Dynamik

Gut geplant ist nicht auch immer gut gemacht - Wenn Change einfach nicht funktionieren will

Denn ein Autofahrer ist ja auch kein Formel 1 Fahrer

Ich gehe davon aus, die meisten meiner Leserinnen und Leser haben einen Führerschein und fahren regelmäßig Auto. Alles kein Problem. Wahrscheinlich fahrt ihr auch mal mit fremden Autos. Selbst der Wechsel von Schaltgetriebe auf Automatik oder umgekehrt läuft halbwegs geschmeidig.

Nun stellt euch vor, morgen gibt es ein riesiges Upgrade für euch! Anstatt eines normalen Autos steht ein Formel 1 Rennwagen vor der Tür und ihr sollt damit zur Arbeit fahren! Läuft bei euch? Bei mir auf keinen Fall. Klar, er hat vier Reifen, ein Lenkrad und einen Motor und ich habe einen Führerschein. Zur Arbeit werde ich es mit diesem Gefährt jedoch sicher trotzdem nicht schaffen. -Auch wenn ich es noch so gerne wollte.

So wie mir mit dem Rennauto geht es vielen Menschen während oder nach sogenannten Transformationsprozessen der Organisationen für die sie arbeiten. Im Hintergrund wird geplant, analysiert, optimiert und irgendwann stellt die Organisation den Mitarbeitenden das Formal 1 Auto untern den Arbeitsmodellen vor die Tür (nennt es New Work, Agilität oder wie auch immer) und keiner ist da, der es fahren kann. Blöd irgendwie.

Die vier Seiten ganzheitlicher Transformation

Was gilt es also zu beachten, damit eine Transformation oder ein Change erfolgreich ist? Die Herren Wilber und Ackerman haben hierfür ihr “Vier-Quadranten-Modell” erstellt, das die vier Felder auf welchen “transformiert” werden muss um nachhaltigen Erfolg zu erzielen, beleuchtet. Hierbei gibt es eine Achse aus Kollektiv und Individuum und einer Achse aus Innen und Außen.

Auf der Seite des Kollektivs im Außen entsteht das Rennauto. Hierbei wird intensiv an Strukturen und Prozessen gearbeitet. Im Innern wird an den Themen Kultur und Kommunikation gearbeitet, damit das schicke neue Rennauto auch auf Begeisterung stößt. Ich kann mich noch lebhaft an Zeiten erinnern, in denen im Prinzip nur und ausschließlich auf struktureller und prozeduraler Ebene gearbeitet wurde und nehme inzwischen wahr, dass immer intensiver auch Wert auf den kulturellen Wandel und ein angemessenes Kommunikationskonzept gelegt wird. Das ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung erfolgreicher Change-Prozesse. Allerdings fehlen bei dieser Herangehensweise noch immer zwei der laut Wilber und Ackerman relevanten vier Quadranten. -Also die Hälfte!

Denn New Work braucht Inner Work

Da steht es also, unser Rennauto. Dank eines guten Kommunikationskonzeptes finden es zunächst auch alle toll. Die Freude ist groß. Allerdings stellt sich sehr schnell Ernüchterung ein, denn so wie ich am Montagmorgen um mein Rennauto schleiche, so schleichen auch die betroffenen Menschen um das tolle neue Arbeitsmodell und wissen nichts damit anzufangen. Der Frust steigt!

Auf der Ebene des Individuums muss sich im Außen um die Themen Verhalten und Fähigkeiten gekümmert werden. Hierbei stellen zum Beispiel Agile Coaches eine tolle Unterstützung dar. Sie vermitteln das notwendige Handwerkszeug, spiegeln Verhalten und geben Feedback. Zusätzlich erstellt HR eine Lernreise hin zu Agilität, Scrum, Kanban, neuen IT-Systemen oder was es auch immer braucht. Drei von vier Quadranten sind abgedeckt.

So lernen die Menschen in einer Organisation Schritt für Schritt wie das neue, tolle Auto bedient werden muss, um von A nach B zu kommen. So weit so gut. Allerdings ist das neue Auto einfach deutlich schneller als das alte. Ein kleinwenig mehr Gas fühlt sich an wie eine Explosion und die Geschwindigkeit macht unsicher, ggf. sogar ängstlich. Und was ist mit denen die vorher lieber Bus gefahren sind? Es läuft zwar irgendwie, trotzdem wirkt es künstlich, unnatürlich, verkrampft. Man passt sich eben notgedrungen an. Dabei haben weder der Rennwagen noch der Fahrer Spaß. Der Rennwagen muss sich damit abfinden permanent in der Under-Performance zu sein, was dem Motor sicher nicht gefällt. Und der Fahrer ist permanent unsicher oder wenigstens niemals absolut sicher.

