichts Erleuchtendes. Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes, die in uns ist, zu manifestieren. Es ist nicht nur in Einigen von uns, es ist in jedem Einzelnen. Und wenn wir unser Licht scheinen lassen, geben wir damit unbewusst anderen die Erlaubnis, es auch zu tun. Wenn wir von unserer Angst befreit sind, befreit unsere Gegenwart automatisch andere.
— Marianne Williamson

Irgendwie hat sie recht, die Frau Williamson… Intuitiv ordnen wir uns nur zu gerne ein und unter und haben Angst davor zu strahlen. Ein bisschen auffallen ist ja ganz OK, aber auf keinen Fall aus der Masse herausstechen… Nicht, dass der Säbelzahntiger uns frisst! - Was? - Ach so?! - Ja, es gibt keine Säbelzahntiger mehr! Richtig…

Immer diese Evolution…

So haben es also diejenigen geschafft, ihre Gene weiterzugeben, die vorsichtig, unauffällig und ängstlich waren. Hat die Evolution ja gut hinbekommen. Bloß nicht auffallen! Bloß nicht selbst zum schwarzen Schaf werden und anders sein. Die Panik vor dem Fremden und Unbekannten sitzt wirklich tief und beginnt schon in der Art und Weise wie unsere Sinne unsere Welt beobachten und wie unser Gehirn diese Beobachtungen beurteilt. Das Dilemma beginnt damit, dass unser Gehirn nur etwa fünf Prozent all der Information, die unsere Sinne einsammeln, verarbeitet und uns damit bewusst macht. Hierbei fokussieren sich unsere Wahrnehmungsfilter auf Bekanntes und Vertrautes. Taucht doch mal etwas Unbekanntes auf, gibt unser Angsthirn, die Amygdala, erstmal Alarm, denn fremd und unbekannt ist erstmal potenziell bedrohlich.

Potenziell bedrohlich sind natürlich auch Menschen die anders sind als wir selbst. Auch diese Reaktion unseres Gehirns kommt irgendwie aus der Steinzeit. Klar bedeuteten andere, fremde Stämme damals immer Gefahr und Krieg. Interessant finde ich, dass sich diese Erfahrungen offensichtlich tief in unser Unterbewusstsein eingegraben haben. Es gibt Studienreihen, in welchen Menschen Bilder von Menschen anderer Ethnien und der gleichen Ethnie gezeigt wurden, um die unwillkürliche Reaktion im Gehirn zu beobachten. Und tatsächlich kam es beim Betrachten von Menschen einer anderen ethnischen Herkunft zu einer erhöhten Reaktion in Gehirnregionen, die für Alarm und Angst zuständig sind. Es gibt Versuche mit Kindern im Kindergartenalter, die lieber mit Puppen der eigenen Ethnie spielen und dass Menschen einer anderen Ethnie für uns häufig alle gleich aussehen, ist ja schon ein alter Hut.

Und jetzt?

Keine Sorge, wenn es eines gibt, was wirklich großartig in Hinblick auf unser manchmal etwas schwerfälliges Gehirn ist, dann ist es die Tatsache, dass die Kapazität unserer Blackbox unendlich ist und sie eigentlich nur darauf wartet, dazu zu lernen. Und das tut auch wirklich Not! Sowohl gesellschaftlich, als auch im Business-Kontext!

In Anbetracht der Tatsache, dass unsere zunehmend globalisierte Welt immer dynamischer, schnelllebiger und komplexer wird und sich zudem immer stärker vernetzt, ist festzustellen, dass es neue, moderne Wirtschaftsorganisationen braucht, mit neuen, modernen Menschen, um auch weiterhin erfolgreich zu sein. Die von mir fast schon verehrte Harvard Professorin Amy C. Edmondson hat deutlich gemacht, dass in dieser neuen Welt nur sogenannte Lernende Organisationen langfristig erfolgreich sein können. Das Herzstück dieser Lernenden Organisationen sind Menschen, die den Mut haben, aus der Masse herauszutreten, das Wort zu erheben, kritisch zu sein. Nun ja, die Wirtschaftsorganisationen lernen und lernen, getragen von dieser Welle, die man momentan als New Work bezeichnet. Das ist ein Prozess, den ich tagtäglich als Agile Coach begleiten darf. Der Mensch muss sich eben ganz neu orientieren. -Und das dauert!

