Mediation

Das Gehirn, das Gehirn... Der Trainer und das Gehirn - Die Grundideen der Neurodidaktik, nicht nur für Trainer und Coaches

“Alles neu…” - braucht Geduld

Ich weiß, ich wollte eigentlich von meinem Onboarding im neuen Job berichten, aber ehrlich gesagt wäre das momentan in zwei Sätzen erklärt. Da ich meine technische Ausstattung erst kommenden Montag bekomme, konnte ich diese Woche noch nicht wirklich viel tun. Ich hatte schon Kontakt mit einigen Kollegen. Das war sehr schön, weil ich mich unglaublich willkommen und warm aufgenommen fühle. Allerdings musste ich mir schon ein paar Mal sehr deutlich sagen, dass ich gut bin und weiß was ich tue, habe ich mich doch an der ein oder anderen Stelle ziemlich planlos gefühlt. Ich hatte wenig bis keine Ahnung, worüber im Call gesprochen wurde und auf die Frage, ob ich denn Fragen hätte, musste ich erstmal zugebe, dass ich momentan sogar zu wenig darüber weiß, was im Rahmen der Einarbeitung auf mich zukommt, um einigermaßen sinnhafte Fragen zu formulieren. Das sind tatsächlich Momente zum Genießen! Tja, ich habe es so gewollt. Aber ich habe mich entschieden ruhig zu bleiben, nicht nervös zu werden. So ist das eben, wenn man etwas ganz Neues anfängt! Dafür erinnere ich mich immer mal wieder an meine Fähigkeiten und Ressourcen. Genau so kam ich dann auch zu meinem Blog-Thema in dieser Woche. Denn worin ich wirklich extrem gut bin, das ist meine Rolle als Trainer im Lehrsaal. Meine Seminare und Workshops sind gut, schlüssig und kurzweilig. Dem Feedback folgend erreiche ich meine Teilnehmer, was mich natürlich mächtig stolz macht. Klar könnte das an meinem Charisma liegen. Aber ich glaube, es liegt in erster Linie daran, dass ich mein Handwerk verstehe und ein elementarer Teil dieses Handwerks ist für mich das Thema Neurodidaktik. Es ist unser Gehirn, das lernen soll, deshalb müssen wir Trainer, Coaches, Personalentwickler, Führungskräfte darüber nachdenken, was das Gehirn braucht, um lernen zu können. Das ist keine Raketenwissenschaft. Eigentlich ist es sogar recht einfach. Deshalb gibt es für euch diese Woche einen kurzen und knappen Überblick über das Thema Neurodidaktik! -Und ich verrate einige meiner wertvollsten Trainer-Geheimnisse! Viel Spaß dabei!

Lernen ist ein physiologischer Vorgang

Lernen ist im Prinzip nichts anderes als organisches Wachstum: unser Körper bildet neue synaptische Verschaltungen zwischen den Nervenzellen unseres Gehirns oder stärkt bereits vorhandene Verbindungen. Für dieses Wachstum braucht der Körper ausreichend Nährstoffe, genügend Schlaf, Bewegung (ja, Bewegung!) und die Stimulation möglichst vieler Sinneskanäle. So bilden sich mühsam neue Verschaltungen, die zu Anfang noch sehr instabil sind und auch gerne wieder kollabieren (deshalb vergessen wir). Aus diesem Grund sollte sich jeder Trainer oder Coach den Grundsatz “weniger ist mehr” sehr deutlich bei der Konzeption eines Seminars hinter beide Ohren schreiben. Klar kann ich in einen Tag drei Millionen Methoden in flotter Taktung packen. Und wahrscheinlich werden die Teilnehmer ausgesprochen positiv rückmelden, dass es abwechslungsreich war. Aber war es denn auch nachhaltig? Hundert neue instabile Synapsen, die nach drei Tagen alle wieder verpuffen, sind nicht halb so wertvoll, wie drei bleibende Lektionen, die der Teilnehmer sich mitnimmt. Also, Abwechslung und Kurzweiligkeit ja, aber dabei muss man sich als Trainer stets bewusst sein, was die Kernaussagen des Seminars sind und dabei ist weniger eben mehr!

Das Gehirn als Socializer

Der Neurobiologe Joachim Bauer schrieb: “Die stärkste Motivationsdroge für den Menschen ist der andere Mensch!” Lernen wird dann besonders effektiv, wenn es in eine soziale Situation eingebettet ist. Dass Gruppenarbeiten hierfür ein gutes Tool sind, ist hinlänglich bekannt. Um den sozialen Austausch zu initiieren, ist es zudem hilfreich, sich etwas mehr Zeit für die Vorstellungsrunde zu nehmen. Unsere Gehirne werden es uns danken. Sie fühlen sich gleich viel wohler, wenn sie wissen, mit wem sie es zu tun haben und können sich dann auch viel besser auf die Schulungsinhalte konzentrieren. Außerdem bietet es sich im Soft Skill Bereich an, die im Lehrsaal erlebte soziale Interaktion in Hinblick auf die realen sozialen Systeme der Teilnehmer zu reflektieren.

Der Sinn des Lebens

Unser Gehirn ist das einzige unserer Organe, das Bedeutung und Sinn erzeugt. Es ist sogar so, dass das Gehirn nicht funktionieren kann, wenn es keinen Sinn erkennt. Entweder schaltet es ab, oder es entwickelt sich ganz eigene Hypothesen, um arbeiten zu können. Was bedeutet das für mich als Trainer oder Coach? Es bedeutet, dass ich mir ganz genaue Gedanken darüber machen muss, welche Rolle meine Schulungsinhalte im realen Arbeitsleben und in der Unternehmenswelt meiner Teilnehmer spielen. Als Trainer sollte ich das bereits im Rahmen der Auftragsklärung in Erfahrung bringen.

Sinn bedeutet Muster

Für unser Gehirn bedeutet Sinn nicht nur, dass man mit dem Vorgestellten etwas anfangen kann, sondern auch, dass man auf bekannte Muster aufbauen kann. Als Trainer versuche ich bereits im Vorfeld in Erfahrung zu bringen, was der Wissensstand meiner Teilnehmer ist und worauf ich inhaltlich aufbauen kann. Aber auch im Seminar habe ich bereits eingangs die Möglichkeit, meine Teilnehmer direkt zu befragen. Und selbst im Verlauf des Seminars kann ich meine Teilnehmer vortrefflich einbinden, wenn ich feststelle, dass mein Inhalt womöglich schon bekannt ist. Dazu muss ich meinen Teilnehmern natürlich zuhören und dann Raum geben.