Was fehlt ist der vierte Quadrant in Wilbers und Ackermans Modell: Im Inneren muss sich mit dem Individuum inklusive seiner oder ihrer Haltung und Psyche beschäftigt werden, damit die Transformation erfolgreich sein kann. Warum ist das so wichtig? In modernen Kollaborationsmodellen verändert sich vor allem das Thema Führung und Macht. Jede und jeder bekommt in New Work Strukturen einen kleinen Teil der Macht, die in traditionellen Kollaborationsmodellen zentral bei der Führungskraft lag. Das nennt sich dann Empowerment und bedeutet selbstverständlich nicht, dass sich plötzlich alle so verhalten wie früher die Chefs. Vielmehr müssen nun alle gemeinsam im Team entscheiden, sich weiterentwickeln und gemeinsam lernen. Um hier gut und sicher zu agieren braucht es bestimmte Kompetenzen, die Menschen lernen müssen, wie eben auch Rennauto fahren, um dann nicht nur theoretisch schnell fahren zu können, sondern auch so viel Spaß dabei zu haben, dass die Performance des Autos wirklich Formel 1 würdig wird.

Persönlichkeitskompetenzen in einer dynamischen und komplexen Welt

In diesem Zusammenhang haben bereits vor einem guten Jahr Bettina Rollow und Joana Breidenbach drei Kompetenzfelder beschrieben, die in neuen Arbeitsmodellen eine besondere Rolle spielen: die individuellen Kompetenzen, die Beziehungskompetenzen und die Feldkompetenzen. Was gilt es in diesen drei Bereichen konkret zu lernen?

Im Bereich der individuellen Kompetenzen gibt es zwei Ebenen, auf denen ein besonderes Augenmerk liegen sollte: der Selbstkontakt und die Selbstreflexion. In der neuen Arbeitswelt mit fluiden Führungsrollen und weniger äußeren Vorgaben wird der Mensch selbst zu seinem wichtigsten Kompass und Richtungsgeber. Ist der Mensch in einem guten Selbstkontakt ist er sich seiner eigenen Gefühle stärker bewusst und somit in der Lage seine Umwelt bewusster und realistischer wahrnehmen. So können Beziehungen bewusster gestaltet werden, was wiederum dazu führt, dass zum Beispiel Entscheidungen informierter und analytischer getroffen werden, da diese auf mehreren Perspektiven und einer breiteren Faktenlage basieren. Eine gute Selbstreflexion wiederum bedeutet eigene Verhaltensmuster und dahinterliegende Bedürfnisse zu erkennen und so das persönliche Handlungsspektrum zu erweitern. Zum üblichen Reagieren kommt proaktives Agieren hinzu. Auf diese Weise kommen Menschen in der Selbstorganisation deutlich besser zurecht und können leichter eigenverantwortlich mitgestalten.

Schauen wir uns genauer an was sich konkret hinter dem Feld der Beziehungskompetenzen verbirgt, fällt hier zunächst das Thema Empathie, bzw. die transparente und empathische Kommunikation ist Auge. Erfolgreiche Zusammenarbeit im Team hängt in erster Linie von einer guten Beziehungsbasis ab, die eine Arbeitsatmosphäre der von mir so oft beschriebenen psychologischen Sicherheit schafft. Damit eine positiv bewertete Beziehungsbasis entstehen kann, sind unter anderem Fähigkeiten und Techniken der empathischen Kommunikation notwendig. Nur wenn alle im Team in der Lage sind sich auch hinsichtlich ihrer Gefühle und Bedürfnisse präzise und klar auszudrücken, wird es möglich, offen zu diskutieren, ehrliches Feedback zu geben und Konflikte konstruktiv anzugehen. Das Thema Konflikte bringt uns auch schon automatisch zum zweiten Feld im Bereich der Beziehungskompetenzen, das für uns von besonderem Interesse ist: die Fähigkeit, Spannungen auszuhalten. In selbstorganisierten Teams mit hoher Eigenverantwortung wird sehr intensiv um den besten gemeinsamen Kurs gerungen. Hierbei verstecken sich nicht selten Beziehungskonflikte im Mäntelchen der Sachkonflikte. Es ist wichtig, Spannungen im Team zu erkennen und die Angst vor Konflikten abzubauen. Offen über alle relevanten auch nicht fachlichen Themen zu sprechen ist von großer Bedeutung, wenn man das Team tatsächlich als Gesamtressource nutzen möchte. Unangenehmes unter den Teppich zu kehren ist kontraproduktiv.