Aber auch gesellschaftlich gesehen brauchen wir diese Menschen, die den Mut haben anders zu sein, aus der Masse herauszutreten. Denn nicht nur die Wirtschaft soll und darf sich weiterentwickeln. Auch in unserer Gesellschaft ist sicher noch Luft nach oben. Als ich gestern darüber nachgedacht habe, welche Bedeutung Menschen haben, die mutig genug sind, aus der Menge hervorzutreten, ist mir spontan Graf Stauffenberg eingefallen. Ich musste daran denken, wie ich vor ein paar Jahren an genau der Stelle stand, an der Graf Stauffenberg seine Aktentasche deponiert hat. Wie wäre diese Welt wohl, wenn es mehr Menschen von seinem Kaliber gegeben hätte? Und gibt es heute wirklich schon genug Mutige? Ich persönlich glaube nicht. Tja, und deshalb brauchen wir wohl alle diese politischen und gesellschaftlichen Diskussionen rund um Diversity, Gender Equality, Gleichstellung und für den Moment braucht es vielleicht sogar gesetzlich verordnete Toleranz und Offenheit gegenüber allem dem, was anders ist. Denn nur wenn wir uns intellektuell mit dem anders Sein auseinandersetzen, gibt auch irgendwann das Angsthirn nach.

Wir brauchen kunterbunte Regenbogen-Schafe!

Ich gebe zu, wenn ich nicht darüber nachdenke, sind schwarze Schafe bei mir noch immer negativ belegt. Aber im zweiten Schritt sage ich mir immer wieder, wie wertvoll sie für uns alle sind. Gleichzeitig genieße ich, dass die Welt immer näher zusammenrückt und ich so immer wieder Einblicke in andere Kulturen bekomme. Diversity und Gender Equality bedeutet keineswegs, dass wir alle gleich sind, sondern dass wir unsere Unterschiedlichkeit wertschätzen und genießen. Und zwischendurch versuche ich selbst immer mal wieder ein schwarzes Schaf zu sein, schwarz oder kunterbunt! Ich versuche mutig zu sein, das, was mich ausmacht und von allen anderen unterscheidet, nicht zu verstecken, sondern in Szene zu setzen. Ich versuche zu strahlen, ein kunterbuntes Regenbogen-Schaf zu sein.

Habt einen schönen Sonntag und strahlt mit!

Eure Constance

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Aus der Menge herausgetreten

Unscheinbarer Ort und historischer Boden, an dem Stauffenberg damals seine Aktentasche abstellte

Ode an die Fehlerkultur...

… oder warum Macht nicht ohne Verantwortung funktioniert.

“Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler. Denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung.” Dr. Angela Merkel am Mittwoch, den 24. März 2021

Keine Sorgen, dieser Blog ist, war und bleibt unpolitisch. Trotzdem komme ich nicht umhin, diesen Satz unserer Bundeskanzlerin zu erwähnen. Noch mittags, wenige Stunden bevor Frau Dr. Merkel vor die Presse getreten ist, habe ich mich exakt darüber unterhalten. -Also nicht über Politik und die Corona-Maßnahmen unserer Regierung, sondern darüber, dass Macht immer auch Verantwortung bedeutet und dass ich dieses Übernehmen von Verantwortung bei vielen Menschen, die sich mächtig fühlen oder nach Macht streben, manchmal schmerzlich vermisse.