Ohne Emotionen geht gar nichts

Um die synaptischen Verbindungen bilden zu können, die uns als Muster bewusst werden, benötigt unser Gehirn die ein oder andere Zutat, die sogenannten Neuromodulatoren. Zu nennen wären hier bestimmte Hormone, wie zum Beispiel Noradrenalin oder Endorphin, dass nur zur Verfügung steht, wenn das Gehirn sich in einem (positiven) Erregungszustand befindet. Tja, deshalb muss eine erfolgreiche Schulung Spaß machen und ein guter Trainer begeistern können. Keine Angst, ein gutes Training muss nicht als Kasperletheater gestaltet werden. Es ist nicht nur das akute Glücksgefühl, das uns lernen lässt, sondern auch die Erkenntnis, dass wir das im Rahmen der Schulung dargestellte Tool zukünftig nutzen können, um in Situationen, die uns bisher verunsichert haben, sicherer und erfolgreicher agieren zu können, wie zum Beispiel beim Kennenlernen von Feedbackleitfäden oder dem Stufenmodell der Deeskalation.

Das Gehirn braucht das große Ganze

Klar könnte ich meinen Teilnehmern das Stufenmodell der Deeskalation kurz theoretisch erklären und dann davon ausgehen, dass sie es gelernt haben… Ich habe seinerzeit sehr viel übers Surfen (also auf dem Wasser) gelesen. Man könnte sagen theoretisch habe ich es gelernt. Mein erstes Mal auf einem Brett endete in einem Desaster, oder sollte ich sagen an einem Felsen?! Wie kann das sein? Ganz einfach, ich habe die Detailinformationen zwar verarbeitet, habe meinem Gehirn mit meinen Büchern jedoch nie die Möglichkeit gegeben die Details in eine komplexe Situation zu transferieren. Als Trainer gebe ich meinen Teilnehmern mit Hilfe möglichst komplexer Lernzielübungen die Möglichkeit, sich auf diesen Transferweg zu begeben. Wie oft beten mir meine Teilnehmer alle Aspekte guter Kommunikation in der Theorie ausführlich vor und eine halbe Stunde später, während einer komplexen und vielleicht auch etwas stressigen, auf jeden Fall aber lebensnahen Lernzielübung hört man sich nicht mehr zu, spricht in Rätseln oder nur in halben Sätzen, setzt voraus, dass das Gegenüber schon wissen würde, was gemeint sei und so weiter und so fort. Erst in der Reflexion dieser Übung beginnt das wirklich lernen, weil das Gehirn anfängt, den Transfer zu leisten, der für nachhaltiges Lernen und die Fähigkeit das Gelernte auch praktisch anzuwenden notwendig ist.

Lernen durch gerichtete und periphere Aufmerksamkeit

Lernen durch gerichtet Aufmerksamkeit sollte klar sein: der Teilnehmer folgt aufmerksam den Ausführungen des Seminarleiters. Aber was hat es mit peripherer Aufmerksamkeit auf sich? Wisst ihr was Priming ist? In der Psychologie bezeichnet man das Erreichen einer Reaktionstendenz durch unbewusst aufgenommene Reize als Priming. Mein gesamtes Umfeld, der komplette Lernraum, hat Einfluss auf das Lernverhalten meines Gehirns. -Jedes Poster an der Wand, die kleine “Blutzucker-Bar” hinten in der Ecke, die Vorhänge, die Stifte, das lächelnde Männchen, das ganz unscheinbar unten rechts auf der Power Point oder der Flipchart zu finden ist… Alles! Als Trainer, Coach oder Mediator ist es elementar wichtig, mir Gedanken über die Raumgestaltung zu machen, zum einen, weil ich so sehr clever Lernanreize setzen kann, zum anderen aber auch um eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen, in der das Gehirn optimal entspannt und damit maximal effizient lernen kann.

Bewegung - Bewegung - Bewegung

Im Prinzip haben wir zwei Arten von Gedächtnis, die wir beide gleichermaßen stimulieren müssen, um nachhaltige Lernerfolge zu erzielen. Das eine ist in meiner Vorstellung das Gedächtnis, in dem die über unsere Sinneswahrnehmungen aufgenommene Reize abgespeichert werden, also alles das, was ich sehe, höre, rieche, schmecke, fühle. Im anderen Gedächtnis wird alles das abgespeichert, was ich erfahre. Diese Teile unseres Gehirns, in dem Erfahrungen abgespeichert werden, werden vor allem durch Bewegung aktiviert werden. Zu nennen wären an dieser Stelle das episodische Gedächtnis, das real erlebte Situationen speichert, das prozedurale Gedächtnis, das sowohl motorische, aber auch soziale Aktionen zur Routine werden lässt und das emotionale Gedächtnis, das Erfahrungen mit emotionaler Relevanz besonders markiert oder abspeichert. Je mehr Hirnregionen ich mit meinen Seminaren anspreche, desto nachhaltiger wird mein Seminar, weil es gleich in mehreren Hirnregionen abgespeichert wird. Keine Angst, das bedeutet nicht, dass jetzt alle die Feedbackregeln tanzen müssen. Es gibt auch andere Möglichkeiten, meine Teilnehmer körperlich zu aktivieren. -Zum Beispiel, indem sie selbst an der Flipchart arbeiten, oder sich während einer Partnerreflexion im Haus bewegen dürfen, oder, oder, oder… Hier ist Kreativität gefragt. Ich kann euch nur dazu ermutigen, euch ein eigenes Repertoire für eure Seminare zu erarbeiten. Es lohnt sich.

Auch das Gehirn wird nicht jünger

Lernen ist entwicklungsabhängig. Im Kontext Schule oder Universität spielt dieser Umstand keine Rolle, da die Lernenden weitestgehend auf einem vergleichbaren Entwicklungsstand sind. In der Erwachsenenbildung oder im Unternehmenskontext hat man es häufig auch in Hinblick auf das Alter der Teilnehmer mit sehr heterogenen Gruppen zu tun. Hierbei gilt es zu beachten, dass die sogenannte Neuroplastizität, also die Geschwindigkeit, in der neue Verbindungen zwischen unseren kleinen grauen Zellen gebildet werden, mit dem Alter abnimmt. Das ist einfach so. Es stimmt nicht, dass das Gehirn irgendwann ausgelernt hat. Eigentlich ist sogar das Gegenteil der Fall. Aber das Lernen selbst dauert eben etwas länger. Auch die Annahme, dass die Konzentrationsfähigkeit im Alter nachlässt, ist so nicht richtig. Oft zeigen ältere Menschen sogar eine verstärkte Fähigkeit, sich länger konzentrieren zu können, allerdings wird man im Alter anfälliger für Ablenkungen, da die Fähigkeit des Gehirns, Interferenzen zu unterdrücken mit der Zeit nachlässt. Hinzu kommt, dass im Alter der Cortisol-Spiegel ansteigt, während der Dopamin-Spiegel sinkt. Ersteres führt zu erhöhter Stressanfälligkeit und zweites führt dazu, dass man nicht mehr jedem kleinen Motivations-Stöckchen hinterher springt. Wenn ich mir darüber bewusst bin, kann ich mir das alles als Trainer sogar zu nutzen machen, indem ich die jüngeren Teilnehmer von der Ruhe und der Erfahrung der älteren Teilnehmer profitieren lasse. Im Gegenzug können die jüngeren Teilnehmer die Älteren ein Stück weit mitziehen und begeistern. Im Soft Skill Bereich funktioniert das aus meiner Erfahrung sprechend ganz großartig. Im Hard Skill Bereich ist es je nach Thematik eine Überlegung wert, möglichst homogene Lerngruppen zusammenzustellen. Wichtig ist jedoch, dass ich all dem komplett wertfrei gegenüberstehe. Jede Entwicklungsstufe und jedes Alter hat Vor- und Nachteile. Als Trainer ist es niemals meine Aufgabe, dies zu bewerten, sondern mein Seminar so zu gestalten, dass es zu einer bestmöglichen Lernerfahrung für meine Teilnehmer wird.