Im dritten relevanten Bereich, den sogenannten Feldkompetenzen, geht es darum in all der Dynamik und Komplexität, aber auch in dieser Welt voller Möglichkeiten den Überblick nicht zu verlieren. Zwei besonders interessante Bereiche sind hier die sogenannte Metareflexion und die Fähigkeit zur Multiperspektivität in einem Team. Unter Metareflexion versteht man die Fähigkeit die kollektiven mentalen Modelle des Teams zu verstehen. Das heißt welche kulturellen Normen hinsichtlich der Zusammenarbeit gibt sich ein Team und welche sozialen Dynamiken herrschen im Team? Besonders in einem Umfeld der hohen Eigenverantwortung ist diese Fähigkeit von besonderer Bedeutung, da sie eine Voraussetzung dafür ist, einen gemeinsamen Rahmen für das Handeln der einzelnen Teammitglieder zu setzen. Ferner hat die Fähigkeit zur Metareflexion auch direkten Einfluss auf die Multiperspektivität. Multiperspektivität bedeutet, dass jede und jeder im Team ein Verständnis dafür entwickelt, dass Menschen auf Grund ihrer unterschiedlichen Erfahrung auch unterschiedliche Perspektiven und Haltungen entwickeln, wobei jede dieser Perspektiven eine wichtige und wertvolle Ergänzung des Gesamtbildes darstellt. Bei Multiperspektivität geht es nicht darum, andere Perspektiven oder Einschätzung zu respektieren. Multiperspektivität geht hier noch einen Schritt weiter: Es geht darum diese unterschiedlichen Perspektiven wertzuschätzen und jede unterschiedliche Einschätzung dankbar zu durchdenken.

In diesem dritten Bereich passiert aus meiner Erfahrung unter der Überschrift “Diversity & Inclusion” bereits eine Menge in Deutschlands Organisationen. Allerdings müssen wir meiner Meinung nach ein wenig aufpassen, dass diese wichtigen Bestrebungen nicht zur Modeerscheinung verkommen. Außerdem würde ich als Coach gerade mit Fokus auf die Feldkompetenzen der Mitarbeitenden zusätzlich zu Mann-Frau-Herkunft-sexuelle Orientierung-Generationen-Thematik den Fokus auch auf das Thema der kognitiven Diversität richten, denn in letzte Konsequenz geht es auch hierbei darum Unterschiedlichkeit zu integrieren und einen gemeinsamen Weg zu finden.

Der systemische Coach und Change Manager als Fahrlehrer in Rennwagen-Organisationen

Ja, Unternehmen sind gut beraten, wenn sie ihren Mitarbeitenden Fahrstunden für das neue Arbeitsmodell, die neue Struktur, den neuen Prozess anbieten. - Und zwar ganzheitlich, auf allen im Modell beschriebenen Ebenen. Hierbei können systemische Coaches und Change Manager so viel mehr leisten, als Kommunikationskonzepte zu entwickeln. Sie habe das Handwerkszeug um auch an den individuellen Kompetenzen, den Beziehungskompetenzen und den Feldkompetenzen zu arbeiten, wenn man ihnen den Raum und den Rahmen dafür gibt. New Work needs inner work! Und hierbei sollte man beim Management beginnen. Nur so kann es zu diesen wunderbaren Flow-Erlebnissen auch in der wilden Welt der New Work kommen. Nur so werden Organisationen zu lernenden und hoch performanten Organisationen und sind nachhaltig den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen. Eigentlich dürfte ich mir mit dieser Perspektive keine Gedanken hinsichtlich meiner beruflichen Zukunft machen. Dennoch merke ich wieder und wieder, dass es ein ewiger Kampf zu sein scheint, bei den Entscheidungsträgern für die Notwendigkeit systemischer Begleitung zu werben. Change wir häufig nur auf der Dimension der Strukturen und Prozesse gesehen. In diesem Zusammenhang ist klar, dass Menschen ihr neues Handwerk oder neue Fähigkeiten lernen müssen. Hier wird der Rahmen für gewöhnlich automatisch geschaffen. Im besten Fall wird die Ebene der Kultur und Kommunikation ebenfalls mit einbezogen. An dieser Stelle darf ich als Coach und Beraten häufig unterstützen und mitgestalten. Trotzdem fehlt die vierte Ebene, die individuelle innere Arbeit. Schauen wir uns all diese Veränderungsvorhaben an, die langfristig scheitern (es gibt Statistiken, die behaupten es seien 75%), liegt das gefühlt immer wieder daran, dass diese vierte Dimension einfach nicht Teil des Prozesses war und die Menschen ihre neuen Rennwagen zwar fahren, dabei aber viel zu vorsichtig sind, unter ihren Möglichkeiten agieren und dadurch irgendwann zunehmend frustriert werden.