Ich komme ursprünglich aus der Luftfahrt. In meiner “alten Welt” gibt es Damen und Herren, die die Macht haben, tun zu können, was sie für das Richtige halten. Keiner, noch nicht einmal der Vorstand der Airline, darf ihnen reinreden. Das ist schlicht und ergreifend verboten! Diese Menschen werden Kapitäninnen und Kapitäne genannt. Liebe Führungskräfte, das kling sicher wie Musik in euren Ohren: die Freiheit tun und lassen zu dürfen, was ihr allein für richtig haltet und selbst dem Topmanagement ist es von Gesetzes wegen verboten, euch rein zu reden! Das hört sich nach einer geradezu verführerischen Menge an Macht an! Was damit aber einhergeht ist ein Ausmaß an Verantwortung, das in wenigen Bereichen der Arbeitswelt so unmittelbar greifbar ist, wie in der Luftfahrt. -Nicht nur, dass die direkte Verantwortung für Menschenleben die wahrscheinlich größte ist, die wir tragen können, sondern auch, weil sich ein Flugzeugunglück sicher deutlich schlechter vertuschen lässt, als ein ärztlicher Kunstfehler, eine fehlerhafte Buchung in der Buchhaltung, fehlerhaft kalkulierte Zahlen im Controlling und so weiter und so fort. Ein Unfall in der Luftfahrt ist etwas Absolutes und in den Medien sofort präsent. Dessen ist sich jedes einzelne Crewmitglied bewusst. Auch ist man sich als Flugzeugbesatzung bewusst darüber, dass man gemeinsam mit seinen Passagieren und Kollegen in einem Flugzeug sitzt und dass man von einem Unglück auch direkt betroffen wäre. Aus diesem Bewusstsein heraus, resultiert ein hohes Gefühl der Eigenverantwortung, bei jedem Einzelnen im Allgemeinen und bei den Kapitänen und Kapitäninnen im Besonderen, treffen sie doch die absoluten und finalen Entscheidungen. Vertuschen nicht möglich!

Wie trägt man Verantwortung?

Gute Frage! Als allererstes dadurch, dass man seine Entscheidungen mit Bedacht fällt und sich bewusst darüber ist, dass sein Team, seine Kollegen die wichtigste Ressource darstellen, auch im Rahmen eines Entscheidungsfindungsprozesses. Hierbei ist man sich bewusst darüber, dass man weder alles sehen, noch alles wissen kann und deshalb auf andere Perspektiven und auch auf andere Meinungen angewiesen ist. Vor allem aber übernimmt man Verantwortung, in dem man Fehler nicht vertuscht, sondern zu ihnen steht um aus ihnen zu lernen. Nicht erst seit Beginn der Corona-Krise vermisse ich diese Eigenschaft bei Politikern aller Couleur schmerzlich. Ich weiß nicht, wie oft ich halbwegs belustigt und halbwegs erschüttert beobachten musste, wie die Damen und Herren Politiker sich immer wieder aus der Affäre gezogen haben und alles, wirklich alles, mit Hilfe der absurdesten Erklärung schöngeredet haben. Manchmal habe ich mich wirklich gefragt, ob diese Politiker-Gilde uns alle für geistig minderbemittelt hält, oder ob sie das, was die Damen und Herren in den schillerndsten Farben umschreiben, selbst glauben!

Aber jetzt ist es passiert: ich erlebe zum ersten Mal bewusst mit, dass ein hochrangiger Politiker einen Fehler zugibt und auf Grund seiner Position die Verantwortung übernimmt! Ich persönlich finde das wirklich gut und richtig, denn es ist der erste und wichtigste Schritt, um seine Performance oder sein Ergebnis zu verbessern. Und mal ehrlich, ich finde bei der Performance unserer Regierung in freudiger Einheit mit den Landesfürsten ist gegenwärtig noch Luft nach oben. Was jedoch völlig unangemessen ist, weil es verhindert, aus diesem Fehler zu lernen und somit jede Weiterentwicklung unterbindet, sind diese bescheuerten Rufe nach der Vertrauensfrage. In dem Moment wurde mir direkt wieder bewusst, warum man in der Politik noch immer die gleichen Fehler wie vor fünfzig Jahren macht! Fehler zuzugeben und tatsächliche Verantwortung zu übernehmen, kommt einem politischen Selbstmord nah. Welch krankes System, das dazulernen quasi ausschließt!

FEEEEHHHHLERKULTUUUUR! -Was ist daran so schwer zu verstehen?