Angst und Lernen gleichzeitig geht nicht

Um nachhaltig zu lernen, muss mein Gehirn das eben Gelernte und Erfahrene vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis überspielen. Verantwortlich hierfür ist der sogenannte Hippocampus, der bei einer zu hohen Konzentration an Stresshormonen einfach seinen Dienst versagt. Außerdem haben wir ja bereits gelernt, dass wir unter anderem das Glückshormon Endorphin benötigen, damit sich Neurotransmitter bilden. Keine Sorge, man muss seine Teilnehmer jetzt nicht in Watte packen. Ein gesundes Level an Stresshormonen, diese positive Aufregung, die wir alle sicher kennen, ist sogar gut für unsere Leistungsfähigkeit, weil sie uns ausgesprochen wach und aufmerksam sein lässt. Hier macht die Dosis das Gift und um die Dosis nicht zu überschreiten, ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass während des Seminars eine vertrauensvolle und entspannte Atmosphäre herrscht. Hierbei reicht es nicht, den Teilnehmern zu versprechen, dass das Gesagte nicht nach außen getragen wird. Als Trainer ist es wichtig sich nahbar zu zeigen, den Teilnehmern auf Augenhöhe zu begegnen und nicht den großen, allwissenden, einschüchternden Supertrainer zu spielen, der den unwissenden Teilnehmern schon auf die Sprünge helfen wird. Gelingt mir das, werden die Gehirne meiner Teilnehmer automatisch Oxytocin ausschütten, was nicht nur dafür sorgt, dass die Teilnehmer sich wohlfühlen. Zusätzlich stimuliert Oxytocin unser Motivationszentrum und motivierte Teilnehmer wünscht sich doch jeder Trainer!

Jeder Jeck ist anders

Jedes Gehirn ist einzigartig und jede Persönlichkeit ist individuell! -Und das ist wundervoll, gut und genau richtig so. Es geht nicht darum, menschlichen Einheitsbrei zu kochen! In einer komplexen und dynamischen Welt geht es darum, möglichst heterogene Teams zu formen, die gemeinsam erfolgreich sind. Deshalb ist für mich als Trainer das Wichtigste überhaupt, dass sich meine Teilnehmer bewusst darüber werden wer sie sind und wie sie funktionieren. Erst wenn es mir gelingt, dass meine Seminarinhalte die Identitätsebene meiner Teilnehmer erreichen, werden meine Seminarinhalte auf einer höheren Ebene sinnstiftend. Hört sich hochtrabend an? Ja, stimmt! Ist aber gar nicht so schwer. Ich muss meine Teilnehmer dabei unterstützen, nicht nur die reinen Themen theoretisch zu reflektieren, sondern diese Themen auf sich und ihre individuelle Persönlichkeit zu beziehen. Dazu muss ich meinen Teilnehmern zum einen Zeit geben (also bitte keine übertrieben vollgepackten Tage). Und wenn ich noch mehr möchte (und ich möchte immer noch mehr!), kann ich meine Teilnehmer zum Beispiel mit Persönlichkeitsmodellen (wie zum Beispiel dem Big Five Modell), mit Tests, die bei der Einordnung der eigene Persönlichkeit helfen (wie zum Beispiel Selbsttests zum Kommunikationsstil, oder einer Übung zum Johari-Fenster), oder mit Gruppenübungen zur Selbstreflexion (wie zum Beispiel einer Gruppenübung zur Riemann-Thomann-Matrix) bei ihrer individuellen Selbstreflexion unterstützen.

Das war ganz schön viel, aber es gibt noch mehr

Puh, das war jetzt ein rasend schneller Überblick über die Grundideen der Neurodidaktik. Elf kleine Häppchen, direkt hintereinander serviert! Solltet ihr mehr wollen, kann ich euch eine meiner persönlichen Bibeln sehr ans Herz legen. Es folgt unbezahlte Werbung: im Buch “Neurodidaktik für Trainer” erfahrt ihr noch mehr darüber, wie ihr eure Trainings mit kleinen Tricks und Kniffen unter Berücksichtigung der neusten Erkenntnisse der Gehirnforschung effektiver und erfolgreicher gestalten könnt.

Irgendwann, noch relativ am Anfang meiner Trainerkarriere, habe ich mich recht intensiv gefragt, für wen ich das, was ich tue, mache. Und klar bin auch ich, genauso wie sicher die meisten meiner Trainerkollegen, eine kleine Rampensau. Aber als Trainer muss ich mir im Klaren darüber sein, dass ich meine Seminare nicht für mich, sondern für meine Teilnehmer gebe. Ich möchte, dass meine Teilnehmer sich wohlfühlen, Spaß haben und sich weiterentwickeln. Das ist es mir wert, mir immer wieder viele Gedanken darüber zu machen, welche Möglichkeiten ich habe, meine Seminare nicht nur inhaltlich, sondern auch didaktisch so zu gestalten, dass jedes einzelne Seminar etwas Besonderes ist, nicht nur für mich, sondern auch für meine Teilnehmer. Genau das macht mir unendlich viel Spaß und ich bin jetzt schon gespannt, wann ich im Rahmen meines neuen Jobs wieder Seminare und Workshops konzipieren und im Lehrsaal stehen darf.

Eure Constance

PS: Ich kann es nicht sein lassen! Abschließend möchte ich euch noch meinen Lieblings-Fun-Fact rund um unser Gehirn mitgeben: Teil unseres Emotionshirns ist die sogenannte Amygdala, das Angsthirn, also im Prinzip unser persönlicher Katastrophen(schutz)beauftragter. Wenn der anspringt, wird es für gewöhnlich wild und irrational, da er nur zwei Prinzipien kennt: Kampf oder Flucht! Diese Amygdala gehörte irgendwann im Laufe der Evolution mal zum Riechhirn. Ja, auf einer früheren Entwicklungsstufe gab es das mal. Der Profi nennt es Rhinencephalon. Inzwischen hat sich das Gehirn neu organisiert. Was aber geblieben ist, ist dass unsere Amygdalas eine besondere Verbindung zu Gerüchen haben. Gerüche sind bis heut die einzigen Sinneswahrnehmungen, die einen ungefilterten VIP-Zugang zu unserem Angsthirn haben. Schon mal darüber nachgedacht, mit ätherischen Ölen, die so dezent sein dürfen, dass wir sie bewusst gar nicht wahrnehmen, die Katastrophen(schutz)beauftragten eurer Teilnehmer zu entspannen? Läuft! Ehrlich! Auch im Coaching und der Mediation! It’s chemistry!