Wie nehmt ihr diese unterschiedlichen Dimensionen in Veränderungsprozessen wahr? Besonders interessant würde ich Feedback von “Betroffenen” finden. Aber auch Feedback und Erfahrungen meiner Coach und Consultant Kolleginnen und Kollegen würde mich interessieren.

Habt einen schönen Sonntag.

Eure Constance

PS: Wer jetzt auf die Idee kommt, dass all die “Leader as Coaches”, also die Führungskräfte mit coachendem Führungsansatz, diese Lücke in Dimension vier füllen könnte, dem sei ganz klar gesagt “Nein!”. Eine Führungskraft ist und bleibt Führungskraft und der coachende Ansatz in der Führung hat ganz klare Grenzen. Mehr dazu findet ihr in meinem letzten Artikel. Also einfach weiter nach unten scrollen! ;)

Den Blick aufs grosse ganze

Erfolgreiche Transformation geht nur mit ganzheitlichem Ansatz. Denn New Work braucht auch Inner Work!

Wie Stanislaw Petrow einfach so einen Atomkrieg verhinderte...

Wie? Ihr kennt Stanislaw Petrow nicht? Und das obwohl er anno 1983 quasi im Alleingang einen Atomkrieg verhinderte! Ihr solltet Euch unbedingt fünf Minuten nehmen und mit mir auf Zeitreise gehen. Denn von diesem heimlichen Helden der Geschichte können wir so einiges lernen!

Warum Dynamik und Komplexität nur zu managen sind, wenn alle Akteure Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen

Während wir Coaches, Change Agents und HRler nicht müde werden, zu predigen, dass unsere immer dynamischer und komplexer werdende Welt vor allem eines braucht; Menschen die eigenverantwortlich handeln, Entscheidungen treffen und so unsere (Arbeits-) Welt proaktiv mitgestalten, stellt sich mir manches Mal die Frage, wie lange es wohl dauert, bis wir Menschen so weit sind, dies dann auch vollumfänglich zu tun. Ich träume von lernenden Organisationen, von einer Kultur der psychologischen Sicherheit und an manchen Tagen komme ich mir vor, wie der gute alte Sisyphos: Zwei Schritte vor und drei zurück… Dabei gibt es sie und es gab sie schon immer, diese Menschen, die unauffällig vor sich hinarbeiten und just in diesem Moment, in dem sie wirklich gebraucht werden, reißen sie sich das weiße Shirt oder die weiße Bluse vom Leib und sind für eine kurze Zeit Wonder Women oder Superman, ehe sie sich wieder in die Unauffälligkeit zurückziehen.

Einen solchen Superman möchte ich Euch heute vorstellen. Denn wer glaubt, die Welt hätte während der Kubakrise an der Grenze zum Atomkrieg gestanden, der hat keine Ahnung, was in der Nacht vom 25. auf den 26. September 1983 passiert ist.

Lasst uns gemeinsam auf Zeitreise gehen

Spätsommer 1983: Ich wünschte, ich könnte wirklich von damals erzählen, aber ich war noch im Kindergarten und meine Erinnerung ist halbwegs verschwommen. Mein kleiner Bruder war noch nicht geboren und es war noch vor Tschernobyl. Deshalb bin ich mir sicher, dass ich zu dieser Zeit häufig mit meinem Papa im Wald war, um Steinpilze zu sammeln. Nach Tschernobyl war das ja erstmal nicht mehr möglich. Neben Pilze suchen und Drachen steigen lassen habe ich den Kindergarten wirklich geliebt. Tante Eva war toll! Nach dem Kindergarten war ich oft mit meiner Oma im Garten. In regelmäßigen Abständen donnerten US-Kampfflieger über uns, die so laut waren, dass sie mir jedes Mal Angst machten. Meine Oma beruhigte mich immer und erklärte mir, dass die Amerikaner uns vor den Russen beschützten und wir dankbar sein müssen, dass sie hier sind. Oma war Kriegsflüchtling und hatte leider offensichtlich mehr als nur eine Idee davon, zu was die russische Armee im Zweiten Weltkrieg fähig war. Kindheit im Kalten Krieg! Ich denke dieser Tage immer wieder an meine Oma und an ihre große Angst. -Und daran, was es bedeutet, Flüchtling zu sein.