Ich weiß nicht wie oft ich schon über Fehlerkultur als Basis für High Performance gesprochen oder geschrieben habe! Das letzte Mal übrigens vor drei Wochen, als ich beschrieben habe, warum High Performance Teams sogar mehr Fehler machen als Teams, die auf einem weniger hohen Leistungsniveau unterwegs sind. In einer komplexen und dynamischen Welt sind Fehler schlicht und ergreifend unvermeidbar. Weniger leistungsstarke Teams vertuschen diese Fehler, reden sie sich schön, oder sprechen gar nicht darüber und machen einfach weiter. Die Gefahr hierbei ist, dass der gleiche Fehler immer wieder von unterschiedlichen Teammitgliedern gemacht wird. So hat ein und derselbe Fehler nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach negativen Einfluss auf die Produktivität des Teams. Genau das vermeiden Mitglieder von Hochleistungsteams ganz einfach dadurch, dass jeder einzelne einen Fehler sofort transparent macht. Das tut er (oder sie), weil er zum einen verstanden hat, dass Fehler etwas ganz Normales sind und er zum anderen weiß, dass die Kollegen das genauso sehen und dankbar dafür sind, dass der Fehler geteilt und besprochen wird, weil sie so nicht Gefahr laufen, in ein und dieselbe Falle zu tappen. Außerdem ist es im Team leichter, einen Plan zu machen, um die eingebrockte Suppe wieder auszulöffeln und um zu überlegen, was man aus eben diesem Fehler lernen kann. So entsteht ein permanent und aus sich selbst heraus lernendes System, das die einzige Antwort auf eine Welt ist, die sich selbst im ständigen Wandel befindet.

Aus dem Nähkästchen eines Agile Coaches - meine neue Lieblingskategorie!

Ich weiß, diese Nähkästchen-Überschrift gab es in der letzten Woche schon. Aber da ich gegenwärtig besonders großen Spaß daran habe, die Verbindungen und Gemeinsamkeiten, von dem, was “im echten Leben” los ist und dem, was in meiner neuen “Job-Welt” passiert, zu entdecken, ist das gerade meine absolute Lieblingskategorie, wenn es darum geht, meine Woche in meinem Blog Revue passieren zu lassen.

Also, was war da los im meiner schönen, neuen, agilen Welt? Ganz einfach: weit jenseits agiler Theorie und Strukturen hat das echte Leben getobt! Theoretisch ist sicher jedem, der in agilen Strukturen unterwegs ist, klar, dass man, um agil arbeiten zu können, Mitarbeiter haben muss, die im höchsten Maße eigenverantwortlich sind. Diese Eigenverantwortung die im Prinzip auch mit Selbstführung gleichzusetzen ist, bedeutet, dass ich Verantwortung für das übernehme, was ich tue, indem ich nicht nur meine Erfolge, sondern vor allem auch meine Fehler transparent mache um einen allgemeinen Lernprozess anzustoßen. Außerdem bedeutet Verantwortung zu übernehmen auch, dass ich nicht nur weiß, was ich alles kann, sondern dass ich ebenso gut weiß, wo meine Grenzen sind. Ich muss in der Lage sein, lieber um Hilfe zu bitten, ehe ich mich selbst auf das sehr dünne Eis des gefährlichen Halbwissens begebe und ich darf mich nicht scheuen, Fragen zu stellen, viele Fragen, wann immer mir etwas nicht zu einhundert Prozent klar ist.