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Damit das gelernte nicht im tiefen Wald der Hirnwindungen verloren geht…

Didaktik fürs Gehirn

Zum Jahrestag der Erstürmung der "Landshut": Terrorismus oder das Ende des Miteinanders

Der Deutsche Herbst

Wer die Ereignisse des Deutschen Herbstes kennt und auch hinsichtlich der Entführung der Landshut einen groben Ablauf im Kopf hat, darf getrost zur nächsten Zwischen-Überschrift weiterspringen. In meinen Schulungen in der Luftfahrt, in denen “die Landshut” noch immer Thema ist, stelle ich gerade bei der Generation unter vierzig immer wieder fest, dass diese Phase der deutschen Geschichte nicht wirklich präsent ist. Deshalb hier ein ganz kurzer Abriss der Ereignisse. Vorweg sei gesagt, dass ich keine Historikerin bin und die von mir dargestellten Ereignisse keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben.

Wir schreiben das Jahr 1977. Deutschland wird schon seit mehreren Jahren vom linksradikalen Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) außer Atem gehalten. Zwar sitzt die Führungsriege der sogenannten ersten Generation der RAF im Hochsicherheitsgefängnis Stammheim in Haft, allerdings hat sich inzwischen eine zweite Generation linksradikaler Terroristen zusammengefunden, die mit Unterstützung der palästinensischen Terrororganisation Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) weiterhin Terror ausübte. Im Herbst des Jahres 1977 sollten die gemeinsamen Bemühungen ein Ziel haben: die Freilassung der Führungsriege der ersten Generation (darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Rasper und Irmgard Möller). Mit diesem Ziel vor Augen stürzten sie Deutschland zwischen September und Oktober 1977 in eine der schwersten Krisen des Landes. Die Bezeichnung Deutscher Herbst leitet sich übrigens von einem Dokumentarfilm ab, der ein Jahr später erschienen ist. Aber was war passiert? Im Frühjahr und Sommer des Jahres 1977 erschossen RAF Kommandos bereits den Generalbundesanwalt Siegfried Buback und den Vorstandssprecher der Dresdner Bank Jürgen Ponto. Außerdem scheiterte ein Anschlag auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Die heiße Phase des Deutschen Herbstes begann am 5. September mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidents Hans Martin Schleyer in Köln. Die Entführer drohten mit dessen Ermordung und forderten die Freilassung von insgesamt elf RAF-Mitgliedern. Nachdem sich die Entführung Schleyers bereits drei Wochen hinzog und die Bundesregierung unter Helmut Schmidt klar machte, die Forderung nicht zu erfüllen, bot die PFLP ihre Hilfe an und schlug der RAF zwei Szenarien vor: entweder eine Geiselnahme in der Deutschen Botschaft in Kuwait oder die Entführung einer Lufthansa Maschine auf dem Weg von Mallorca nach Deutschland. Die Entscheidung ist uns allen bekannt und so nahmen die Ereignisse am 13. Oktober 1977 ihren Lauf: ein vierköpfiges Terrorkommando (zwei Männer, zwei Frauen) schmuggelten, versteckt in Kosmetikköfferchen und in einem Radio, zwei Pistolen, vier Handgranaten und etwa 500g Sprengstoff an Bord des Lufthansafluges LH181. Unterwegs war die Lufthansa an diesem Tag mit einer Boeing B737 namens Landshut.

In französischen Luftraum übernahm das Terrorkommando die Kontrolle über die Maschine. Man wollte nach Zypern, musste jedoch in Rom zwischenlanden, da das Kerosin nicht reichte. Schließlich in Zypern angekommen, vermittelte die PLO und es sollte in den Libanon weitergehen. Da die Flughäfen von Beirut, Damaskus, Bagdad und Kuwait gesperrt waren, ging es jedoch über Manama nach Dubai. In Dubai gelang es dem Kapitän der Landshut, Jürgen Schumann, Informationen bezüglich der Entführer nach draußen zu geben. Leider teilte das der Vizepräsident der Vereinigten Arabischen Emirate so auch im Fernsehen mit. Davon erfuhren die Entführer und drohten Kapitän Schumann das erste Mal mit dessen Erschießung. Nach drei Tagen ohne Klimaanlage in der Sonne Dubais sollte es in den Oman weitergehen. Da der Oman keine Landeerlaubnis gab, ging es nach Aden. Auch hier wollte man die Landshut nicht und sperrte kurzerhand die Bahn. Da der Sprit jedoch zu Neige ging, musste Kapitän Schumann trotzdem landen, nachts auf einem Sandstreifen neben der Bahn. Da er Sorge hatte, dass dabei das Fahrwerk beschädigt wurde, gestatteten die Entführer Kapitän Schumann nach draußen zu gehen und das Fahrwerk zu überprüfen. Als er erst nach einer guten Stunde zurückkehrte, mutmaßten die Entführer, dass er erneut Kontakt zu Behörden aufgenommen und Informationen weitergegeben hatte. Daraufhin erschoss ihn einer der Terroristen im Mittelgang des Flugzeuges mit einem gezielten Kopfschuss.

2008 konnte man tatsächlich den Kommandeur einer jemenitischen Sondereinheit ausfindig machen, mit dem Kapitän Schumann im Rahmen seines sogenannten Outside Checks Kontakt aufgenommen hat. Er erzählte, dass Kapitän Schumann sehr besorgt um das Leben seiner Passagiere war, weil er eine Beschädigung des Flugzeuges nicht ausschließen konnte und ihn bat, den Weiterflug der Maschine unbedingt zu verhindern. Man könnte sagen, er starb, weil er sich selbst in dieser Ausnahmesituation der großen Verantwortung für die ihm anvertrauten Passagiere und seiner Crew bewusst war und diese annahm. In meine Blogs schreibe ich so oft über Führung und Führungsqualitäten. Kapitän Schumann hat wirklich verstanden, dass es nicht um Macht, Rang oder Prestige geht, sondern um Verantwortung.

Vor einigen Jahren durfte ich die Nichte von Kapitän Schumann als Teilnehmerin in einer Schulung zur Luftsicherheit begrüßen. Sie hat ihren Onkel nie kennengelernt. Und jedes Mal, wenn ich am Flughafen in Frankfurt die Kapitän Schumann Straße entlangfahre, fällt mir auf, wie nah Geschichte sein kann.

Mit dem toten Kapitän Schumann an Bord ging es weiter nach Mogadischu. Die emotionale Belastung der Passagiere und auch der Crew bis dahin kann ich mir nicht vorstellen. Ich habe so oft in meiner Uniform an der Flugzeugtür gestanden und mir angeschaut, wer so einsteigt und so oft habe ich mich von meinen Kapitänen mit einem “bis zum nächsten Mal” verabschiedet. Für meine Kolleginnen und Kollegen der Landshut gab es kein nächstes Mal mit ihrem Kapitän.