Vielleicht war ich auch am 25. September mit Oma im Garten oder mit Papa Pilze sammeln. Vielleicht donnerten auch an diesem Tag Kampfflieger über uns und ich zuckte in dem Moment, in dem sie knallend die Schallmauer durchbrachen, zusammen. Ich weiß es nicht. Allerdings weiß ich, dass ich auch an diesem Abend zu Bett ging, mein Kindergebet sprach, in dem ich darum bat, auch am nächsten Morgen wieder vom Herrn Jesus geweckt zu werden und schließlich einschlief. -Wie jeden Abend. Wie groß das Wunder war, dass meine Welt am 26. September noch immer die gleiche war, das wussten weder meine Oma, meine Mama, mein allwissender Papa noch ich selbst. Während wir alle friedlich schliefen, zog sich im Raketenabwehrzentrum in Moskau der diensthabende Offizier Stanislaw Petrow für einen kurzen Moment das Superman-Shirt über und rettete klammheimlich die Welt.

Was war passiert? Um 00:15 Ortszeit meldete ein Alarm den Start einer US-Amerikanischen Interkontinentalrakete. Dem diensthabenden Offizier blieb nur ein geringes Zeitfenster zur Beurteilung der Lage. Petrow bewahrte die Nerven und kam zur Entscheidung, dass es sich um einen Fehlalarm in Folge eines Computerfehlers handelte. Noch während er am Telefon war, um diese Einschätzung weiterzugeben, meldete das System den Start einer zweiten, dritten, vierten und fünften Rakete…

Gemäß der damals geltenden Logik des Kalten Krieges “Wer als erstes schießt, stirbt als zweites!” hatte die Sowjetunion etwa 30 Minuten Zeit, den alles vernichtenden Gegenschlag zu initiieren. Doch Petrow behielt erneut die Nerven und kam erneut zu der Entscheidung, dass es sich um einen Computerfehler handeln müsse. Eine endlose halbe Stunde später wusste schließlich auch Petrow, dass er mit seiner Einschätzung richtig lag. Die vernichtende Detonation blieb aus.

Es war in der Tat ein Fehlalarm, hervorgerufen durch eine außergewöhnliche Konstellation von Satellitensystemen und der Sonne direkt über einer Militärbasis in den USA, die von den sowjetischen Abwehrsystemen als Raketenstarts interpretiert wurde.

Nicht auszudenken, wäre Petrow zu einer anderen Einschätzung gekommen, die aus sowjetischer Perspektive durchaus naheliegend gewesen wäre. Nur drei Wochen zuvor wurde ein südkoreanisches Passagierflugzeug über der russischen Insel Sachalin abgeschossen. Eine Vergeltungsmaßnahme? Zusätzlich sollten in naher Zukunft US-Mittelstreckenraketen in Europa stationiert werden. Der Kalte Krieg war eiskalt. Aber Petrow behielt die Nerven, übernahm Verantwortung und hat die Welt gerettet, als die hochpotente Technik versagte.

Danach zog Petrow das Helden-Shirt wieder aus und wurde unsichtbar. Er beendete seinen Armeedienst und verbrachte seinen Ruhestand in bescheidenen Verhältnissen in seiner Plattenbauwohnung in der russischen Stadt Frjasino, wo er 2017 im Alter von 77 Jahren verstarb. Kein Friedensnobelpreis! Bestenfalls eine Randnotiz der neueren Geschichte. Anlässlich einer Veranstaltung in Baden-Baden im Jahr 2012 wurde er gefragt, ob er ein Held sei. Petrow verneinte das. Er habe einfach nur seinen Job richtig gemacht. Als der Moderator nachhakte und anmerkte, dass Petrow immerhin die Welt vor einem dritten Weltkrieg bewahrt habe, entgegnete Petrow, dass das doch nichts Besonderes gewesen sei.

