Führung

Ist ja alles schön und gut mit diesem Team-Gedöns, aber...

Aus der beliebten Rubrik: Alltag eines Agile Coaches

Nachdem ich in meinen wöchentlichen Blog-Artikeln ja häufig von der Theorie berichte, mit der ich mich gerade beschäftige, ist es heute mal wieder an der Zeit, ein wenig aus der Praxis und den damit verbundenen Grenzen der Theorie zu erzählen.

Als Agile Coach begleite ich Menschen durch den Transformationsprozess ihrer Organisation, weg von den klassischen Top-Down-Management-Strukturen hin zu Unternehmensstrukturen, die ihren Menschen, ihrem Humanvermögen, Raum geben, um deren volles Potenzial auszuschöpfen. Was sich einfach anhört, ist in der Praxis ganz schön schwierig! Diese neue Autonomie schreit förmlich nach Eigenverantwortung, Selbstführung, Eigeninitiative, Mut, Selbstreflexion und so weiter und so fort. Ich sollte also in einem guten und ehrlichen Kontakt mit mir selbst sein. Gleichzeitig ist jedoch das absolute Verständnis eines Kerngedankens die Voraussetzung, um in dieser dynamischen und komplexen Welt der New Work bestehen können: der wahre Star in unserer neuen Arbeitswelt ist das Team! Will ich erfolgreich sein, muss ich verstehen, dass meine wertvollste Ressource mein Team ist. Egal wie gut ich bin, die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Team erfolgreicher sind, als ich allein, liegt bei fast hundert Prozent!

Nun haben wir also im Idealfall eine Gruppe von Menschen, die sich autonom, eigeninitiativ, (selbst-) kritisch, mutig selbst führen und dann kommt der Coach und erzählt ihnen, dass das ja alles schön und gut sei, wenn sie jetzt jedoch wirklich erfolgreich sein wollen, müssen sie es schaffen, sich mit all diesen Eigenschaften in ein Team zu integrieren und fortan mit den Kollegen zusammen zu arbeiten…

Die Magie der neuen Perspektive

Warum Teams für gewöhnlich erfolgreicher sind, lässt sich ganz schnell und einfach mit der Physiologie unserer Wahrnehmung erklären: unsere zauberhafte Blackbox, die wir Gehirn nennen, verarbeitet nur etwa fünf Prozent all der Reize, die durch unsere Sinne eingesammelt werden, so, dass sie in unser Bewusstsein rutschen. Das, was wir als unsere individuelle Wahrheit bezeichnen, sind gerade mal fünf Prozent von dem, was tatsächlich ist. Diese fünf Prozent werden inhaltlich durch unsere Erfahrungen, unser Wertesystem, unsere Erziehung, unseren Präferenzen, etc. bestimmt. Wenn es also darum geht, in einem komplexen und dynamischen Umfeld zu entscheiden, ob es rechts oder doch lieber links herum gehen soll, ist es eine ziemlich gute Idee, sich eine zweite, dritte oder vierte Meinung zu holen. Im besten Fall frage ich sogar Menschen die ganz anders sind, als ich selbst, mit anderen Erfahrungen, einem anderen Hintergrund und einer anderen Meinung. Mit etwas Glück hat deren Gehirn sich ganz andere fünf Prozent der Realität herausgesucht, um sie auf eine bewusste Ebene zu heben.

Toll! Und jetzt haben wir den Salat der X verschiedenen Meinungen… Entscheidungsfindung im Team