Nach der Landung in Mogadischu drohten die Entführer schließlich, die gesamte Maschine in die Luft zu sprengen. Es wurden Ultimaten ausgehandelt, die einer Einheit des Bundesgrenzschutzes, der GSG9, die Zeit verschafften, die sie brauchten, um sich zu positionieren. Um als deutsche Einheit auf somalischen Boden gewähren zu dürfen, gab es wohl die ein oder andere Waffenlieferung. Wie dem auch sei, am 18. Oktober um 00:05 Uhr MEZ (etwa 90 Minuten vor Ende des Ultimatums) wurde gestürmt. In Anbetracht der Gemengelage hätte man viele Tote und Verletzte erwarten können. Im Schusswechsel starben jedoch nur drei der vier Terroristen. Wie nervenstark und professionell müssen diese GSG9 Beamten gewesen sein? Eine der Terroristen, Souhaila Andrawes, überlebte schwer verletzt. Ihre Gesinnung machte sie noch auf dem Weg zum Krankenwagen deutlich, mit Victory-Zeichen und den Worten “tötet mich, wir werden siegen”. Heute lebt sie unbehelligt in Norwegen. Für ihre Tat saß sie lediglich vier Jahre in Haft. Zwar wurde sie in Somalia zu 20 Jahren Haft verurteilt, jedoch recht schnell in den Irak abgeschoben. Über Beirut ging es nach Zypern und schließlich nach Norwegen, wo ihr als Palästinenserin politisches Asyl gewährt wurde. Zwar wurde sie in Folge auch in Deutschland verurteilt, durfte ihre Haft jedoch in Oslo verbüßen, wo sie aus gesundheitlichen Gründen (Nachwehen der Schussverletzungen) sehr vorzeitig entlassen wurde.

Die inhaftierte Führungsriege der RAF beging noch in der gleichen Nacht kollektiven Selbstmord und einen Tag später wurde auch die Leiche Hans Martin Schleyers in einem Kofferraum im Elsass gefunden.

Der Deutsche Herbst war vorbei. Kanzler Schmidt hatte sicher eine der schwersten Entscheidungen seiner Karriere zu treffen und deren Konsequenzen auszuhalten. In Deutschland wurde es Winter.

Über Terrorismus und Kriminalität - der Versuch einer Abgrenzung

Die Ereignisse rund um die Entführung der Landshut bieten für mich als Human Factors Trainer unzählige Möglichkeiten anzuknüpfen: der Zusammenhang zwischen Führung und Verantwortung, wie Kapitän Schumann ihn zeigte, die unglaubliche Stärke der menschlichen Seele oder des Geistes, der alle Geiseln diese extreme Situation aushalten ließ, die Gnadenlosigkeit von Entscheidungen, wie sie Kanzler Schmidt sicher verspürt hat, oder das außergewöhnliche Stressmanagement jedes einzelnen GSG9 Beamten und die extrem gute Zusammenarbeit im Team der GSG9, die absolute High Performance hervorgebracht hat. Vielleicht werde ich mir das ein oder andere zu den nächsten Jahrestagen vorknüpfen. Heute möchte ich mich mit einem Thema auseinandersetzen, das mich schon seit Jahren beschäftigt: woher kommt Terrorismus und was können wir aus dem, was war, lernen.

Meine erste wirkliche Berührung mit Terrorismus hatte ich, als ich mit 19 im Ausland als Barkeeperin gearbeitet habe und einer der Stammgäste, ein alkoholabhängiger alter Mann, mir im Gespräch erzählte, dass er ein inzwischen begnadigter Terrorist war. Mit 19 ist man da erstmal sprachlos. Also erzählte er. Er berichtete wie er als junger, unterprivilegierter Mann mit der falschen Religion unbedingt für eine bessere Welt für seine Kinder kämpfen wollte. Natürlich gab es während des Kampfes für eine bessere Welt Kollateralschäden, die er augenscheinlich sehr bedauerte. Am meisten bedauerte er jedoch, dass er, während er total mit Kämpfen beschäftigt war, völlig vergessen hat, sich eine Frau zu suchen, mit der er eine Familie hätte gründen können. Dann kam er ins Gefängnis und als er rauskam, war es zu spät, um eine Familie zu gründen. Das ist irgendwie fast schon tragisch. Vor mir saß ein alter, einsamer, gebrochener Mann. Er hätte mir leidtun können, hätte ich nicht einige Wochen zuvor einen jungen, attraktiven, charmanten Mann kennengelernt, dessen Tragik es war, dass er seine Eltern und seine Großmutter bei einem Terroranschlag verloren hat.

Schon Albert Camus hat sich in seinem Drama “Die Gerechten” mit der Frage, ob der Zweck die Mittel heilige, auf intellektueller Ebene auseinandergesetzt und ist nach meinem Empfinden zu keiner befriedigenden Antwort gekommen. Was ist im Kampf für eine bessere Welt oder eine bessere Gesellschaft erlaubt? Wie weit darf man gehen? Diese Fragen haben mich zu dem Aspekt gebracht, der Terrorismus aus meiner Sicht von Kriminalität unterscheidet: ein Krimineller ist sich bewusst darüber, etwas Illegales zu tun, während ein Terrorist von der Richtigkeit seines Tuns so überzeugt ist, wie ich überzeugt davon bin, dass man eben diese Terroristen aufhalten muss. Es ist verrückt, dass Souhaila Andrawes bis heut immer wieder Flüge bei Lufthansa bucht und sich darüber wundert, dass man sie nicht mitnehmen möchte… Klar, in ihrer Welt hat sie nichts Falsches getan. Sie hat für ihre Ideale gekämpft. Wer oder was ist da schon die Deutsche Lufthansa?

Woher kommen Terroristen?

Wenn man Terror als einen Konflikt betrachtet, den eine Gruppen von Menschen mit dem Staat, der restlichen Welt oder einer Religion hat, dann ist dem Mediator klar, dass die Ursache von Terrorismus eine unterschiedliche Meinung oder eine andere Perspektive ist. Betrachtet man sich die Ursprünge der RAF, findet man eine Generation junger Studenten, die das Verhalten ihrer Eltern während der Zeit des Nationalsozialismus kritisch hinterfragt haben. Auch der Kapitalismus, die parlamentarische Demokratie und die bürgerliche Art zu leben wurde hinterfragt. Man war nicht mehr und nicht weniger, als auf der Suche nach einer besseren Form gesellschaftlichen Zusammenlebens und mit der Ablehnung des Vietnamkriegs war man auch gegen Krieg und für Frieden. Das hört sich großartig an. Ich hätte mitgemacht. Es bildete sich die Außerparlamentarische Opposition (APO), die sich politisch engagierte. Man hinterfragte Kanzler Giesinger, da dieser im Dritten Reich als Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes auf Seiten der Nazis aktiv war und hinterfragte so auch die noch junge Bundesrepublik. Man überlegte vielleicht sogar völlig zurecht, ob das System, das alte Nazi-Kader wieder an die Macht brachte, das richtige System für einen wirklichen Neuanfang nach dem Unrecht des Dritten Reichs sei. Was um alles in der Welt konnte einige dieser klugen, reflektierten, mutigen jungen Menschen zu gewalttätigen Mördern werden lassen?