Danke Stanislaw Petrow, dass Sie ihren Job einfach nur richtig gemacht haben. Sie haben mir meine Kindheit, Jugend und vielleicht sogar mein Leben gerettet. Ich schreibe diesen Blog, weil Sie den Mut hatten, zu entscheiden und Verantwortung zu übernehmen. Nein, das ist vielleicht nichts Besonderes, aber es ist groß!

Der Mensch als Schlüssel zu Erfolg unserer Systeme

Unabhängig davon, dass Stanislaw Petrow (ich hoffe, ich erwähne diesen Namen so oft, dass er im Kopf bleibt) gefühlt mein Leben ermöglicht hat, damals in der Nacht vom 25. auf den 26. September 1983, bedeutet er auch für mich als Coach und Human Factors Trainer unendlich viel. Für mich ist er der Beweis für alles, was ich tue. Ich glaube daran, dass unsere Zukunft nicht nur trotz, sondern vor allem auch wegen der um sich greifenden Technisierung menschlich ist. Technik kann mit der Dynamik und Komplexität, mit der Unberechenbarkeit unserer Zeit nicht annähernd so kompetent umgehen, wie der Mensch. Selbst mit dem Wissen, dass Menschen Fehler machen und immer machen werden, weiß ich, dass der Mensch alleine der Schlüssel zu Erfolg unserer Systeme ist. Dazu muss er jedoch eigenverantwortlich agieren, Entscheidungen treffen und proaktiv die Dinge in die Hand nehmen. -Seinen Job richtig machen, wie es Petrow ausdrückte. Dass der Mensch selbst unter extremsten Bedingungen dazu in der Lage ist, dass er auch unter größtem Stress kognitiv und analytisch vorgehen kann, hat Stanislaw Petrow vorbildlich, still, leise und bescheiden bewiesen. Was die Welt braucht, um mehr Stanislaw Petrows hervorzubringen? Organisationen und Gesellschaften, die Menschen Raum und Sicherheit geben; Raum sich zu entfalten und die (psychologische) Sicherheit, die es braucht, um angstfrei Verantwortung zu übernehmen. Denn nur so können wir alle unseren Job richtig machen.

Zurück in die Zukunft

Und so klettere ich auch in dieser Woche wieder in meinen DeLorean und reise zurück in die Zukunft, um festzustellen, dass 1983 gefühlt sehr präsent ist. Kalter-Heißer Krieg reloaded? Alleine schon deshalb braucht es unendlich viele Stanislaw Petrows. Es gibt also eine Menge zu tun für Coaches wie mich.

Genießt das Wochenende.

Eure Constance

PS: Sisyphos war übrigens sein Leben lang damit beschäftigt, seinen Stein den Berg hinauf zu rollen, weil er sich bewusst dazu entschieden hat. Er wurde gefragt, ob er lieber sein Leben lang den Stein bergauf rollen wolle, oder den Menschen Frieden und Vernunft beibringen wolle… Er hat sich für den Stein entschieden! -Ich mich für die Menschen! Ich frage mich, ob mein Kollege seine Entscheidung jemals bereut hat.

Sisyphos und ich

Ich bin oben angekommen und habe trotzdem noch einen endlosen Weg vor mir! Sisyphosarbeit! - Und ich liebe sie.

Duo Infernale: Resilienz und Agilität - Weil VUCA jetzt BANI ist! Hää?

Onboarding die Vierte

Bevor ich in mein eigentliches Thema eintauche, gebe ich all jenen unter euch, die meine Onboarding-Berichte treu mitverfolgen, ein ganz kurzes Update von Woche vier. Es ist tatsächlich kurz, weil diese Woche recht unspektakulär verlief, da ich langsam aber sich etwas mehr zur Ruhe komme, anfange anzukommen und meinen Platz in den Strukturen der Bank zu finden. Das fühlt sich wirklich gut an und gibt mir die Sicherheit, die ich gebraucht habe, um den Wunsch zu verspüren, jetzt wirklich ins Tun zu kommen. Was natürlich nicht heißen soll, dass es ab jetzt langweilig wird. Ich glaube es geht jetzt gerade erst so richtig los und ich bin mir sicher, dass ich auch in den nächsten Wochen immer mal wieder spannende und lustige Anekdoten parat haben werde. Diese Woche werde ich meinen Blog jedoch dazu nutzen, um mit euch mal wieder in den Wahnsinn der New Work Welt einzusteigen.