In der letzten Woche hatte ich gleich mehrere Workshops, Diskussionen und Coachings, die Teamwork und Teambuilding zum Thema hatten und meine Argumente für mehr Team schienen geradezu entwaffnend! Sobald es jedoch an die praktische Umsetzung ging, habe ich immer wieder gemerkt, dass meine Kollegen wirklich bemüht waren, oft aber keinen bewussten Hebel hatten, die Team Idee in die Praxis zu transferieren. Wie löst man denn nun ein Problem im Team? Wie trifft man eine Entscheidung? Hier gab es zwei Herangehensweisen, die man aus einem anderen Kontext kennt: entweder der Chef entscheidet, oder es gibt eine demokratische Abstimmung… beide Wege scheinen nicht optimal, was meinen Teilnehmern auch irgendwie klar war. In unserer modernen und komplexen Arbeitswelt sind es schon lange nicht mehr die Vorgesetzten, die alles am besten wissen und können. Unternehmen geben Unsummen für ausgezeichnet qualifizierte Experten aus, aber wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen gehen sie zwischen Führungskräften und der Mehrheit unter? Das erscheint mir ausgesprochen ungünstig (und unrentabel)! In meiner alten Welt, der Luftfahrt, die als High Risk Environment gilt, sind derartige Entscheidungsfindungsprozesse lebensgefährlich. Wenn es also um erfolgreiche und vor allem analytische Entscheidungsfindungsprozesse geht, darf man getrost mal schauen, wie Flugzeugbesatzungen zu ihren Entscheidungen kommen. Immerhin hat man hier schon Ende der siebziger Jahre festgestellt, dass der größtmögliche Erfolg in einem dynamischen und komplexen Umfeld daraus resultiert, dass Crews als Teams zusammenarbeiten und die Kollegen die eigenen größtmögliche Ressource darstellen, wenn gerade mal wieder alles im Chaos liegen zu scheint.

Ein analytischer Entscheidungsfindungsprozess, der alle zur Verfügung stehenden Perspektiven berücksichtigt, muss her

Was in der Luftfahrt her musste (und was die agile Welt unbedingt noch braucht), war ein analytischer Entscheidungsfindungsprozess, der für Teamstrukturen nutzbar ist. Kluge Menschen haben sich FOR-DEC ausgedacht. Hört sich komisch an, ist aber ganz einfach, verblüffend einfach…

FOR-DEC ist ein Akronym, das man aus man aus den Worten “befor decision” entwickelt hat und Einzelpersonen oder eben auch ganze Teams durch einen Entscheidungsfindungsprozess führen soll. Es gilt, sechs Phasen abzuarbeiten:

  1. F steht für Facts: hier geht es darum alle verfügbaren Fakten zu sammeln. Im Flugzeug ist es durchaus möglich das einer der entscheidendsten Fakten nur von der jungen, frisch ausgebildeten Stewardess in der hinteren Bordküche wahrgenommen wird. Komplexität eben. Fakten kann man formidabel im Team sammeln. Was man im Rahmen der Faktensammlung jedoch unbedingt beachten muss ist, Annahmen nicht mit Fakten zu verwechseln. Denkt mal drüber nach!

  2. O steht für Options: Habe ich alle verfügbaren Fakten beisammen, schaue ich mal, welche Optionen es gibt. Auch hierbei darf man das Team befragen. Und Achtung: meistens gibt es mehr als zwei Optionen. Hier können andere Perspektiven ausgesprochen bereichernd sein!

  3. R steht für Risks and Benefits, denn jede Option hat Vor- und Nachteile. Auch an dieser Stelle können Teammitglieder Vor- oder Nachteile sehen, deren ich mir vielleicht gar nicht bewusst bin.

  4. D steht für Decision, denn jetzt liegen die Karten auf dem Tisch, deshalb muss die Entscheidung her. Wer sie trifft? Der, der sie auch verantwortet. In kleinen Dingen ist das jeder selbst, in seinem kleinen Bereich. In größerem Rahmen ist es traditionell oft der Chef, oder in der Luftfahrt dann der Kapitän. Allerdings wird jede Entscheidung nur so gut sein, wie die Fakten, auf welchen sie basiert. Aus diesem Grund rufe ich dazu auf, nicht über die Entscheidung, die andere getroffen haben, zu meckern, sondern sich selbst lieber mal kritisch zu hinterfragen, ob ich denn auch alle Fakten dazu beigetragen habe, um diese Entscheidung so gut wie möglich werden zu lassen.

  5. E steht schließlich für Execution, da man alle Entscheidungen ja auch irgendwann mal umsetzen muss. Hierbei ist es sinnvoll, Aufgaben klar zu verteilen und möglichst transparent zu machen.