Was einen jeden eskalieren lässt, ist wenn man seine Meinung nicht hört oder hören möchte, man denjenigen außenvor lässt, ihn respektlos behandelt und nicht wahrnimmt (wir sind hier mal wieder bei Maslows Bedürfnispyramide). So erging es der APO. Obwohl sich hier ausgesprochen viele Menschen organisierten und man getrost von einer Bewegung sprechen darf, wurde diese von den Mächtigen in Politik und Gesellschaft ignoriert. War ja auch viel einfach so. Anders hätte man sich womöglich mit seiner eigenen Vergangenheit und seiner eigenen Verantwortung auseinandersetzen müssen.

Konflikteskalation nach Glasl, auch historisch betrachtet

Was passiert, wenn man mir nicht zuhört? Ich rede etwas lauter und lauter und lauter und lauter. Irgendwann schreie ich. Auch die Schreie der RAF wurden ignoriert. Es kam zu dem, was Camus beschrieben hat: es kam zu einer Strategiediskussion innerhalb der Studentenbewegung, die sich mit der Legitimation von Gewalt zum Erreichen der Ziele beschäftigte. Am Ende stand zunächst der Konsens, dass “Gewalt gegen Sachen” in jedem Fall gerechtfertigt sei. Der Staat sah das naturgemäß anders, zog die Daumenschrauben an, der Konflikt eskalierte weiter, die RAF ging in den Untergrund und irgendwann war man wohl der Meinung, dass durchaus auch Gewalt gegen Menschen gerechtfertigt sei, um sich Gehör zu verschaffen. Auf Glasls Skala zur Eskalation von Konflikten befinden wir uns auf Stufe 9 (hier ein Link zum erklärenden Blog). Ab hier gibt es keine Sieger mehr. Die Terroristen schauen nicht mehr nach links oder nach rechts, wie der alte Gast in dieser Bar am Ende der Welt, der das wichtigste in seinem Leben aus den Augen verloren hat, weil er nur noch den Kampf sehen konnte und dabei vergessen hat, wofür er eigentlich kämpfen wollte. Der Staat ist in die Enge getrieben und muss Entscheidung treffen, wie Kanzler Schmidt im Herbst 1977, eine gesamte Gesellschaft lebt in Angst und Menschen verlieren das wertvollste, was sie haben: ihr Leben. Zurück bleiben Familien und Freunde, die für den Rest ihres Lebens mit diesem Verlust klarkommen müssen.

Es geht mir nicht darum Terrorismus zu legitimieren. Wenn Menschen, aus welchen Gründen auch immer, die Grenzen hin zu Gewalt überschreiten, gibt es für mich keine Rechtfertigung mehr. Der Unterschied zu kriminellen Gewalttätern ist für mich als Mediator jedoch, dass man als Gesellschaft die Möglichkeit hat, terroristische Gewalt zu verhindern, wenn man zu einem sehr frühen Zeitpunkt deeskalierend vorgeht, indem man sich mit anderen Meinungen auseinandersetzt, allen Menschen Respekt entgegenbringt und vor allem, indem man sich zuhört.

Mein Blick in die Welt - mit der Vergangenheit im Kopf Zukunft gestalten?

Wie sieht es heute aus? Wenn ich mir die Medienlandschaft so anschaue, sehe ich überall auf der Welt junge Menschen, die sich eine andere Gesellschaft wünschen, die für wundervolle Dinge kämpfen, das Alte hinterfragen und von einer besseren Zukunft träumen. Wie gut hören wir diesen jungen Menschen zu? Gestehen wir ihnen zu, ihre Zukunft mitzugestalten, obwohl sie noch nicht Teil des mächtigen Establishments sind? Ich sehe Menschen, für die der Alltag ein Kampf ist, die gerade so über die Runden kommen und Angst davor haben, dass ihr Leben noch härter wird. Sie haben Angst, ihr Bescheidenes Hab und Gut auch noch teilen zu müssen. Vielleicht haben sie auch nur Angst vor allem, was fremd ist. Was tun wir, um ihnen diese Ängste zu nehmen? Wie viel Respekt und Verständnis bringen wir ihnen entgegen? Setzen wir uns überhaupt mit ihnen auseinander? Ich sehe Menschen, die wütend sind, weil sie nicht verstehen, dass sie auf Grund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Ethnie, ihrer Hautfarbe benachteiligt werden. Wie sensibel sind wir, die wir zur vermeintlichen Mehrheit, zum Standard, gehören, für deren Sorgen, deren Wut und deren Träume?

Irgendwie erscheint die Welt immer so wahnsinnig überrascht, wenn man feststellt, dass wo auch immer und warum auch immer plötzlich Terrorismus auftaucht… Das war bei den Anschlägen von 9/11 so, mit dem IS konnte man natürlich auch nicht rechnen, der IRA und der ETA, der RAF, oder den rechten Terrorzellen in Deutschland. Hier scheint Donald Trump geradezu weitsichtig (und ich hasse es, das zu schreiben, denn ihr wisst wie ich zu ihm stehe). Er schreit den linksradikalen Terror wie ein Schreckgespenst gerade zu herbei. Interessant ist hierbei vor allem eins: es ist der Geist, den er selbst ganz laut ruft, indem er komplett unversöhnlich, arrogant und respektlos auf seinem eigenen Standpunkt beharrt und all jenen, die sich nicht gehört und wahrgenommen fühlen nur eine Möglichkeit lässt: immer lauter zu schreien!

Klar könnte man jetzt sagen, dass das alles weit weg passiert. Aber mal ehrlich, wie unversöhnlich stehen sich in unserer Gesellschaft Meinungen gegenüber? Wie ist es um unsere Diskussionskultur hier in Deutschland bestellt? Ich stelle immer mehr fest, dass man inzwischen häufiger übereinander oder gegeneinander redet, als miteinander. Bei Glasl wäre das bereits ein mittleres Eskalationslevel, das sich ab einem gewissen Punkt nicht mehr einfangen lässt. Sind wir uns sicher, dass wir das wollen? -Wissend, dass es ab einem gewissen Punkt nur noch Verlierer gibt?

Heute vor 43 Jahren, kurz nach Mitternacht endete für die Landshut-Geiseln ein fast einwöchiger Albtraum, der sie sicher ein Leben lang begleitet hat und noch immer begleitet. Für die Familie, die beiden Söhne und die Frau und sicher auch für die Freunde von Kapitän Schuhmann ging der Albtraum wahrscheinlich erst los. Vielleicht sollten wir alle täglich die Kapitän Schumann Straße entlangfahren um uns daran zu erinnern, wie wichtig es ist, einander zuzuhören, miteinander zu reden und auch bei unterschiedlichen Meinungen im respektvollen Austausch zu bleiben.

Schönen Sonntag allerseits!