Die spinnen, die Zukunftsforscher

Auf meiner bisherigen Reise durch die New Work ist mir aufgefallen, dass Slang-Dropping und nicht enden wollende Akronyme eine ganz besondere Rolle zu spielen scheinen. Durch diesen Dschungel aus Schlagworten und Abkürzungen schlage ich mich nun schon seit fast zwei Jahren, stelle immer wieder fest, dass man alles lernen kann und manchmal, dass sich hinter besonders hippen Schlagwörtern ganz Banales und Altbekanntes versteckt. Aber sei’s drum, so sind wohl die Regeln des Spiels. Nur manchmal, ganz manchmal, frage ich mich wirklich ob das alles so denn wirklich sein muss. In einem komplexen und dynamischen Umfeld sollte man den Menschen vor allem Sicherheit geben und sie nicht noch zusätzlich verwirren. Ich erzähle euch mal von meiner letzten Verwirrung, die gerade mal einige Tage alt ist: ich denke wir haben uns inzwischen alle daran gewöhnt, dass man unser komplexes Umfeld als VUCA bezeichnet.

  • V -Volantile (unbeständig)

  • U - Uncertain (unsicher)

  • C - Complex (komplex)

  • A - Ambiguous (mehrdeutig)

Das könnte man jetzt so stehen lassen, oder man denkt sich einfach ein ganz neues Akronym aus, weil die Welt sich eben verändert und man deshalb ganz schnell ein neues Akronym braucht, das die Welt, die heute ja ganz anders ist als gestern, voll umfänglich beschreibt… Und außerdem lässt sich damit gerade so gut Geld verdienen! VUCA ist out! Wir sind jetzt alle BANI!

  • B - Brittle (brüchig)

  • A - Anxious (ängstlich)

  • N - Non-linear (nicht-linear)

  • I - Incomprehensible (unbegreiflich)

Was mir unbegreiflich ist, ist wo hier nun der ganz große Unterschied liegt! Ja klar, es ist ein bisschen anders, vielleicht extremer. Aber mal ehrlich Leute… was um alles in der Welt soll das denn nun wieder, außer dass es mich verwirrt und dazu bringt, mir schon wieder Bücher zu kaufen, um up-to-date zu bleiben? Ich war wirklich etwas verschnupft, als ich letzte Woche zum ersten Mal über BANI gelesen habe. Vielleicht war ich ja auch einfach nur neidisch auf die coole Idee des Autors und Futuristen Jamais Cascio, dass er die Dinge noch etwas komplizierter gemacht und in ein neues Kleidchen gehüllt hat. Ich versuche alles immer nach bestem Wissen und Gewissen zu vereinfachen. Wie doof! So wird man nicht zum Futuristen! Und dann hat der Zukunftsforscher Stephan Grabmeier das Ganze auch noch vor mir entdeckt und damit begonnen, es in Deutschland zu vermarkten. So werde ich wohl nie reich und berühmt…

Egal wie es heißt, der Mensch muss damit klarkommen

Für mich als Mensch spielt die Bezeichnung meiner Welt ehrlich gesagt keine allzu große Rolle. Für mich ist wichtig, wie es sich anfühlt und wie ich mich bestmöglich zurechtfinde. In diesem Zusammenhang gebe ich beiden Akronymen recht: unser Leben im Allgemeinen und die Business-Welt im Speziellen sind dynamisch, instabil und komplex und das verunsichert mich. Während das uns Menschen inne liegende Kontrolldenken in einer stabilen und überschaubaren Welt die Sicherheit gegeben hat, die wir brauchen, um gut schlafen zu können, scheitert jeder Kontrollversuch in einer Welt die immer komplexer und dynamischer wird. Es bedarf einer Alternative, die den Menschen die Sicherheit gibt, um Höchstleistungen zu vollbringen. Hier steigt in der Unternehmens- und Arbeitswelt das ein, was inzwischen als Agilität bezeichnet wird. Agile Methoden wie Scrum, Kanban, Lean oder auch diese OKRs, die ich in der letzten Woche im Groben vorgestellt habe, geben den Menschen so viel Struktur und Sicherheit, wie möglich, um in einer komplexen Welt den Fokus nicht zu verlieren. Wesentlich hierbei ist in der agilen Welt die Kundenzufriedenheit. Denn ist der Kunde zufrieden, ist das Unternehmen erfolgreich.