  6. Nach der Umsetzung ist man ja eigentlich fertig. Trotzdem kommt unter Punkt sechs das vielleicht wichtigste des gesamten Prozesses. C steht für Check. Nach der Umsetzung ist es nämlich unglaublich wichtig, zu überprüfen, ob denn meine Entscheidung auch zum gewünschten Resultat geführt hat. Und wenn nicht, dann haben mir wohl Fakten gefehlt, oder vielleicht hat sich die Ausgangssituation verändert (soll passieren, in einem dynamischen Umfeld). Dann geht es einfach wieder zurück zu F und das Spiel geht von vorne los. So kann einem das FOR-DEC Modell sogar die Angst vor vermeintlich falschen Entscheidungen nehmen. Die gibt es nämlich in dynamischen und komplexen Systemen nicht.

So einfach und doch so schwer

Wenn man das so liest, erscheint ein Studium der Raketenwissenschaften nicht unbedingt als Voraussetzung dafür, FOR-DEC zu verstehen und durchzuführen. Für sich ganz allein durchläuft sicher jeder von uns diesen Prozess immer wieder, mal bewusst, mal ganz unbewusst. Das spannende ist, dass man durch FOR-DEC recht einfach und vor allem auch ohne Emotionen und Rechthaberei mehrere Menschen in den Entscheidungsfindungsprozess mit einbeziehen kann. Es geht nicht ums Recht haben, um Erfahrung, Bauchgefühl oder um das beste Durchsetzungsvermögen. Es geht um Fakten, so wie eine gemeinsame Analyse diese Fakten und ganz nebenbei bietet FOR-DEC all jenen, die in Führungsverantwortung sind, die tolle Möglichkeit, alle Ressourcen, die das Team einem zur Verfügung stellt, auch zu nutzen. In der Luftfahrt ist das tatsächlich überlebenswichtig. In meiner neuen Welt kann ich dieses Drohszenario leider nicht nutzen. Erfolg, vor allem aber Misserfolg kann hier einfacher relativiert werden, als in einem High Risk Environment wie der Luftfahrt. Ein Flugzeugabsturz ist etwas Absolutes. Bilanzen und Zahlen sind irgendwie relativ. Aber Fakt ist, dass die Faktoren, die ein Team oder eine ganze Organisation letzten Endes erfolgreich machen, auf menschlicher Ebene immer die gleichen sind. Teammanagement und die tatsächliche Nutzung des Humanvermögens eines Teams oder einer Organisation spielen in einer komplexen und dynamischen Umwelt eine immer entscheidendere Rolle.

Und jetzt weg mit den Würfeln und hin zu mehr Analyse!

Ich bin gespannt, was all jene, die in der letzten Woche irgendwie keine wirklich Alternative zur Top-Down-Entscheidung oder zur Basisdemokratie sahen, sagen werden, wenn ich ihnen FOR-DEC vorstelle! Dieses Würfelspiel der Entscheidungsfindung hat mir einfach zu viel mit Glück zu tun. Deshalb seid auch ihr von Herzen dazu eingeladen, im Rahmen eurer nächsten Entscheidung nicht nur eure eigenen Fakten zu sammeln, sondern auch einmal nachzudenken, ob es noch jemanden gibt, der vielleicht eine andere Perspektive und andere Fakten für euch hat.

Eure Constance

IMG_2744.jpg

Würfelt ihr noch

Oder entscheidet ihr schon?

True Leadership! -Was ist jetzt das schon wieder?!