In der Theorie hört sich das jetzt sicher super einleuchtend an. Allerdings gibt es für uns Menschen gefühlt Tausend Gründe, Fehler und Wissenslücken nicht zuzugeben und keine Fragen zu stellen, als eben genau das zu tun. Mal ehrlich, wie leicht fällt dir das? Irgendwie ist und bleibt das komische Gefühl, sich selbst bloß zu stellen und zum Dummerchen zu machen. Man muss sich im Kreis seiner Kollegen und auch bei seinem Chef schon verdammt sicher fühlen, um an dieser Stelle über seinen Schatten zu springen. Wie muss das dann für Kollegen sein, die ganz neu in ein Unternehmen kommen, aus dem Homeoffice “onboarden” und die Kollegen und Chefs, denen sie vertrauen sollen, noch nicht einmal “in echt” gesehen haben? Hinzu kommt dann vielleicht auch noch die Tatsache, dass man sich noch in der Probezeit befindet und das subjektive Empfinden hat, sich auf besondere Art und Weise beweisen zu müssen. Das ist ein verdammtes Pfund und ich muss spontan an meine ersten Wochen im neuen Job Anfang des Jahres denken. Phasenweise habe ich mich ganz schön verloren und verunsichert gefühlt. Ich habe ja ausführlich berichtet. Absolut sicher fühle ich mich noch immer nicht. So ein Onboarding braucht eben Zeit, remote wie live. Aber inzwischen habe ich ein großes Vertrauen in meine Kollegen und meine Leads. Das macht es irgendwie leichter und ich freue mich auf jeden neuen Arbeitstag. Tja, und weil sich die Dinge immer wieder wiederholen und es auch überall gleich “menschelt”, bin ich momentan als Coach ein ums andere Mal damit konfrontiert, dass neue Kollegen ziemlich allein im Homeoffice sitzen und weil ihnen die Sicherheit fehlt, nicht die nötigen Fragen Stellen und nicht über mögliche Fehler und Wissenslücken sprechen. Und ich kann sie so gut verstehen, merke aber auch gleichzeitig, dass das System kippt, wenn sie eben damit nicht anfangen. Verdammt, Leute, wie erzwingt man Vertrauen und Sicherheit? Ich hatte großes Glück, da meine Kollegen alle selbst Coaches sind und es mir deshalb vielleicht extrem leicht gemacht haben, wissen sie doch wie die Dinge zusammenhängen. Deshalb habe ich mich als Coach dazu entschieden, nicht bei den betreffenden Kollegen anzusetzen, sondern bei deren Schnittstellen. Aber ganz ehrlich, ich teste ins Blaue hinein und agiere aus der Erfahrung, die ich selbst gerade gemacht habe. Das ist sicher nicht der Königsweg, zumal wir Menschen alle unterschiedlich sind und deshalb auch ganz individuelle Bedürfnisse haben. Aber eine wirklich kluge Alternative fällt mir nicht ein. Vielleicht funktioniert es ja auch… - Ganz so, wie ich es letzte Woche beschrieben habe: Schritt für Schritt und immer wieder schauen, ob die Richtung stimmt. Und gaaaaaaaaaaaaanz wichtig: wenn ich merke, dass ich falsch liege, gestehe ich mir das sofort ein, bespreche das Thema mit meinen Kollegen und bitte um Hilfe! Alles andere wäre nicht fair, den Kollegen gegenüber, aber auch gegenüber unserem Arbeitgeber, der mir allmonatlich eine, wie ich finde, sehr angemessene Aufwandsentschädigung dafür überweist, dass ich nicht nur coache, berate, moderiere und schule, sondern auch dafür, dass ich die Verantwortung für mein Tun und somit auch für meine Fehler übernehme.

Und zu Abschluss noch was Neues von Tristan und seinem großen Bruder

Eh ich mich jetzt in meinen Sonntag und auf die Yoga-Matte verabschiede, dachte ich, ich erzähle dir noch die neusten Neuigkeiten von Tristan und seinem großen Bruder, falls du den Artikel von letzter Woche gelesen hast! -Falls nicht, findest du ihn auf dieser Seite!

Ich hatte in dieser Woche tatsächlich die große Ehre, Tristan persönlich kennenzulernen. Fakt ist, er kann noch nichts! - Also außer rumliegen, volle Windeln produzieren, weinen wann immer ihm was nicht passt und trinken! Gut, als da plötzlich ein Bäuerchen kam, haben wir uns alle gefreut und besonders Mama war mächtig stolz… Für ihn geht es eben gerade erst los, in vielen kleinen Schritten. Und ja, Fehler wird er auch machen und er wird daraus eine Menge lernen und natürlich wird er immer genug vertrauen zu Mama und Papa haben, um sich anzuvertrauen und um Hilfe zu bitten. Denn das gehört zum Großwerden ja dazu. Interessant finde ich, dass wir auch in diesem Zusammenhang mit Kindern viel verständnisvoller und großzügiger sind, als mit uns selbst… -Wie als ob wir aufgehört hätten zu wachsen, zu lernen und uns weiterzuentwickeln.