Eure Constance

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Achtung Terror

Das Ende des Miteinanders

Konflikte - keiner will sie, jeder hat sie und manchmal möchte man einfach nur laut schreien

Bekenntnisse eines Konflikt-Profis

Also, wie fange ich an…??? Vielleicht mit einer kleinen Beichte: ich bin Mediator, quasi Konflikt-Profi. Außerdem bin ich Human Factors Trainer und weiß, dass Konflikte für gewöhnlich daher rühren, dass zwei Parteien ein und dieselbe Situation einfach nur unterschiedlich wahrnehmen. Also alles kein Drama! Ich habe sogar gelernt, dass diese unterschiedlichen Wahrnehmungen super wichtig in einem High Performance Team sind, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Also alles kein Drama. Ich könnte mich ganz entspannt zurücklehnen und alle möglichen Konflikte auf mich zukommen lassen und sie in aller Ruhe und im Gespräch lösen und dann (etwas klüger als vorher) einfach weitermachen im Text. Ja, das alles könnte ich… Leider gibt es in meinem Gehirn diesen schon mehrfach von mir beschriebenen Party-Pooper namens Amygdala (oder gerne auch Angsthirn genannt), der rasend schnell agiert und das ganz anders sieht. Meine Amygdala schert sich einen feuchten Kehricht um die vernünftigen und positiven Nebeneffekte, die Konflikte so mit sich bringen. Meine Amygdala kennt nur Schwarz und Weiß, Freund oder Feind. In ihrer, zugegebenen etwas veralteten Vorstellung von der Welt leben wir noch in Höhlen und ein jeder, der nicht unserer Meinung ist, bedeutet Lebensgefahr. Meiner Amygdala ist es in solchen Situationen super wichtig, dass ich nicht unter die Räder komme. Deshalb versetzt sie mich auf sehr fürsorgliche Art und Weise sofort entweder in einen Kampf- oder in einen Fluchtmodus. Da die Amygdala schon sehr lang Zeit hatte, zu üben, ist sie dabei deutlich schneller, als meine modernen Mediatoren-Hirnteile, die natürlich wissen, dass eine andere Meinung heutzutage nicht unbedingt Lebensgefahr bedeutet. Das macht mich manchmal fertig! Deshalb will ich keine Konflikte, obwohl ich weiß welch großes Potenzial sie auch für meine Weiterentwicklung mit sich bringen. Nein, ich will sie nicht, ich versuche sie manchmal sogar aktiv zu meiden.

Kommen euch die Situationen bekannt vor, in denen ihr alles versucht, um einen Konflikt zu meiden? -In denen euch eine andere Meinung dazu bringt, euch innerlich zurückzuziehen, um bloß nicht mehr mit dem Gegenüber zu sprechen? -In denen ihr sofort und unüberlegt zurückschießt? Glückwunsch! Auch ihr habt eine gut ausgebildete und wachsame Amygdala, die im Zustand permanenter Aufmerksamkeit aufpasst, dass ihr nicht aus Versehen von einem Säbelzahntiger gefressen werdet. Soll heißen, euer Gehirn funktioniert ganz normal. Wut, Angst und Angriffslust (und auch der Wunsch manchmal laut zu schreien), aber auch innerer Rückzug und Bockigkeit sind ganz normale menschliche Gefühlsregungen. Soweit die gute Nachricht.

Weil die Welt sich weiterdreht

Jetzt kommt die schlechte Nachricht: ihr habt es sicher mitbekommen, die Säbelzahntiger sind ausgestorben und wir leben nicht mehr in Höhlen. Genau das müssen wir unseren Amygdalas behutsam beibringen, sonst wird das Leben in unserer modernen Welt echt anstrengend. Bei jeder abstrakten Bedrohung kämpfen oder flüchten zu müssen ist echt kräftezehrend. Wie man das ändern kann? Gute Frage! Zunächst einmal ist es wichtig, zu verstehen, wie diese Amygdala funktioniert, um zu verstehen, was mit einem selbst passiert, wenn man mal wieder rotsieht. In meinen Workshops fange ich zumeist erstmal damit an, zu erklären, woher das Wörtchen Konflikt überhaupt kommt. Seinen Ursprung hat das Wort im Lateinischen: confligere bedeutet so viel wie zusammenstoßen oder zusammenprallen. Das beschreibt es ganz gut. Die Amygdala wertet diesen abstrakten Zusammenstoß nämlich als konkreten, körperlichen Zusammenstoß und glaubt kämpfen zu müssen, um zu überleben. Diesen Umstand zu akzeptieren ist zunächst einmal die Basis, um daran arbeiten zu können. Denn Fakt ist, hat die Amygdala erstmal Gas gegeben, nimmt ein jeder Konflikt eine Eigendynamik auf, die sich auch durch den Versuch, den Konflikt und die damit verbundenen Gefühle zu ignorieren, nicht aufhalten lässt.

Zur Dynamik von Konflikten

Der österreichische Konfliktforscher Friedrich Glasl hat 1980 sein Modell zur Konflikteskalation veröffentlich. Er hat dargestellt, dass alle Konflikte (auch die ignorierten) immer weiter eskalieren. Das tun sie in den stets gleichen Phasen. Ich halte es für wichtig, sich einmal mit diesen Phasen beschäftigt zu haben, um sich selbst in einem Konflikt besser zu verstehen und um zu wissen, wo es noch Ausgänge oder Notausgänge gibt. Deshalb hier in aller Kürze die Konflikteskalation nach Glasl:

  1. Es wird kälter: jeder kennt dieses Gefühl. Man merkt, dass etwas nicht stimmt. Es gibt Spannungen und Sticheleien, kein wirklicher Streit, aber genug um sich unwohl zu fühlen.

  2. Debatten und Polarisation: kurzgefasst; es wird diskutiert und debattiert wann immer es geht. Der jeweils andere wird dabei langsam zum Gegner.

  3. Taten statt Worte: jetzt geht es darum, den jeweils anderen konkret unter Druck zu setzen. Im Arbeitsumfeld könnte das bedeuten, den anderen vielleicht einfach mal zu vergessen, in einer wichtigen Mail nicht anzukopieren. Soll passieren, habe ich gehört! Ups!

  4. Jeder soll sehen, dass der andere der Schuft ist: natürlich geht es darum, Allianzen zu knüpfen, Unterstützung und Verbündete zu finden. Klar, wenn mir noch drei andere bestätigen, dass das Verhalten des anderen “gar nicht geht” wird meine subjektive Empfindung jetzt zur objektiven Wahrheit! Victory!

  5. Gesichtsverlust: nun geht es darum, den jeweils anderen moralisch zu entwerten. Es geht langsam aber sicher nicht mehr um das eigentliche Konfliktthema, sondern um den anderen als Person, um den Feind! Eine differenzierte Perspektive wird immer schwieriger.