Nicht schon wieder spazieren gehen

Aus meiner einwöchigen Osterpause melde ich mich mit einem Blog aus der beliebten Serie “die schöne neue Welt der New Work überholt sich mal wieder selbst und verwirrt ihre Jünger” zurück! Ich hoffe ihr konntet die Feiertage genießen und gut erholt in eine kurze Arbeitswoche starten. Ich habe die Zeit genutzt, um in homöopathischen Dosen Zeit mit der engsten Familie und den engsten Freunden zu verbringen. Tatsächlich war dieses Jahr etwas mehr los, als im letzten Jahr. Aber insgesamt war es mir doch zu einsam und ich hatte viel zu viel freie Zeit. Klar hätte ich mal wieder spazieren gehen können. Aber mal ehrlich, ich will nicht mehr spazieren gehen. Mir reichts. Ich will in Bars und Restaurants und mit Freunden feiern, aber ich will nicht mehr spazieren gehen. Ich weiß nicht wie es euch geht, aber mir reicht es wirklich! Werde ich halt dick und rund! Egal, Hauptsache keine Spaziergänge mehr! Der positive Nebeneffekt dieser um sich greifenden Lethargie meinerseits ist, dass ich recht viel Zeit zum Lesen und Stöbern hatte. Unter anderem habe ich mir mal den aktuellen Scrum Guide angeschaut. Für alle die, die nicht wissen was das ist; kein Drama, man kann auch formidabel ohne leben. Für die Jünger der New Work Bewegung und die Verfechter agiler Strukturen ist der Scrum Guide einer der Taktgeber, eine Quelle der Inspiration für ein effizientes und selbstbestimmtes Zusammenarbeiten. Allerdings komme ich immer mehr an den Punkt mich zu fragen, ob all diese Guides und Leitfäden wirklich sinnvoll sind. Habe ich mich doch letztes Wochenende mal wieder darüber geärgert, dass sie sich ständig selbst überholen und gefühlt auf Arbeitsebene für mehr Verwirrung als Klarheit sorgen und deshalb eigentlich nur noch ein komischer Hype sind!

Zur Quelle meiner Wut

Woran sich mein inneres Äffchen letztes Wochenende so aufgerieben hat? Nun ja, als agiler Coach begleite ich Menschen durch organisationale Veränderungsprozesse und besonders im Rahmen einer agilen Transformation verlangen wir von diesen Menschen eine ganze Menge. Klar wird die Mehrheit mit mehr Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Freiheit belohnt. - So sie das auch tatsächlich als Belohnung empfinden. Eine kleinere Gruppe der Menschen, die ich begleite, wird durch diese Veränderungsprozesse jedoch zunächst einmal in eine mittelprächtige Identitätskrise katapultiert. Ich spreche von den Führungskräften, die gegebenenfalls seit Jahrzehnten damit erfolgreich waren, in klassischer Manager-Manier zu führen. So wurde es von ihnen verlangt. Das ist das was sie können und was deren Gehirn auch als gut und richtig abgehakt hat. Dass die Welt sich verändert hat und komplexe und dynamische Umfelder eine neue Art der Führung braucht, darüber habe ich schon oft gesprochen. Aber was bedeutet das für die Menschen, die Jahre lang gut und erfolgreich geführt haben und jetzt alles anders machen sollen, weil das Alte nicht mehr gut genug ist? Fühlt sich nicht so toll an. Dann nimmt man diesen Führungskräften auch noch alles weg, was ihr Selbstverständnis von Führung ausgemacht hat… Jetzt sollen sie also Servant Leader sein. Sie sollen dem Team dienen und die ihnen anvertrauten Mitarbeiter im Rahmen ihrer Weiterentwicklung unterstützen. Außerdem sollen sie ihren Leuten Raum lassen, ihnen Autonomie geben, weil ja jeder gut ausgebildete Experte selbst am besten weiß, was er braucht um seine beste Leistung abzurufen. Hört sich toll an! Ein schöner Regenbogen der uns direkt in eine bessere Welt führt. So viel zur Theorie. In der Praxis sind da gut ausgebildete, engagierte und bemühte Führungskräfte, die glauben, sie werden nicht mehr gebraucht, weil sie ja nicht mehr sagen dürfen oder sollen, wo es lang geht. Wenn wir mal ganz ehrlich sind, fühlt es sich ein wenig so an, wie als ob einem all seine Macht weggenommen wurde. An dieser Stelle greifen Coaches wie ich ins Geschehen ein. Gemeinsam erarbeitet man, wie diese neue Führung in der Praxis aussehen kann, wie und wo man seinen Mitarbeitern Autonomie geben kann und muss und was das für die Führungskraft ggf. sogar an Vorteilen mit sich bringt. Im Idealfall versteht die Führungskraft irgendwann, dass Macht nicht nur die Macht ist, anderen sagen zu dürfen was zu tun ist, sondern auch andere bewusst dazu ermächtigen zu können, eigenverantwortlich vorzugehen. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht.