Eure Constance

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Weil Freiraum auch Verantwortung bedeutet

… und Fehler eben passieren!

Manchmal reicht ein Wunder

Für Tristan

Ich weiß ja nicht, wie es dir in dieser Woche ergangen ist. Bei mir hat es durchwachsen angefangen. Dieser Corona-Wahnsinn fängt langsam aber sicher an, an meinen Nerven zu zerren. Ich habe keine Lust mehr! All meine Hoffnungen habe ich in die Impfungen gesteckt. Zwar ging mir das in Deutschland ohnehin alles viel zu langsam und übertrieben bürokratisch, aber ich habe entschieden, dass ich eben geduldig sein muss! So weit so gut und dann der Paukenschlag: Impfstop mit AstraZeneca! Wot? Ich geben zu, danach war ich echt frustriert, weil ich mich noch ein paar Monate länger im Homeoffice sitzen sah, weit weg von all den Menschen, die ich unbedingt brauche. Keine Cafés, Bars, Restaurants, Freunde, Urlaub…

Auch im Job geht es nur langsam vorwärts, in ganz, ganz kleinen Schritten. Das nervt, weil ich die diversen Visionen mit meinen Teams, meinem Jahresprojekt und meinen Workshops in den hellsten Farben vor meinem inneren Auge sehe, aber es ist so mühsam; winzig kleine Schritte. Dabei kann es mir ja meistens gar nicht schnell genug gehen. Kurzum: ich habe mich auf ganzer Linie ausgebremst gefühlt und hatte echt etwas Frust. Böse Welt!

Zum Glück reicht aber manchmal ein Wunder, um sofort wieder geerdet und positiv zu sein. Mein Wunder in dieser Woche heißt Tristan. Tristan ist der zweite Sohn von sehr engen Freunden, die bei uns im Prinzip Familienstatus genießen. Der kleine Mann erblickte vor eineinhalb Wochen das Licht der Welt. Aber nein, ich will jetzt nicht auf das Wunder der Geburt eingehen. Das überlasse ich anderen. Auch wenn ich als nicht-Mama es wahrscheinlich nie begreifen werde, wie es sein kann, dass aus diesem enormen Bauch einer Schwangeren ein fertiger, lebender , individueller Mensch kommt! Verrückt.

Wie das Wunder seinen Lauf nahm

Tristans Geburt hat mich an einen sonnigen Maitag vor einigen Jahren erinnert. Damals war sein großer Bruder etwa ein halbes Jahr alt und lag auf unserem Wohnzimmerboden, als plötzlich ein kleines Wunder geschah: das Baby begann zum ersten Mal in seinem Leben eigenständig vorwärts zu robben! Vier Erwachsene flippten total aus! Ein Wunder! Große Freude! Umarmungen! Lachen! Und natürlich haben wir feierlich darauf angestoßen! Dieses Kind musste ein Genie sein!

Objektiv betrachtet ist robben quasi nichts, wenn das Ziel Laufen, Springen, Rennen, Tanzen ist! Eigentlich ist robben ein Witz! Aber für ein Baby, das gerade erst gelernt hat, eigenständig den Kopf oben zu halten und in die Welt zu schauen, ist es das Beste, was es danach erreichen kann. Der nächste Schritt eben. Erwachsene spüren das glaube ich intuitiv. Diese Intuition führt schließlich zu einer Freude, die durchaus irritierend wirken kann, zumal diese Freude ja nicht mit dem Robben aufhört: Das erste volle Töpfchen: Party! Das erste Mal alleine gegessen: Party (auch wenn danach renoviert werden muss)! Das erste Mal Mama gesagt: Party! Es folgen Küchenschränke vollgehängt mit ausgesprochen fragwürdigen Kunstwerken… Und so weiter und so fort!