Eine der Grundideen von Agilität ist, dass man sich bewusst darüber ist, keine Kontrolle im klassischen Sinne mehr zu haben. Dieser bewusste Verzicht auf Kontrolle in der wilden Welt des VUCA (oder von mir aus auch BANI) erfordert starke Nerven und starke Persönlichkeiten. Aus der Gelassenheit, die es bedarf, sich der VUCA-Welt auszusetzen, spricht ein hohes Maß an Selbstsicherheit und Selbstvertrauen, vor allem aber das Vertrauen in die eigene Fähigkeit auch in schwierigen und unerwarteten Situationen richtige Entscheidungen zu treffen und dadurch handlungsfähig zu blieben. Alles das finden wir bei resilienten Menschen. Wer mehr darüber wissen möchte, was Resilienz eigentlich ist, findet hier den Link zu einem Artikel, der Resilienz intensiver erklärt und sie nicht nur in Verbindung mit Agilität setzt, sondern auch darstellt, warum resiliente Piloten exzellente Lebensretter sind, wenn es drauf ankommt. Vielleicht ist das ja auch spannend für euch!

Stressig ist es trotzdem

Seit die Agilitäts-Welle einmal um die Welt schwappt, scheinen gleichzeitig Resilienz-Trainings immer mehr zur Modeerscheinung zu werden. Die Versprechungen, die man in diesem Zusammenhang zuweilen zu lesen bekommt, scheinen paradiesisch. Manchmal juckt es mir in den Fingern, einen Kommentar dazu zu verfassen. Denn offensichtlich gibt es im Zusammenhang mit Resilienz ein ganz großes Missverständnis: Resilienz verringert Stress NICHT, noch nicht einmal ein kleines bisschen! Sorry. Resilienz ist die Widerstandskraft gegen Überforderung. Stress wird dadurch nicht eliminiert. In unserer modernen Arbeitswelt sorgt Resilienz dafür, dass man die Belastung, hervorgerufen durch die Angst vor Kontrollverlust in deinem dynamischen und komplexen Umfeld, bestmöglich übersteht. Dieser Resilienz spring nun das Konzept des agilen Denkens zur Seite, das eine Alternative zu dem uns Mensch nur allzu bekannten Kontrolldenken bietet. Wenn es dem Menschen gelingt, Entscheidungen nicht mehr aus bekannten Informationen ableiten zu wollen, sondern im Rahmen des Entscheidungsfindungsprozesses auch situative Begebenheiten und die eigenen Ressourcen und Fähigkeiten zu berücksichtigen, wird die Überforderung durch Dynamik, Komplexität, VUCA und BANI deutlich verringert, oder sogar vermieden. So stärken Resilienz und Agilität gemeinsam das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und fördern so die Gelassenheit, die agile Denker benötigen, um auch in den turbulentesten Situationen nicht den Fokus und den Blick für das Wesentliche zu verlieren. -Und das obwohl sie dabei unter Umständen verdammt viel Stress empfinden.

Und jetzt…???

Jetzt frage ich mich, wo ich vielleicht noch mehr Kontrolle bewusst abgeben kann, um mich im festen Vertrauen auf meine Ressourcen und Fähigkeiten in dieser komplexen neuen Welt der Bank sicher von Tag zu Tag zu hangeln. Denn eine Sache, die mir in meine ersten beiden Onboarding-Wochen das Leben wirklich schwer gemacht hat, war dass ich aus lauter Unsicherheit versucht habe, Dinge zu kontrollieren, die sich nicht kontrollieren lassen. Wie un-resilient! Dabei hatte ich doch bei meinem Resilienz-Test damals Bestwerte! Tja, manchmal will gut Ding einfach Weile haben. Ich bin mir sicher, dass auch du an der ein oder anderen Stelle im Vertrauen auf dich selbst ein bisschen dieser vermeintlichen und wahnsinnig anstrengenden Kontrolle abgeben kannst. Tut echt nicht weh! Seitdem habe ich sogar Zeit für eine richtige Mittagspause…

Für heute soll es das gewesen sein. Ich bin mir sicher, nächste Woche gibt es sicher wieder mehr Neuigkeiten von der Onboarding-Front. Wie lang dauert so ein Onboarding denn eigentlich? Was sagt ihr?

Eure Constance

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VUCA hin BANI her…

Ob resilient oder agil, manchmal ist man einfach reif für die Insel