Denn Linksverkehr bleib Linksverkehr und rechts ist halt richtig - sagt die Erfahrung

Ich weiß, dass der ein oder andere sich jetzt denkt, dass das doch nicht so schwer sein kann. Ist ja auch alles ganz einleuchtend mit der neuen Art zu führen. Aber glaubt mir, es ist verdammt schwer, weil die Macht der Gewohnheit eine sehr starke Kraft ist. Ist schon mal jemand von euch während eines Urlaubs oder Auslandsaufenthalt im Linksverkehr unterwegs gewesen, als Fahrer, nicht als Beifahrer? Die Situation und die Anforderung sind ganz klar und eindeutig und im Zuge der Unfallvermeidung macht es auch Sinn, sich an die neuen, anderen Regeln zu halten. Aber mal ehrlich, wie lang habt ihr gebraucht, bis ihr nicht mehr den Scheibenwischer an Stelle des Blinkers angeschaltet habt und ihr nicht mehr im Kreisverkehr oder an Kreuzungen zweimal nachdenken musstet?

So gewöhnen wir uns nur langsam, dafür aber sicher an die neue Situation, passen uns langsam an und irgendwann ist das Neue zur Normalität geworden. Das braucht Zeit. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es wäre, wenn, während ich langsam aber sicher im Linksverkehr ankomme, ständig die Regeln und Details neu verfasst würden. Ich glaube ich würde irgendwann hinschmeißen, total frustriert.

Der Linksverkehr agiler Führung

Alle Veränderungen, so auch unternehmenskulturelle Veränderungen, brauchen Zeit und Raum und als Coach ist es mir wichtig, den Menschen, mit denen ich arbeite, genau das zu geben. Ich erkläre das Ziel, erkenne aber auch die Ist-Situation an, so wie die Bedenken und Sorgen und ich freue mich über jeden mutigen kleinen Schritt, den der Mensch macht um heraus aus der Komfortzone in den Veränderungsprozess einzusteigen.

So weit so gut. Ich schreite Seite an Seite, Schritt für Schritt mit meinen Kunden voran. Die Vertrauensbasis wächst, genauso wie der Mut. Schritt für Schritt wächst auch die Sicherheit im neuen Terrain. Währenddessen ist es das größte Gift, wenn alle Jahre wieder ein neuer Hype auftaucht, der im Prinzip nichts Neues ist, aber ganz neu aussieht. -Klar, so lassen sich natürlich alle Jahre wieder tolle neue Bücher und Vortragsreihen verkaufen. Verstehe ich! Die Führungskraft, die mitten im Prozess steckt, die sich mühsam ein wenig mehr Sicherheit auf dem Weg zu Servant Leadership erarbeitet, versteht das sicher nicht! Warum auch? Servant Leader? True Leder? Was zum Teufel soll das alles?

Was ist wirklich wichtig?

Diese Frage stelle ich mir immer wieder, auch in Hinblick auf Agilität. Agilität um deren Selbstwillen ist sicher nicht das Ziel. Ich war Human Factors Trainer und Consultant lange bevor ich Agile Coach wurde. Ich würde sogar sagen, weil ich aus tiefster Überzeugung Human Factors Consultant bin, hat mich mein Weg hin zur Agilität geführt. Denn der Mensch braucht Raum, Autonomie und Eigenverantwortung, um sich zufrieden zu Höchstleistung aufschwingen zu können. Und was der Mensch unbedingt braucht ist Führung, eine Führung die Richtung, Sicherheit, Freiraum und Eigenverantwortung schenkt. Wie man diese Führung nennt, ist am Ende völlig egal. Es ist wie bei all diesen Schoko-Ostereiern, die wir wahrscheinlich alle in den letzten Tagen im Überfluss genossen haben: wichtig ist was drinsteckt. Was mich gelegentlich ein wenig verärgert, ist, dass ausgerechnet um das Drumherum, die äußere Form, ein solcher Lärm gemacht wird, dass das was drin steckt total ins Hintertreffen gerät. Gerade in Hinblick auf Führung ist es doch ganz einfach: Menschen folgen Menschen, nicht Positionen und Titeln. Nennt es wir ihr wollt, es wird daran nichts ändern. In meiner “alten Welt” wurde in diesem Zusammenhang sogar zwischen “Personal Power” und “Positional Power” unterschieden. Das eine ist ohne das andere ein Rohrkrepierer. Was es wirklich braucht sind Persönlichkeiten, Führungspersönlichkeiten. -Menschen, die sich ihrer eigenen Fehlbarkeit bewusst sind und deshalb auch den Wert ihrer Mitarbeiter kennen. -Menschen die sich ihrer Verantwortung bewusst sind und ihre eigene Macht nutzen, um andere zu ermächtigen. -Menschen die vertrauen, fördern, unterstützen, vorangehen ohne sich dabei in den Vordergrund zu drängen. Wie man das dann nennt, ist völlig egal: Servant Leader, transformationale Führung, flache Hierarchie, Teammanagement, Leader as Coach oder jetzt eben seit neustem True Leadership. Vielleicht sollte man einfach damit anfangen, mit all dieser Verwirrung aufzuhören! Ich finde es wurden inzwischen genug Bücher geschrieben (auch wenn ich natürlich davon träume selbst noch eines zuschreiben). Man muss auch mal ins tun kommen und den Raum und die Zeit für Veränderungsprozesse geben ohne ständig dazwischenzufunken. -Genau das erwarten wir ja auch von den Führungskräften, die wir begleiten!