Was ich mich deshalb letzte Woche ernsthaft gefragt habe, ist, warum ich (und du vielleicht auch) bei Kindern die erste bin, die diese Minimalfortschritte voller Stolz feiert, für sich selbst jedoch in Anspruch nimmt, dass nur die ganz großen Sprünge das absolute Minimum sind. Anstatt mich zu freuen, dass es überhaupt Impfungen gegen Corona gibt und ich Test-sei-Dank an Ostern meine Schwiegereltern mal wiedersehen werde, ärger ich mich, dass nicht schon die Hälfte der Bevölkerung geimpft ist! Im Job ist es nicht viel anders: während meiner Einarbeitung musste und muss ich mich wirklich zusammenreißen, um mich über die kleinen Schritte, die ich Tag für Tag gehe zu freuen. Und trotzdem ertappe ich mich immer wieder dabei, mich darüber zu ärgere, dass ich nicht so routiniert und sicher unterwegs bin, wie meine Kollegen, die schon seit Jahren in der Bank arbeiten, die agile Transformation von Anfang an begleitet haben und alle Kollegen und Schnittstellen kennen. Ich weiß, das kann ich nach knapp drei Monaten nicht leisten, genauso wie Tristans großer Bruder mit einem halben Jahr unmöglich durch die Wohnung tanzen konnte! Aber wir Menschen setzen nun mal allzu oft ganz unterschiedliche Maßstäbe. Was bleibt ist jedoch die ebenso schöne wie frustrierende Erkenntnis, dass man eben am Anfang anfangen muss und den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun kann, egal wie lang deine Beine sind!

Kanban und die Disziplin, einen Schritt NACH dem anderen zu gehen

Während ich so vor mich hindenke, finde es immer wieder beeindruckend, dass viele agile Frameworks oder Methoden uns Menschen offensichtlich sehr gut verstehen und versuchen uns eine Hand zu reichen, um uns nach Möglichkeit davor zu bewahren, gleich mehrmals in die gleiche Falle zu tappen. Mal ganz ehrlich und nur unter uns: wie oft sind du und ich schon in diese Falle getappt, das Pferd von hinten aufzäumen zu wollen, den zweiten Schritt vor dem ersten zu gehen, aus Ungeduld oder inneren Anspruch zu viel gleichzeitig zu wollen? Das, was am Ende rauskam, war meistens nicht besonders optimal! Ausgerechnet in dieser Woche, in der ich aus Ungeduld am liebsten den dritten vor dem ersten Schritt gemacht hätte, in der es mir schwer gefallen ist, auch kleine Erfolge als das wertzuschätzen, was sie sind, nämlich Erfolge, kreuzte neben dem kleinen Wunder Tristan auch Kanban meinen Weg. Neben dem, was man bei Kanban sieht, nämlich beeindruckende bunte Boards, habe ich mich auch damit beschäftigt, was eigentlich hinter der Kanban-Idee steht. Was ist das Erfolgsgeheimnis dieser Methode? -Ein Schritt nach dem anderen gehen! Und nicht zu viel gleichzeitig! Sonst läuft man Gefahr zu stolpern oder sich zu verzetteln (bei Kanban ja sogar im wahrsten Sinne des Wortes!).

Was mich in Hinblick auf Kanban außerdem noch begeistert, ist, dass Kanban genau da anfängt, wo man geradesteht. Klar mag man sich nun fragen, wo denn auch sonst. Nun ja, wenn ich mir Scrum im Vergleich dazu anschaue, muss ich als aller erstes dies und das und jenes umbauen und umstrukturieren, um dann meinen ersten Scrum-Zyklus zu beginnen. Kanban entwickelt sich aus sich selbst heraus, in winzig kleinen Schritten. Es optimiert sich aus sich selbst heraus und wächst… Ganz so wie es auch der kleine Tristan sicher tun wird.