  6. Drohstrategien: Mein Lieblingspunkt! Ja, wir Menschen drohen unglaublich gerne, weil wir glauben, dass der andere tut was wir wollen, wenn wir ihn nur gehörig unter Druck setzen. Dass wir uns dabei immer selbst am meisten unter Druck setzen, merken wir meistens erst zu spät! Kurze Geschichte gefällig? -Eine hochgeschätzte Trainerkollegin berichtet an dieser Stelle gerne von ihren beiden Söhnen, die nicht so gerne aufräumen. Das nervt Mama natürlich sehr. Mal wieder herrschte Chaos in den Kinderzimmern. Es war Wochenende, die ganze Familie freute sich auf ein Straßenfest. Mama freute sich am meisten, weil sie sich da mit Freundinnen zum Sektchen treffen wollte. Die unaufgeräumten Zimmer ihrer Jungs am Morgen erzürnte sie jedoch so sehr, dass sie sich zu folgendem Satz hinreißen ließ: “Wenn ihr das nicht sofort aufräumt, gehen wir nachher nicht auf das Straßenfest!”. Sie sprach es und bereute postwendend! Was wenn die beiden nicht aufräumten? Dann würde sie selbst entweder ihre Freundinnen nicht zum Sektchen treffen können, oder sie würde ihre Autorität bis zur Volljährigkeit der beiden verspielen müssen… Ich bin mir sicher, jeder kann von ähnlich gelagerten Situationen berichten und trotzdem tun wir es immer wieder! Es menschelt halt ungemein, wenn die Amygdala Gas gibt!

  7. Begrenzte Vernichtungsschläge: ab hier gibt es langsam aber sicher kein Halten mehr. Man fängt an, eigene moralische Grenzen zu überschreiten, nur um dem anderen zu schaden.

  8. Zersplitterung: jetzt geht es auch darum, den anderen zu isolieren, indem man seine Netzwerke zu zerstören versucht. Dabei macht man sogar vor der Manipulation Dritter keinen Halt.

  9. Gemeinsam in den Abgrund: nun ist schließlich der Punkt erreicht, an dem man selbst eigene Verluste billigend in Kauf nimmt, solange der andere noch ein klitzekleines bisschen mehr verliert. Wer kennt den Film “Rosenkrieg”? Genau so!

Und? habt ihr euch an der ein oder anderen Stelle an eine konkrete Situation zurückerinnert? Perfekt! Um einen Konflikt lösen zu können, muss man sich trotz all der Emotionen, die in uns toben, erstmal orientieren. Das funktioniert zunächst in der Retrospektive einfacher als in der akuten Situation.

Die Suche nach dem Exit Sign

Was jetzt noch bleibt ist die Frage, wie man wo aussteigen kann. Da Konflikte ja wie gesagt nicht einfach so verschwinden, ist es sinnvoll, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt auszusteigen. Friedrich Glasl und ich sind uns darin einig, dass wir einen Ausstieg noch während der ersten drei Stufen empfehlen. Aus zwei Gründen: zum einen lässt sich der Konflikt auf dieser Ebene meist in einer Win-Win-Situation klären und zum anderen auch ohne fremde Hilfe, weil noch nicht wirklich viel Porzellan zerschlagen wurde. Das einzige was es dafür braucht, ist die Achtsamkeit den aufkommenden Konflikt zu erkennen, die Akzeptanz, dass er eskalieren wird, wenn ich nicht einschreite und schließlich den Mut, das ganze anzusprechen. Ich spreche eine solche Situation gerne nach dem WWW-Prinzip an. In meinem Artikel Rund um das Thema Feedback habe ich diese Möglichkeit kurz beschrieben (hier der Link zum Artikel).

Bewege ich mich bereits auf den Stufen 4, 5, oder 6 wird es deutlich schwieriger einen Ausgang zu finden. Häufig ist es sinnvoll hierbei einen unparteiischen Mediator (das darf auch gerne ein neutraler Kollege oder der Vorgesetzte sein) einzuschalten, da man den Konflikt ab der vierten Stufe meist nur in einer Win-Lose-Situation lösen kann, weil bereits Dritte involviert sind. Im Business-Umfeld können gut vorbereitete Führungskräfte übrigens sehr wertvolle Beiträge dazu leisten, dass sich selbst “Lose” nicht allzu schmerzhaft anfühlt. Es geht um die Möglichkeit, sein Gesicht wahren zu können.

Ab Stufe 7 kann man höchstens noch von einem Notausgang sprechen, da die Lösung immer in einer Lose-Lose-Situation enden wird. Auch ist ein Mediator (der dann nicht selten ein Jurist, bzw. Richter sein kann) unumgänglich. Und ganz ehrlich, all euer Bestreben rund um das Thema Konflikt sollte stets sein, es nicht so weit kommen zu lassen.

Achtsamkeit und Selbstführung - mal wieder

So weit in aller Kürze zu den Weisheiten des Konfliktmanagement-Trainers. Der Coach in mir hat noch einen anderen Ansatz. Ich komme nochmal auf die Amygdala zurück. Denn am sinnvollste wäre es doch, wenn wir einfach weniger Konflikte hätten, bzw. unsere Amygdala weniger Situationen als bedrohlich wahrnimmt, weil sie langsam aber sicher in unserer modernen, abstrakten Welt ankommt. Hierzu müssen wir zunächst einmal einsehen, dass die Konflikte, die wir haben, zumeist deutlich mehr mit uns selbst, als mit unserem gegenüber zu tun haben. Den gefühlten Konflikt verursacht nämlich für gewöhnlich unsere ureigenste Bewertung der Situation. Wir müssen einfach davon loskommen, alles als Bedrohung wahrzunehmen. Das funktioniert, ist aber ein verdammt langer Weg. Vor etwa zwei Wochen habe ich bei Instagram (unbezahlte) Werbung für ein Buch gemacht: “… und ständig tickt die Selbstwertbombe” von H. H. Stavemann. Mit Hilfe dieses Buches kann man eine wirklich spannende Reise in sein eigenes Bewertungssystem unternehmen und gaaaaanz langsam, Schritt für Schritt, mittels des ABC-Modells an diesem Bewertungssystem arbeite. A steht hierbei für die Ausgangssituation, B für die Bewertung und C für die Konsequenzen. Wenn der ein oder andere diesbezüglich an sich arbeiten möchte und gerade keinen Coach an seiner Seite hat, ist Stavemanns Buch, das übrigens ausdrücklich für den Endverbraucher und psychologischen Laien geschrieben ist, eine tolle Alternative.

Egal welchen Weg ihr für euch wählt, Stavemann, einen Coach oder eine andere Möglichkeit zu Achtsamkeit und Selbstreflexion, am Ende bedeutet das immer zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen: entweder ich unterwerfe mich meiner Amygdala und lasse sie uneingeschränkt meine gesamte Umwelt als bedrohlich einschätzen. Vielleicht ist das ja wirklich weniger kräftezehrend, als Selbstreflexion und bewusste Selbstführung. Oder ich arbeite an mir, meinen Mustern, versuche auch mal die Perspektive zu wechseln und das Thema Konflikt für mich um zu bewerten. Ich habe mich für zweites entschieden. Das lässt mich viel entspannter durchs Leben gehen. Natürlich gelingt es mir nicht immer. Manchmal passiert einfach etwas und meine Amygdala sieht rot. Aber das gönne ich mir dann auch. So ist der Mensch und manchmal ist es völlig OK, auch mal laut zu schreien, finde ich und freue mich gleichzeitig darüber, dass meine Amygdala in den letzten Jahren deutlich cooler geworden ist.

Eure Constance

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Gemeinsam in den Abgrund?

Weil Konflikte irgendwann nur noch Verlierer kennen