Und jetzt doch spazieren gehen?

Nein, auf keinen Fall! Ich wünsche euch einen schönen Sonntag. Ich werde meiner Lethargie frönen und ein bisschen lesen und ich freue mich auf das strahlende Gesicht von Tristans großem Bruder Alan, wenn er später sein Ostergeschenk sehen wird! Und natürlich bin ich ganz gespannt darauf, ob Tristan inzwischen schon mehr kann, als schlafen, weinen, trinken und Bäuerchen machen!

Eure Constance

478452d6-8a54-4c5d-8219-21aa76d55c74.jpg

Hoch hinaus…

Denn Menschen folgen Menschen, nicht Positionen

Warum High Performance Teams besonders viele Fehler machen

Und wöchentlich Grüße das Murmeltier… Immer wieder High Performance

Ich weiß, schon in der letzten Woche ging es um High Performance… und diese Woche schon wieder! Nicht besonders innovativ. Aber das Thema High Performance lässt mich einfach nicht mehr los, ist es doch jetzt mein Job, die Teams, die sich mir anvertrauen, auf ihrem Weg von guten Performern zu High Performern zu begleiten, Impulse zu setzen und mit Rat und manchmal auch Tat zur Seite zu stehen. Und ganz unter uns, hierbei ist guter Rat manchmal wirklich teuer. Was ist er denn nun, der sagenumwobene Unterscheid zwischen uns “Normalos” und diesen Überfliegern, diesen Teams, die außergewöhnlich innovativ und leistungsstark sind? Einige Faktoren habe ich in den letzten Wochen und Monaten ja immer wieder beleuchtet. Erst in der letzten Woche ging es um Führung in High Performance Teams und auch mein letzter Blog zum Thema Feedback ist noch nicht allzu lange her. Ja, es gibt sie, diese Zutatenliste für High Performance und die allermeisten Punkte sind ausgesprochen einleuchtend und machen auch für Nicht-Psychologen und Nicht-Forscher Sinn. Hier und da stoße ich aber auch auf Statements, die mich durchaus überraschen.

Auf meiner Suche nach High Performance nutze ich immer wieder gerne eine Hand voll Quellen. Eine davon ist die Harvard Professorin Amy C. Edmondson, die sich bereits seit ihrem eigenen Studium damit beschäftigt hat, was Organisationen brauchen, um besonders erfolgreich zu sein. Als sich Amy schließlich auf die Suche nach einem Thema für ihre Doktorarbeit machte, führte sie ihr Weg zunächst ins Krankenhaus. Sie wurde Teil eines Forschungsteams, das medizinische Fehler in Krankenhäusern untersuchte. Zunächst ging es ihr darum, Erfahrungen zu sammeln, wie es Organisationen in einer zunehmend herausfordernden und schnelllebigen Welt gelingt, erfolgreich zu sein. Besonders die Idee, aus Fehlern zu lernen, um die eigene Leistung stetig zu verbessern, trieb die damals junge Doktorandin an.