Aus dem Nähkästchen eines Agile Coachs

In der letzten Woche habe ich mit einem kleinen Workshop-Zyklus begonnen, der zum Ziel hat, dass eine ganze Einheit in der Lage ist, ihre Work in Progress Limits zu definieren, das heißt festzulegen, wie viele Aufgaben sie gemeinsam bewältigen können, um optimal ausgelastet zu sein und sich nicht wegen zu vieler Aufgaben zu überlasten oder zu verzetteln. Balance ist gefragt um einen optimalen Arbeitsfluss zu gewährleisten. Ich gebe zu, das ist eine ausgesprochen anspruchsvolle Aufgabe, vor der ich zunächst wirklich großen Respekt hatte. -Zumal ich kein ausgewiesener Kanban-Experte bin. Diese Work in Progress Limits sind für mich ein großes, leuchtendes Ideal perfekt umgesetzter Agilität. Das kann ganz schön einschüchternd sein und ich habe mich lang gefragt, wie ich dort hinkommen soll, bzw. meine Kunden dorthin führen soll. Genau das war aber die falsche Frage. Die richtige Frage muss sein, was ist mein erster Schritt hin zu diesen WiP Limits. Damit habe ich mir viel leichter getan, denn die Antwort war klar: um zu wissen was das Maximum sein könnte, muss ich erst einmal herausfinden, was die Kollegen momentan den lieben langen Tag tun. Das Spannende hierbei ist, dass wir Menschen (und da schließe ich mich explizit mit ein) viel zu oft abends fix und fertig von einem langen Arbeitstag auf der Couch sitzen und gar nicht wirklich sagen können, was wir gemacht haben, dass es aber irgendwie zu viel war, das spüren wir sehr deutlich. Also habe ich meine Reise hin zu den WiP Limits damit begonnen, meine Kollegen dazu aufzufordern, zwei Wochen lang kurz und knapp zu dokumentieren, was sie während des Arbeitstages tun, wieviel Zeit sie mit planbaren Aufgaben verbringen, wie viele Kapazitäten durch plötzlich auftauchende Störfeuer gebunden werden und alles das was sie sonst noch für relevant halten. Nach dem Workshop war ich recht zufrieden. Ein guter erster Schritt. Was bei der “Hausaufgabe”, die erstaunlich positiv aufgenommen wurde, herauskommen wird? Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, höchstens eine Idee oder Hoffnung! Was es aber definitiv sein wird, das sind Fakten und keine Vermutungen. Auf diese Fakten können wir Schritt zwei setzen. Und plötzlich bin ich irgendwie viel weniger ehrfürchtig vor diesen großen idealen WiP Limits! Einfach eins nach dem anderen.

Es zählt nicht wo die anderen laufen, sondern wo ich stehe

Ich weiß nicht, was Tristans großer Bruder sich damals gedacht hat, als er auf dem Boden lag und wir alle um ihn herumgelaufen sind. Was denken Babys? -”Verdammt, so werde ich mich sicher nie bewegen können?” -”Ich muss sofort aufstehen?” -”Ich kann nicht aufstehen, also lass ich das mit der Fortbewegung doch gleich ganz sein!” Keine Ahnung! Aber als er es zu ersten Mal geschafft hat, sich aus eigener Kraft auf sein rotes Holz-Auto zuzubewegen, wirkte der kleine Mann sehr glücklich! Im Prinzip wirkte er ähnlich glücklich wie ich, nachdem ich einen ersten winzig kleinen Schritt in Richtung WiP Limits gemacht habe. Tristans großer Bruder hat nicht nach uns Erwachsenen geschaut, sondern ist bei sich geblieben, bei deiner Ausgangssituation um den daraus resultierenden nächsten Schritt zu gehen.

Deshalb möchte ich diesen Artikel mit den weisen Worten des großen Konfuzius beenden:

Auch eine Reise von Tausend Meilen beginnt mit einem einzigen Schritt.

In diesem Sinne wünsche ich dir und mir viele erste Schritte, aber auch Geduld und Nachsicht, vor allem mit uns selbst! Denn es ist nicht nur OK, sich in kleinen Schritten vorwärts zu bewegen. De Facto ist es die einzige Möglichkeit um auch wirklich vorwärts zu kommen! Und in den nächsten Jahren werde ich, wann immer ich Gefahr laufe, wieder zu viel zu wollen, einfach schauen, wie der kleine Tristan sich Schritt für Schritt seine Welt erobert. Die Evolution hat das alles schon ganz gut eingerichtet… Mal ganz ehrlich, alle die, die ständig auf dem riesigen Sprung sind, permanent damit beschäftigt, den ganz großen Wurf vorzubereiten, kommen die wirklich weiter, oder ist das nicht manchmal auch ganz viel Lärm um nichts?

Deine Constance

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Einen Schritt nach dem anderen

Weil es schneller einfach nicht geht! Punkt!