Wie eine zufällige Entdeckung zum lebenslangen Forschungsprojekt wurde

Zu Beginn der Studie war Amys durchaus einleuchtende These, dass das effektivste und erfolgreichste Team auch die wenigsten Fehler macht. Es wurde eine Matrix entwickelt, die die Fehlerquote pro 1000 Patiententage darstellt und dann wurden für einen Zeitraum von sechs Monaten Daten gesammelt. Nach diesen sechs Monaten stellte Edmondson tatsächlich fest, dass es eine statistisch signifikante Korrelation zwischen der Effektivität eines Teams und dessen Fehlerrate gab. Allerdings kam unserer Forscherin das Ergebnis irgendwie falschherum vor… Es waren nicht die effektivsten Teams, die die wenigsten Fehler machen. Das Gegenteil war der Fall. Tatsächlich machten die effektivsten Teams sogar die meisten Fehler. Wie frustrierend, verwirrend und unfassbar muss sich das für eine junge Doktorandin anfühlen, wenn nach einem halben Jahr intensiver Grundlagenforschen die Einstiegshypothese im Nichts verpufft? Aber anstatt das Thema loszulassen und sich ein neues Thema für ihre Dissertation zu suchen, beschäftigte sich die junge Amy damit, ob es denn wirklich sein kann, dass erfolgreiche Teams mehr Fehler machen, als weniger erfolgreiche. Oder kommunizieren erfolgreiche Teams ihre Fehler einfach nur häufiger? Nach eigenen Angaben war es Amys persönlicher Heureka-Moment, als sie die These entwickelt, dass es in den erfolgreicheren Teams eine Atmosphäre der Offenheit und des Vertrauens gibt, die es erleichtert, über Fehler zu berichten und diese zu diskutieren, um dann im Team daraus zu lernen. Was zunächst nur eine Vermutung war, musste in der Folge mit Fakten gesichert werden.

In ihrer initialen Studie fand Edmandson heraus, dass dieses Gefühl von Vertrauen und Offenheit, dass sie fortan als Psychological Safety bezeichnet, selbst zwischen einzelnen Teams innerhalb eines einzigen Krankenhauses unterschiedlich ausgeprägt und sehr stark durch die jeweiligen Führungskräfte geprägt war. Vielleicht habt ihr ja auch schon die Erfahrung gemacht, dass es selbst im gleichen Unternehmen Abteilungen oder Teams gibt, in denen es einfach und selbstverständlich ist, das Wort zu ergreifen und im Team nebenan ist genau das, wenn überhaupt, die absolute Ultima Ratio. Noch eine Tür weiter wird vielleicht sogar komplett geschwiegen. Bereits in ihrer ersten Studie konnte Edmondson nachweisen, dass die offenen Teams die erfolgreicheren waren und sind.

Edmondson wurde Professorin und forschte schließlich gemeinsam mit ihren Doktoranden weiter; in Krankenhäusern, Unternehmen, Regierungsorganisationen. Sie kam zum Ergebnis, dass Psychological Safety überall unterschiedlich stark ausgeprägt ist und großen Einfluss auf das Lernverhalten und der objektiv messbaren Leistung hat. Zwischenzeitlich haben sich dutzende von Forschern mit dem Phänomen der Psychological Safety beschäftigt und sind übereinkommend zu dem Ergebnis gekommen, dass Psychological Safety bessere Leistung (im Falle von Krankenhäusern sogar weniger Tote) und besseres Lernen hervorruft. Basis für dieses bessere Lernen ist vor allem eine offene Fehlerkultur, die die Grundlage dafür darstellt, dass Teams oder im besten Fall sogar ganze Organisationen in der Lage sind, sich stetig weiterzuentwickeln und auf ein sich permanent änderndes Umfeld zu reagieren. Edmondson nennt das schließlich eine Lernende Organisation, die beste Möglichkeit um auf das komplexe und dynamische Umfeld unserer Vuca-Welt zu reagieren. Außerdem nimmt das Gefühl der Psychological Safety die Angst und Unsicherheit, die die inzwischen allgegenwärtigen Veränderungsprozesse bei uns Menschen für gewöhnlich hervorrufen. So können sich Menschen auch während eines Veränderungsprozesses besser auf das Erreichen der gemeinsamen Ziele konzentrieren, anstatt vor allem auf Selbstschutz zu achten. Diese Erkenntnis ist übrigens noch ein ganzes Stück älter, als Amys Doktorarbeit. Bereits Mitte der 1960er Jahre hat Prof. Edgar Schein, der am Massachusetts Institute of Technology lehrte, eine diesbezügliche Arbeit veröffentlicht.

Fehlerkultur, Führung und Psychological Safety - Weil sich alles bedingt

Also, ich fasse zusammen: Fehler sind in High Performance Teams ein wichtiger Teil des natürlichen Entwicklungsprozesses und je offener Fehler kommuniziert werden dürfen, desto mehr Möglichkeiten hat man, um zu lernen und sich weiterzuentwickeln… Und deshalb jetzt noch einmal zu den Führungskräften, die laut Amy diese Psychological Safety in ihren Teams und Organisationen maßgeblich beeinflussen: Liebe Führungskräfte, wie geht ihr mit Fehlern um, die in euren Teams oder Organisationen gemacht werden? Werden sie euch überhaupt mitgeteilt, oder werden sie aus Angst oder Unsicherheit lieber vertuscht und der Organisation somit auch die Möglichkeit genommen, sich weiterzuentwickeln und erfolgreicher zu werden? Ich erlebe immer wieder Führungskräfte, die von ihren Leuten völlig nachvollziehbar Höchstleistungen erwarten. Als Führungskraft würde ich das auch erwarten, unbedingt sogar. Allerdings würde ich es nicht mit Druck versuchen, sondern mit dem Vertrauen, dass jeder einzelne Mitarbeiter sein Bestes gibt, engagiert und nach bestem Wissen und wenn Fehler passieren, dann weil Fehler eben passieren! Niemand weiß alles und kann alles und auch die ganz besonders hellstrahlenden Führungskräfte sind nicht fehlerfrei und mögen es sicher auch nicht, dass man ihnen dabei Unwissenheit, Unachtsamkeit, Faulheit oder Schlampigkeit unterstellt. Also liebe Führungskräfte, Amy hat den wissenschaftlichen Beweis erbracht, dass eine offene Fehler- und Feedbackkultur zu High Performance führt und die Basis dazu ist diese sagenumwobene Psychological Safety. Also legt los in dem ihr vertraut! Übrigens macht Google das auch und Google darf ja durchaus als erfolgreiche Organisation bezeichnet werden. Julia Rozovsky, ihres Zeichens Manager of People Analytics, fasst das Thema der Psychological Safety wie folgt zusammen: “Psychological Safety war mit Abstand die wichtigste der fünf Schlüsseldynamiken, die wir gefunden haben. Sie war die Grundlage der anderen vier.”

Und jetzt?

Die Gretchenfrage ist und bleibt zu mindestens für mich wie man diese Psychological Safety jetzt in eine Organisation hineinträgt. Auf jeden Fall geht das nicht von heute auf morgen und man muss auf vielen Ebenen aktiv werden. Klar ist es sinnvoll, vor allem auf der Führungsebene anzufangen. Aber auch Führungskräfte brauchen Psychological Safety um zu Vertrauen und auch ihrerseits Fehler zuzugeben und ihren Mitarbeitern einen sicheren Rahmen zu bieten. Wer gibt Führungskräften diese Sicherheit? Klar könnte man sagen, die stehen so weit oben, die müssen diese Sicherheit in sich selbst finden. Aber hier sprechen wir von Emotionen und das Gefühl, besonders weit oben zu stehen, macht auch häufig Angst vor einem tiefen Fall, von der Last der Verantwortung ganz zu schweigen. Ich denke, mir als Coach bleibt nicht mehr und nicht weniger, als Menschen über Hierarchiegrenzen hinweg in den Austausch zu bringen, miteinander zu reden, Feedback nicht nur zu geben, sondern aus Feedback eine Feedbackkultur werden zu lassen und sich darüber die Sicherheit zu erarbeiten, die es bedarf, um auch über Fehler offen reden zu können, damit man daraus schließlich auch lernen kann um sich und sein Team weiterzuentwickeln… Das scheint irgendwie nicht viel, aber wenn es funktioniert ist es gewaltig!

Genießt den aufkommenden Frühling!

Eure Constance

IMG_1409.jpg

Fehler passieren

Deshalb muss man sich zusammensetzen und darüber reden!